Von Miklos Muhi

Beim Ausstieg aus dem Flieger trifft mich die kühle Frühlingsluft, wie ein Schlag ins Gesicht. Ich vermisse die tropische Hitze der letzten Woche.

Bisher ist alles optimal gelaufen und ich bin gleich zu Hause.

Ich nehme den grünen Korridor. Frische Sonnenbräune und Urlaubskleidung haben immer ausgezeichnet funktioniert. Bei der Anzahl der Spinner unterwegs haben die Beamten selbst ohne meine Wenigkeit genug Arbeit.

»Guten Tag. Wir sind vom deutschen Zoll. Sie wurden für eine Kontrolle ausgewählt. Bitte folgen Sie uns.«

»Natürlich«, antworte ich. 

Die Ausgänge sind bewacht. Flucht ist keine Option. Ich komme ins Schwitzen. Mein Puls rast. Einatmen und ausatmen. Das hilft zumindest beim Herzrasen. Ich folge den Uniformierten in den Durchsuchungsraum.

*

»Alles in bester Ordnung, Herr Schöb. Vielen Dank für Ihre Kooperation. Auf Wiedersehen.«

»Gern geschehen. Auf Wiederschauen«, antworte ich. Nur mit Mühe und Not gelingt es mir, Überraschung und Schrecken zu verbergen.

»Verdammt!«, murmele ich außer der Hörweite der Uniformierten, steuere die nächste Sitzgelegenheit an, nehme Platz und öffne meinen Koffer. Packe alles aus und wieder ein, aber es hilft nicht. Das Paket ist weg.

So etwas kommt vor.

Nur dass der Inhalt etwa vierzigtausend US-Dollar Wert ist und nicht mir gehört. Der Adressat ist Emilio, der am nächsten Tag gegen Mittag am Viktualienmarkt vergeblich auf mich warten wird. Weder er noch seine Chefs werden davon begeistert sein.

Ihr Mangel an Begeisterung ist lebensbedrohlich.

Die Packung zu suchen brächte nichts. Wenn sie in München vor der Gepäckausgabe verschwunden ist, komme ich nicht mehr an sie heran. Da sie im Koffer gelegen hat, bevor ich ihn abgegeben habe, wäre die andere Möglichkeit, dass sie in den Serviceräumen des Flughafens Mexiko City abhandengekommen ist, mickrige zwölf Flugstunden entfernt.

Während der Fahrt im Taxi habe ich Zeit, um nachzudenken.

Man wird erst am nächsten Tag merken, dass ich es verbockt habe. Dann hätte ich 24 Stunden, um den Verlust durch Zahlung auszugleichen. Mangels einer Ölquelle im Hinterhof ist das etwas zu illusorisch. Es bleibt nur ein einziger Weg, um Emilio und die, die das Paket aufgegeben haben, zu entschädigen.

Der gefällt mir aber nicht, so ist Untertauchen angesagt.

Die Ruhe des Sonntagnachmittags führt mich geschwind zu meiner Wohnung. Ich steige aus dem Taxi und bezahle den Fahrer großzügig.

Der Überraschungsumzug wird spartanisch. Ich kippe den Inhalt des Koffers auf den Boden und packe das Nötigste, einschließlich meiner Dokumente ein. Der Abzug eines ausgefüllten Meldescheins fällt aus dem Ordner. Das Papier ist mit dem heutigen Tag obsolet. So etwas werde ich in absehbarer Zeit nicht ausfüllen. Zumindest nicht ohne Selbstmordabsichten. Emilio hat einige – sagen wir es mal so – Freunde bei den Behörden.

Bevor der Laptop eingepackt wird, schalte ich ihn ein, besuche zahlreiche Online-Banking-Seiten und plündere meine unter Decknamen eröffnete Konten. Alles landet auf dem persönlichen Girokonto und der Computer in der Laptoptasche. Nicht gezahlte Steuern und Abgaben spielen heute keine Rolle.

Es gäbe eine andere Möglichkeit unterzutauchen. In München leben tausende Menschen ohne festen Wohnsitz und zum Teil mangel- und zweifelhaften Dokumenten. Obdachlosigkeit vorzuspielen … wäre schwachsinnig. Ich wäre gezwungen, auf dem Geld zu sitzen, denn wenn ich es ausgäbe, fiele es auf. Tote werden in Geschäften für gewöhnlich nicht bedient und sind als Vertragspartner generell verpönt.

Ich verlasse die Wohnung, mit dem Plan, das Geld bei verschiedenen Bankautomaten abzuheben. Mein vorläufiges Ziel ist ein Hotel, in dem man gegen zusätzliche Geldscheine die Ausweispflicht nicht allzu ernst nimmt. Das würde mir einige Tage Ruhe bringen, bis ich mich entscheide, wohin.

Auf der Straße herrscht kaum Verkehr. Umso verwunderlicher ist, dass ein schwarzer Lieferwagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkt. Sind Emilios Leute gescheiter, als ich denke? Die getönten Scheiben sprechen dafür, aber ich stehe schon auf der Straße, für alle sichtbar, mit Koffer und Laptoptasche. Für Bedenken ist es etwas zu spät. 

Ich schreite Richtung Norden. Es ist still, bis das Anspringen eines Motors meine brüchige Ruhe in tausend Stücke zersprengt. Der schwarze Lieferwagen wendet und folgt mir im Schritttempo. 

Mist!

In meinem Kopf taucht aus der sich formenden Panik eine Idee auf und ich folge ihr. Erste Straße nach links, dann geradeaus, zweite nach links und sofort nach rechts.

Je schneller ich laufe, desto mehr nimmt der Lieferwagen Fahrt auf. Aus dem Inneren sickert mexikanische Musik. Die Schritte werden zu Laufschritten dann zum Sprint. Die Atmung beschleunigt ist sie kaum in der Lage, mit meinem Puls mitzuhalten. Alles, was ich trage, wird zur unnützen Last. So lasse ich den Koffer los und werfe die Laptoptasche ab.

Ich stürme hinein zum Empfang.

»Bitte helfen Sie mir! Man will mich umbringen!«, schreie ich.

Ich höre die sich nahenden Schritte.

»Beruhigen Sie sich. Sie sind auf einer Polizeiwache. Was ist los? Wer bedroht sie?«, fragte der Beamte hinter dem Pult.

»Bin Drogenkurier und möchte gegen meine Auftraggeber aussagen. Ich will ins Zeugenschutz-Programm!«

Der Blick des Beamten hebt sich und wird hinter mir fokussiert. Ich drehe mich um und erwarte das Ende.

Ich erblicke vier Männer. Einer trägt meine hinterlassenen Gepäckstücke. Ein anderer hebt eine kleine Packung hoch, die, die ich in einem Strandhotel im Süden von Mexiko eingepackt habe. Die, die an Emilio adressiert ist. Die, die ein Kilo reines Kokain enthält.

»Suchen Sie das, Herr Schöb?«

»Ja! Nein! Woher haben Sie das? Wer sind Sie?«, frage ich und versuche zu erraten, in was für einer alternativen Realität ich gelandet bin.

»Hallo Kollegen«, höre ich den Beamten hinter mir. »Wieder jemanden gefangen?«

»Kollegen? Gefangen? Was wird hier gespielt?«

Der Mann mit der Packung Kokain in der Hand tritt hervor, holt einen Dienstausweis aus seiner Tasche und zeigt ihn vor.

»Ich bin Polizeikommissar Andreas Obrador vom Rauschgiftdezernat …«

 

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