Von Ingo Pietsch

„Hallo, mein Name ist Petoh Nema. Ich begrüße euch hier im neuen Museum in Berlin in der Wander-Sonderausstellung menschlicher Geschichte. Wie ihr seht, steht hier eine maßstabsgetreue Nachbildung der Cheops-Pyramide mit einer Höhe von 3 Metern.“

Petoh blickte in die wissbegierigen Gesichter der Siebtklässler. „Der altägyptische Name für Cheops lautet: Chufu. Die Pyramide ist ungefähr 4500 Jahre alt, 139 Meter hoch und besteht aus ca. 2,3 Millionen Steinblöcken. Wobei das Gewicht zwischen 2,5 und 80 Tonnen pro Block liegt. 80 Tonnen entspricht ungefähr dem Gewicht von 60 Autos.“

Ein Raunen ging durch die Menge der Schulklasse.

„Zum Teil wurden die Felsblöcke in einem nahe gelegen Steinbruch aus dem Stein getrieben, aber auch über den Nil mit Schiffen transportiert. Die Ägypter kannten den Flaschenzug zwar noch nicht, aber es gelang ihnen trotzdem, die Steine zu heben und zu bewegen. Sie nutzten dazu Kräne und Baumstämme um die Blöcke über den sandigen Boden zu ziehen. Zum Stapeln waren Sandrampen unterschiedlichster Art im Einsatz. Hunderttausende Arbeiter fertigten die Pyramiden im Schichtbetrieb. Die Bauzeit betrug ungefähr 30 Jahre. Als Grabmal wurde die Pyramide nie genutzt. Die steinernen Übersarkophage waren leer gewesen. Die Cheopspyramide, sowie alle anderen Pyramiden sind außergewöhnliche Bauwerke, die auch als Weltwunder in die Geschichte eingegangen sind, da sie an Können und Perfektion kaum zu überbieten sind. Bevor wir uns einen echten Sarkophag ansehen – hat noch jemand Fragen? Ja, Pipi Langstrumpf.“

Ein Mädchen, mit rotem Haar, zwei Zöpfen, Sommersprossen und Brille hob die Hand und schaute erst ein wenig grimmig, als sie die Bemerkung überging: „Sind Sie auch Ägypter?“

Petoh stand genau vor einem Plakat der Ausstellung, auf dem ein Pharao abgebildet war. Er drehte sich um und sagte dann: „Ja, die Ähnlichkeit ist kaum zu übersehen. Meine Eltern stammen aus Kairo. Ich bin aber in Deutschland geboren.“

Ein Junge, schlaksig, mit einem Buch in der Hand trat vor: „Stimmt es, das Außerirdische beim Planen und Bauen der Pyramiden geholfen haben? Das steht hier drin!“

„Ähm, es gibt eigentlich keine Hinweise darauf. Alles war mit den damaligen Errungenschaften möglich. Wie heißt denn der Autor?“

Der Junge hielt das Buch höher: „Erich von Däniken. Kennen Sie den?“

Petoh verschränkte die Arme: „Ja, ich habe von ihm gehört. Er stellt ziemlich kühne Behauptungen auf, ohne aber wirklich Beweise dafür zu haben. Das meiste entspringt wohl seiner Phantasie.“

Das Mädchen schritt vor: „Kevin, du Dumpfbacke, die Ägypter hatten Hilfe von den Atlantern. Als Atlantis im Meer versank, versuchten sie ihre Hochkultur zu retten.“

Kevin presste das Buch gegen seine Brust. „Die Pyramiden waren Wegweiser und möglicherweise auch Landeplätze für Raumschiffe, Denise. Woher sollten die Ägypter sonst ihr Wissen gehabt haben?“

„Von den Atlantern.“ Die beiden wurden immer lauter.

Petoh wandte sich an die Klassenlehrerin: „Sind die immer so?“

Die zuckte mit den Schultern: „Sie waren nicht bei der Debatte über die Nachhaltigkeit von Elektroautos dabei.“

Petoh nickte verständnisvoll.

„Fakt ist, dass man so große Steinblöcke auch mit modernster Technik kaum so bewegen und zusammenfügen kann, wie es angeblich vor so langer Zeit gewesen sein soll“, fuhr Denise fort.

„Ja, weil die Menschen Hilfe von Aliens hatten, den Ancient Aliens.“

„Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit sind überhaupt nicht möglich. Wie sollen die denn hierher gekommen sein?“

Denise war rot angelaufen.

Kevin holte tief Luft: „Wie sollen deine Atlanter denn Sandrampen gebaut haben, wenn Wissenschaftler sagen, dass alles dort damals fruchtbares Land gewesen sein soll? Vielleicht standen die Pyramiden sogar im Wasser. Was die Korrosionsspuren an dem Sphinx und die Anlegestellen mit den Booten auf dem ganzen Gelände erklären würde.“

„Eigentlich handelte es sich um Schiffe, die die verstorbenen Seelen ins Totenreich bringen sollten“, warf Petoh ein.

„Die Atlanter besaßen Maschinen, die mit Kristallen betrieben wurden. Und die brauchten auch Energie, um aufgeladen zu werden. Die Pyramiden besaßen damals metallene Spitzen, die die Elektrizität aus der Atmosphäre absaugten.“ Denise stand Kevin jetzt ganz dicht gegenüber.

„Ja, für die Raumschiffe.“

„Mhm“, Denise war wütend: „Auf jeden Fall waren es nicht die Ägypter alleine. Denn die Gänge und Luftschächte wurden schon im Vornherein geplant, in die Blöcke integriert und dann zusammengebaut. Nachher ging das nicht mehr.“

Kevin nickte und alle sahen Petoh an. Der hatte sich an einen Pfahl gelehnt und wäre fast umgefallen. Er hob abwehrend die Hände. „Man hat keine Aufzeichnungen über irgendwelche moderne Technik oder Raumschiffe gefunden. Also waren es die Ägypter wohl doch alleine. Kommen wir zu einem ganz speziellen Ausstellungsstück: Einer echten ägyptischen Mumie!“

Petoh geleitete die Schulklasse zu einem Glaskasten in dem ein aufgeklappter Sarkophag mit einer Mumie stand. Diese war durch aufwendige Technik vor der Außenwelt geschützt.

„Wer genau diese Person war, lässt sich nicht mehr genau sagen, da sie bei einem englischen Sammler auf dem Dachboden gefunden wurde.“

Einige Jugendliche lachten.

Petoh lachte mit: „Einige Sensationsfunde macht man gelegentlich auf Dachböden oder in Kellern. Früher war der Erwerb von kulturellen Gütern an der Tagesordnung. Heute ist das Grabräuberei. Aber ich komme vom Thema ab. Normalerweise werden die Organe verflüssigt und dann durch die Nase oder den Po mit Haken herausgezogen.“ Er zeigte mit der Hand auf die betreffenden Stellen und einige Schüler mussten würgen. „Das Besondere an dieser Mumie ist – es handelt sich übrigens um eine Frau –, dass bei der Einbalsamierung nur das Herz entnommen wurde. Und zwar mit einem scharfen Gegenstand, wahrscheinlich einem Ritualdolch und bei lebendigem Leib!“

Alle hielten die Luft an. Die Lehrerin zupfte mit blassem Gesicht an Petohs Ärmel.

„Das alles erfuhren wir dank moderner Röntgentechnik, ohne die Mumie zu beschädigen. Gibt es dazu noch Fragen? Kevin, Denise?“

„Ist das Skelett menschlich?“, wollte Kevin wissen.

Denise trat Kevin auf den Fuß.

„Noch weitere Fragen? Nein, dann wünsche ich euch noch viel Spaß auf dieser Ausstellung und übergebe an meinen Kollegen, der euch das Maya-Reich näher bringt und gerne zu den Theorien von Herrn Däniken Frage und Antwort steht.“

 

Die letzten Lichter gingen aus.

Eine gespenstische Stille verbreitete sich in den Ausstellungsräumen.

Petoh huschte zwischen den Exponaten hin und her.

Er hatte die Alarmanlage ausgeschaltet und war dabei, sein Werk zu vollenden.

Vorsichtig hob er den Glaskasten hoch, der über der Büste von Nofretete stand. Er stellte den Kasten auf den Boden und trug die Büste in den nächsten Raum zu der Mumie, der das Herz entrissen worden war.

Dort öffnete er die Vitrine und legte die Mumie behutsam auf den Boden.

Er strich ihr zärtlich über das bandagierte Gesicht. „Nifertiti oder Nofretete, wie man dich jetzt nennt, wie lange habe ich dich gesucht und noch viel länger dein Herz.

Die Hohepriester haben mir den Frevel an der Vielgötterei nie verziehen; dass ich nur noch einen Gott anbetete und verfluchten mich mit ewigem Leben und dich mit ewiger Verdammnis. Jahrhunderte war ich, Echnaton in einem Sarg eingesperrt. Doch jetzt wird dich dein geliebter Amenothep wiederholen. Diese dummen Menschen. Niemand machte sich wegen meines Namens Gedanken. Petho Nema.“ Amenothep lachte vor Wahnsinn, seinem Ziel so nahe. Er hob die Kanope in Form der Büste seiner Frau hoch in die Luft und hielt inne.

„Däniken, wenn er wüsste wie nah er an der Wahrheit und doch so entfernt mit seinen Theorien ist.“ Er schüttelte den Kopf, zertrümmerte die Büste, hob das frische Herz auf und leitete damit die Wiederauferstehung Nifertitis ein.

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