Von Christiane Labusga
In der Disco kann er kaum die Augen offen halten, dennoch sieht er sie: Glänzende, reine Haut. Nicht besonders hübsch, aber die Haut, die Haut… Sie hat einen leichten Unterbiss, dass mag er. In Afrika soll es sogar ein Volk geben, dass seinen Frauen Teller in die Unterlippe appliziert. Oder hatte, er ist da nicht ganz informiert, Afrika ist nicht sein Gebiet.
Er tanzt sie an, und sie mag seinen Style. Elaboriert, nicht offensiv, keine Angeberei. Sie bemerkt, dass er alle Melodien kennt, sich anpassen kann. Er schließt die Augen, tanzt nur noch der Musik und ihrem Geruch nach. Keine Drogen, die perfekte Quelle!
Schließlich ist sie erschöpft.
„Wollen wir mal kurz nach draußen gehen?“
Sie schaut ihn an, fragend, müde, interessiert.
„Und was machen wir da?“
„Na, was du willst.“
Ja, bereits auf dem Weg hinaus greift sie seine Hand (die er ihr gerne gibt), sie sagt: „Führe mich, ich sehe fast nichts nach dem Dunkeln.“ (Dem Dunkeln? Seine Augen brennen noch von der Helligkeit, den Blitzen, den Smartphones.)
Er führt sie ein Stück in den Park hinein, ein paar Meter hinter den Parkplatz. Sie küssen sich. Dann lässt er seine Küsse ihren Hals hinab gleiten, findet einen Puls und kann sich nicht mehr zurück halten.
Sie schreit auf. Wehrt sich. Ruft um Hilfe. Drei besoffene Gestalten kommen, versuchen, ihn von ihr fortzureißen, aber er trinkt, trinkt, trinkt trotz der Schmerzen – dann muss er aufgeben.
Polizei und Rettung treffen fast gleichzeitig ein, er wird mit in den Rettungswagen gepackt, denn der letzte Schlag mit einem Stein hat seine linke Gesichtshälfte stark demoliert. Die Polizisten verfolgen die Betrunkenen. Wenn ihm die Verletzung Freiheit schenkt, geschenkt!
Angekommen im Krankenhaus weiß niemand mit ihm etwas anzufangen, seine Wunden sind schon verheilt.
„Ich bin ein Angehöriger, kann ich bitte zu ihr?“
Er kann nur zwischen den zusammengekniffenen Wimpern durch das Krankenhaus gehen, das Licht schmerzt.
Dann sieht er, wie sie mit einem Blutbeutel versehen in ein Zimmer gefahren wird. Er darf dort hinein, die Patientin ist nicht lebensgefährlich verletzt, das Zimmer ist ein normales Krankenzimmer.
Zögerlich geht er an ihr Bett. Sie ist wach.
„Es tut mir leid!“
„Ach, f*** you, was für ein Perverser bist du denn?“
Sie greift nicht nach dem Notknopf, will ihn offensichtlich anhören, vielleicht wirkt ja schon die alte Regel: Mach keinen der deinen öffentlich (oder moderner: Oute keinen).
„Es tut mir leid. Ich wollte dich austrinken.“
Sie nickt, versteht. Versteht?
„Wenn diese Deppen nicht gekommen wären, würdest du nicht hier liegen.“
„Ja, sondern ziemlich blutleer am Straßenrand.“
„Tot im Park. Du weißt, was das bedeutet, dass du überlebt hast?“
„Sorry, nur aus Filmen und Storys. Du bist live. Was bedeutet das?“
„Du wirst deine Freundinnen nie wieder sehen.“
„Hahaha, du machst mich froh!“
„Deinen Freund?“
„Nope!“
„Deine Familie?“
„Ach, das ist die beste Frage, die auf keinen Fall. Ich kann mir kaum verzeihen, dass ich geschrieen habe, ich wäre so gern in deinen Armen gestorben. Gerade richtig, unglaublich sexy!“
„Verstehst du die Tragweite?“
„Klar, ich bin jetzt eine Vampirin!“
„Du wirst niemals wieder das Licht lieben, nur noch mit den Augen blinzeln im Hellen, du wirst dich verlieben, aber keine dauerhafte Beziehung haben können, nur diese laschen, zwischen dir und mir, und morgen vielleicht jemand anderes. Kinder musst du dir erjagen, und sie werden dich nicht lieben, wenn du sie erjagst.“
„Aber ich werde unsterblich sein und stark.“
„Und einsam.“
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