Von Christiane Labusga
Peach und Easy sitzen bei Oma Schmodtke in der Küche. Auf der Anrichte brodelt die Kaffeemaschine und Oma Schmodtke hat Erwin auf dem Schoß. Sie streichelt leicht ziehend seine Ohren und Erwin knurrt mal wohlig, mal warnend. Eigentlich mag er das ja gar nicht, aber an solchen Sonntagnachmittagen, wenn alle um den Tisch sitzen und es gleich Kaffee und Kuchen geben wird, lässt er es sich doch gerne gefallen.
„Für wen ist die vierte Tasse?“, fragt Peach.
„Sebi kommt heute.“
„Cool!“, sagt Easy.
Peach schaut fragend zu Oma Schmodtke, aber natürlich, die wird sie nicht aufklären, dann zu Easy. Der reagiert nicht, ist ganz versunken in ihren Anblick. Denn Peach sitzt vor dem Fenster, und das Licht lässt ihr rotes Haar golden leuchten. Auf dem Weg nach Hamburg zur Segeltörn hatte sie sich ihren Irokesen abrasiert, und dann ihre Haare einfach wachsen lassen. Sie sind inzwischen lang genug, um sich zu locken, wie das Fell eines Lammes.
Es klingelt. Peach springt auf, schneller als Oma Schmodtke, und geht öffnen.
Nach kurz angebundenen „Hallo“s im Flur tritt Sebi ein in die Küche, stellt einen großen Koffer ab, umarmt Oma Schmodtke (Erwin dabei fast erdrückend, aber der mag Sebi so gerne, dass er sich auch das heute gefallen lässt) und schrubbelt Easy über den Irokesen.
„Leute, schön wieder hier zu sein!“
Peach steht im Türrahmen, skeptisch.
„Komm, setz dich, Sebi!“, Oma Schmodtke klopft mit der flachen Hand auf den vierten Stuhl. „Der Kaffee ist gleich durchgelaufen.“
„Käsekuchen?“, fragt Sebi.
Easy nickt: „Und Himbeerrolle vom Bäcker.“
Von der Kaffeemaschine kommt jetzt ein lauter Rülpser, dann ein abschließendes Röcheln.
„Kaffee ist durch! Peach, kannst du uns bitte einschenken?“ strahlt Oma Schmodtke, aber nicht in Richtung Peach, sondern Sebi ins Gesicht.
Peach, von Skepsis zu schlechter Laune gewechselt, gießt allen ein und setzt sich dann wieder auf ihren Platz vor dem Fenster.
Sebi spricht sie an: „Peach, passender Name. Bist du eine Freundin von Oma Schmodtke?“
„Nein!“, Oma Schmodtle muss das sofort richtig stellen. „Peach ist eine Bekannte von Easy. Sie ist nur immer hier, wenn sie abends im Laika arbeitet.“
Easy wird rot. Peach würde ihn doch sicherlich auch ohne das Laika besuchen. Er traut sich nicht, Peach anzuschauen.
„Ach, das Laika, gibt‘s das noch?“
Oma Schmodtke steht auf, den Käsekuchen verteilen.
Peachs Laune scheint sich zu bessern, durch die Lücke zwischen Oma Schmodtkes Armen und ausladender Brust hindurch schaut sie Sebi an: „Klar gibt‘s das Laika noch, auch wenn es nicht mehr das Alte ist, seit die Kreuzberger hier einsickern. Es heißt jetzt Syndikat“
Sebi lacht.
„Ja, die Gentrifizierung. Kreuzkölln nennt man den Kiez hier neuerdings?“
„Ja, Neuköllner ohne Stolz nennen den so,“, sagt Oma Schmodtke streng. „Jetzt aber erst mal Käsekuchen, lasst es euch schmecken.“
Sie schmatzen eine Weile, schlürfen Kaffee, dann sagt Sebi zu Peach:
„Du hast wirklich schöne Haare. Ich dachte, du hättest auch einen Irokesen.“
„Ja“, grätscht Oma Schmodtke rein, „das wächst wie verrückt, noch eine Woche und wir können sie Rapunzel nennen!“
„Rapunzel, interessant. Ich musste das Märchen kürzlich wieder lesen. Das ist ja recht brutal, mit heutigen und erwachsenen Augen. Die Eltern Junkies, die Drogendealerin, die das Kind kidnappt – um was mit ihm zu machen? Mit der Zwölfjährigen? Nicht auszudenken. Sperrt sie weg für – welche Zwecke auch immer. Und dann ein Kerl, der sich Zugang verschafft, heute vielleicht über eine App für Kinder, wie es Pädophile so machen… Die böse Hexe, die noch mal dazwischen geht, vielleicht will sie Rapunzel aufbewahren, um sie an einen Scheich zu verkaufen? Aber der Pädophile bekommt die Minderjährige am Ende – echt krass.“
Peach muss lachen. „Krass“ hat sie das letzte Mal zuhause von ihrem alten Vater gehört.
„Na“, schnauft Oma Schmodtke, „unsere Rapunzel geht jedenfalls nicht mehr als Minderjährige durch. Jedenfalls nicht äußerlich.“
Peach verzieht kurz den Mund und tut dann so, als hätte sie nichts gehört.
„Zeit für das Laika, äh Syndikat“, sagt Easy nach dem zweiten Stück Käsekuchen. „Ich bring noch schnell deine Koffer hoch, Sebi, und gehe dann mit Peach rüber.“
Auf dem Weg ins Syndikat kommen Easy und Peach am Inklusions-Café vorbei. Drinnen sitzt Alina neben ihrer Pflegemutter und der Frau vom Jugendamt.
„Wirklich, Alina, wir müssen dir das Handy wieder wegnehmen. Du bist noch nicht reif dafür!“
„Das ist gemein!“
„Du kannst nicht wildfremden Menschen Nacktfotos von dir schicken!“
„Also, das ist kein Fremder, das ist der Timo. Und nackt war ich auch nicht, ich hab doch die Haare aufgemacht und über die Brüste gelegt. Da ist nichts zu sehen. Wenn ihr so gemein seid, will ich zurück zu meinen Eltern!“
„Deine Eltern, mein Schatz, die können sich nicht um dich kümmern. Wenn sie mal eine wache Minute haben, dann nur, um sich neue Drogen zu besorgen.“
„Das ist gemein!“
„Ja, entschuldige. Aber es geht nicht. Und du darfst nicht mit Wildfremden Nachrichten und Bilder austauschen. Das ist gefährlich.“
„Gar nicht wildfremd. Hier, das ist der Timo…“ Alina nimmt das Handy aus der Hand ihrer Pflegemutter und scrollt einen Moment. Dann zeigt sie das Foto eines lächelnden Jungen mit großen dunklen Augen in ihrem Alter herum.
„Der ist doch richtig süß!“
„Alina, woher willst du wissen, dass das wirklich Timo ist?“
„Ach, ihr seid alte Hexen, ihr denkt nur das Schlechteste von den Leuten. Männerfeinde!“
Im Syndikat sitzen schon die ersten Gäste. An einem der Tische zwei ältere Männer aus der Nachbarschaft, die ihre Handys hin- und hergehen lassen.
„Schau mal, meine Rapunzel, haha!“
„Na, die ist ja süß. Tolle Haare. Hast du noch mehr von der?“
„Noch nicht. Aber das wird schon. Scheint ziemlich liebebedürftig zu sein, die Kleine. Ein bisschen Lob, ein paar nette Worte, und dann dreht die richtig auf. Ich glaube, ich werde sie mir demnächst schnappen.“
„Wenn du mit ihr fertig bist, lässt du mich auch mal ran?“
„Ehrensache, Mann, Ehrensache!“
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