Von Michael Kothe

 

»Der da könnte es sein.«

»Du Macho!« Verhalten grinst Subinspector María Dominguez ihren deutschen Kollegen an. »Du glaubst wirklich, Frauen taugen nicht als Drogenkuriere? Und was ist zum Beispiel mit der dort am Fenster?«

»Das habe ich so nicht sagen wollen. Aber der Typ verhält sich verdächtiger als die da drüben mit ihrer Ich-will-nie-wieder-Sex-Frisur. Ich finde, er wirkt äußerst nervös, während sie nur auf jemanden zu warten scheint.«

Trotz der Frotzelei hat Heiko, Inspektor bei der Bundespolizei, seine spanische Kollegin ins Herz geschlossen und genießt es, während ihrer Abordnung zum Aufspüren von Drogenkurieren zusammen mit ihr am Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafen Dienst zu tun. Ihre Behörden versprechen sich einiges von der Zusammenarbeit. Schließlich hat María am Flughafen Barajas in Madrid reichlich Erfahrung gesammelt und mag zahlreiche vermeintliche oder wirkliche Kuriere anhand der Fahndungsfotos erkennen, die sie in ihrem fotografischen Gedächtnis gespeichert hat. Außerdem ist sie eine charmante Kollegin und mit ihrem langen dunkelbraunen Haar und ihren braunen Augen auch äußerst hübsch. Heiko weiß, dass ihn seine Kollegen um die gemeinsame Streife mit ihr beneiden.

»So, du Chauvi, da hast du deinen Drogenkurier! Seine Frau hat er wohl gefunden. Und seine Tochter auch.«

Sie gehen näher an die Halle mit den Gepäckbändern. In Zivil müssen sie vor der Glastür bleiben, um nicht ihrerseits Verdacht zu erregen.

»Schau mal da!« Wie aus einem Mund klingt es, und beide heften ihre Blicke an einen etwa 40-Jährigen, der nun in die Vorhalle des Abschnitts D von Terminal 1 tritt. Obwohl die Polizisten der sommerlichen Temperatur angemessen sportlich-leger gekleidet sind, vermeiden sie es, das temperierte Flughafengebäude zu verlassen. Doch auch drinnen steht die Luft, und jeder Passagier, der das Terminal durch die Schiebetüren nach draußen verlässt, sorgt für einen Schwall Sommerhitze, die nach innen dringt.

María senkt ihr Kinn nach links zum Kragen ihres Polohemds, wo sie sich das unscheinbare Mikrofon angeklemmt hat.

»Wir verfolgen einen Verdächtigen. Er kommt vom Flug aus Madrid. Hat einen großen Rollenkoffer dabei und trägt einen dicken Wintermantel. Jetzt nimmt er den Rollsteig nach unten. Wohl in Richtung S-Bahn oder Bus beziehungsweise Taxistand.«

Obwohl sie so viel Abstand halten, dass es nicht nach einer Verfolgung aussieht, dreht sich der Passagier im Mantel mehrmals um und betrachtet interessiert die Polizisten in Zivil, als habe er sie als Fahnder erkannt. Dann blickt er nach vorn und verfällt beinahe in einen Laufschritt. Durch den unterirdischen Tunnel hastet er zum Terminal 2, biegt am Ende nach links ab und überquert den tiefer gelegenen Platz mit dem Airbräu-Restaurant und anderen Gastronomiebetrieben.

»Es wäre auch zu schön gewesen, wenn er nach rechts abgebogen wäre zu unserer Dienststelle. Da kämen wir nicht ins Schwitzen.« Übertrieben gequält seufzt María. »Weißt du was?«, fragt sie zu Heiko gewandt, der Tempo aufnimmt, um die Distanz zu dem Verfolgten nicht größer werden zu lassen. »Der will zum Parkhaus!«

Am nächsten Durchgang hält Heiko abrupt inne, so dass María fast in ihn hineinläuft. Ihrem Kollegen war sie blind gefolgt, so sehr hatte sie sich auf das Funkgespräch konzentriert. Um die Ecke des Tunnels beobachten sie, wie der Verdächtige sich mit dem Kassenautomaten beschäftigt.

»Also, sein Gepäck ist sauber, meinen die Kollegen vom Zoll. Aber warum – por dios – gibt er sich so gehetzt?«

»Vielleicht ist ihm warm, und er will seinen Mantel loswerden«, scherzt Heiko. Ohne, dass sie darüber sprechen müssten, weiß er, dass seine Kollegin gleichfalls in den Taschen oder im Futter des unangemessenen Kleidungsstückes Schmuggelware vermutet. Wahrscheinlich Drogen, die warum auch immer bei der Sicherheitskontrolle vor dem Abflug nicht aufgefallen waren. Schließlich trägt der Mantel dick auf und ist schwer. Platz für Verstecke bietet er wohl reichlich, und das Gewicht hält die versteckten Päckchen unauffällig an ihrem Platz, so dass sie nicht verrutschen und nicht ausbeulen.

Ein Grinsen huscht über das Gesicht des Passagiers, als er sich vom Automaten abwendet und nach einem kurzen Orientierungsblick zielgerichtet eine Zone des Parkdecks ansteuert.

Die beiden Polizisten schauen sich an. Offenbar hat der Typ im Mantel seine Verfolger entdeckt.

»Na los! Dann wollen wir mal.«

Der kurze Spurt wird jäh unterbrochen, als der Verdächtige losrennt und nach ein paar Schritten mit Schwung den Koffer loslässt, der den Polizisten vor die Füße purzelt. María kann ihren Sturz gerade noch aufhalten, indem sie sich an Heikos Schulter festklammert und ihm ihre Fingernägel unters Schlüsselbein gräbt. Sein schmerzverzerrtes Gesicht entkrampft sich, als er ihr dankbares Lächeln sieht.

»Gern geschehen«, meint er und grinst, während er den Schmerz wegmassiert.

Ein wenig ratlos schauen sie sich um und entdecken schließlich den Verfolgten, der mehrmals die Richtung wechselt und gerade in eine Durchfahrt hastet. Am Ende des Parkdecks holen sie ihn ein, als er mit der Fernbedienung einen schwarzen SUV aufschließt und sich auf den Fahrersitz hangeln will..

»Polizei! Drehen Sie sich mit dem Gesicht zum Fahrzeug und legen Sie die Hände aufs Wagendach!«

Während ihr Kollege den Verdächtigen abtastet, steht María sichernd schräg neben ihm – das Poloshirt an der Seite hochgeschoben und die Hand am Holster, dessen Lasche sie vorsorglich gelöst hat.

»So«, meint Heiko, »nun möchte ich Ihre Papiere sehen und von Ihnen wissen, wer Sie sind und wieso Sie bei 35 Grad im Schatten im dicken Wintermantel herumlaufen. Was verstecken Sie denn in den Taschen oder im Futter?«

Der Angesprochene grinst breit, als er sich wieder umdrehen darf und aus einer Innentasche die Brieftasche mit seinem Ausweis fingert.

»Mein Name ist Karl Braun, ich betreibe einen kleinen Online-Handel und komme gerade aus Madrid, wo ich den Vertrag für eine Lieferung abgeschlossen habe. Und der Mantel, der Sie so interessiert? Dafür gibt’s eine einfache Erklärung: Für jedes Gepäckstück muss man ja heutzutage extra bezahlen. Ich hatte keine Lust auf teures Handgepäck, brauchte aber meinen Laptop, den ich nicht im Koffer aufgeben wollte. Also habe ich mich meines alten Mantels entsonnen, dessen Rückenfutter aufgerissen war. Darin hat meine Frau eine Tasche eingenäht. Da passt er genau rein. Beim Check-in sieht ihn keiner, das Gewicht ist auch egal, und ich habe ihn immer bei mir. Natürlich ist‘s unbequem, aber das spart mir bares Geld. Sehen Sie?«

Karl Braun entledigt sich seines Mantels und breitet ihn mit der Innenseite nach oben im Kofferraum aus. Aus der beschriebenen Tasche zieht er einen 17 Zoll großen Laptop und hält ihn den Beamten entgegen.

María und Heiko klappen fast die Kinnladen herunter. Ihre Überraschung ist echt, und gerade wollen sie sich von Herrn Braun mit einer Entschuldigung verabschieden, als Marías Funkgerät piept.

»Ja, was gibt’s?«, meldet sie sich und schaltet winkt Heiko zu sich, damit er mithören kann.

»Wir haben eben«, kommt die Stimme des Kollegen über Funk, »drei Kuriere festgenommen. Die beiden Frauen unter ihnen wollen die Strafe für den Drogenschmuggel wohl nicht allein ausbaden, sie sind recht geständig. Und ihr  nehmt bitte den Typen im Wintermantel fest. Er nennt sich Charlie Braun und ist der Anführer der Truppe. Er sollte sich verdächtig verhalten und uns ablenken, damit die übrigen umso einfacher durch unsere Kontrolle schlüpfen könnten.«

»Tja.« María lacht auf. »Die erste Hälfte des Plans hat ja auch prima funktioniert.«

 

 

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