Von Daniela Seitz
Blutleer und mit Malen am Hals. Die zehnte Tote und zwei vermisste Personen. Gerüchte machen die Runde. Alle seien zu exklusiven Bällen eingeladen gewesen. Der Knoblauch in den Geschäften ist ausverkauft. Kruzifixe sind plötzlich überall ein moderner Trend. Ständig anwesend und bereit, Schlachten zu schlagen. Und trotzdem bekommt „Thriller“ einen nach dem anderen.
Thriller ist das Thema der exklusiven Bälle. Jeder weiß, dass der Mörder „Thriller“ sich die Opfer auf den Thriller-Bällen holt. Keiner weiß, wo die Bälle stattfinden. Sie sollen wie Zirkusse von Ort zu Ort ziehen. Nur Auserwählte werden eingeladen. Gerade in der Jugend scheint es eine Challenge zu sein, ausgewählt zu werden. Und einmal einen solchen Ball zu er- und zu überleben. Wundert es da, dass alle zehn Toten ihr 20. Lebensjahr nicht erreichten? Die Opfer und der Mörder spielen mit dem Schauer.
„Es ist zum Verrücktwerden! Eine Einladung ist gleichbedeutend mit einer Morddrohung. Warum verständigt uns keiner, Keyla?“, wettert der Polizeichef fassungslos.
Er erwartet nicht wirklich eine Antwort von mir. Er kennt sie in- und auswendig. „Thrillers“ Profil, das ich erstellt habe. Er ist so charismatisch und romantisiert, dass öffentliche Bekundungen über die Ehre, sein nächstes Opfer zu sein, an der Tagesordnung sind. „Thriller“ ist das Idol einer ganzen Generation. Oder vielleicht auch zweier Generationen.
Denn die zwei Vermissten sind über 30 Jahre alt. Bleibt nur die Frage, ob man diese ebenfalls zu „Thrillers“ Opfern zählen kann. Haben wir die älteren Opfer nur nicht gefunden? Oder hat die ältere Generation etwas, was „Thriller“ bei der Jugend nicht findet? Wenn ja, was macht er mit den Älteren? Diese Fragen beantwortet mein Profil leider nicht.
„Sie, Keyla, Sie sind weiblich und in Ihren Dreißigern. Sie werden Undercover auf so einen Ball gehen.“
Ich schweige konsterniert und verfolge seinen Denkprozess: Sie entsprechen seinem Beuteschema! Statt dies laut auszusprechen, erklärt er, dass ich die einzige Möglichkeit bin und ich mit meinem Talent nun so auffallen müsse, dass ich eine Einladung zum Ball erhalte. Mein Talent. Wenn man danach geht, bin ich die einzige Wahl. Auch wenn ich das anders meine als mein Chef, der irgendeine Tanz- und Singeinlage von mir erwartet.
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Der Schlüssel für eine Einladung ist der Kanal „TikTok“. Stelle ein Tanz- und Singvideo ein, am besten mit dem Song „Thriller“ von Michael Jackson. So scheint es, während ich die sich ähnelnden Videos durchscrolle, die wie ein Tsunami den Kanal überfluten.
Es ist wirklich alles dabei. Von einer Halloween-Parade bis hin zum Thriller-Baby, das angeblich 20-mal am Tag Michels Video schaut und vorm Fernseher singt und tanzt. Hofft die Mutter über das Thriller-Baby auf eine Einladung oder versteht sie nur nicht, dass sie ihr Kind gefährdet, wenn sie diese Einzigartigkeit mit einem Mörder teilt?
Die Videos der Toten und auch der Vermissten sollten am interessantesten sein, weil ihre Videos eine Einladung zur Folge hatten. Aber den Gedanken hatten andere ebenfalls und sie haben das Konzept kopiert und eingestellt. Damit hat die Originalität der Ursprungsvideos extrem gelitten. Angewidert von den sozialen Medien und frustriert über den fehlenden Kuss der Muse werfe ich mein Handy aufs Bett und schaue in den Spiegel.
Natürlich, das gleiche Bild wie immer. Keine Inspiration zu erwarten. Nur der Fleck auf meiner Bluse springt mir ins Auge. Genervt ziehe ich die Bluse aus und wasche den Fleck mit Gallseife raus. Wäre „Thriller“ doch nur genauso leicht davonzuspülen.
Während ich schrubbe, erkenne ich, dass alle warten. Keiner lädt „Thriller“ ein oder wagt es, ihn herauszufordern. Alle spielen sein Spiel. Um die Sing- und Tanzeinlage komme ich nicht herum, aber ich kann ihn herausfordern. Wenn ich etwas am Text ändere und den Song selbst einspiele, werde ich von allem heftigen Shitstorm ernten. Denn es zu wagen, am Text des King of Pop etwas zu ändern, wird die Masse gegen mich aufbringen. Aber genau das brauche ich.
Um mehr Klicks als all die anderen zu bekommen, brauche ich den sogenannten Rage Bait, den Wutköder. Ich muss gezielt provozieren, um mit starken emotionalen Reaktionen mehr Klicks zu bekommen. Nicht nur die Welt muss ich reizen, auch „Thriller“ muss aus der Fassung gebracht werden. Dafür reichen 20 Sekunden aus dem Thriller-Video. Nicht länger dauern die vier Zeilen der Schauernacht. Innerhalb von drei Minuten habe ich meine Provokation zu Papier gebracht:
Take it or leave it, thats the game
I want to be you Thriller, give up cause it`s my turn now
I take it over and in my game
You’re fighting for your life, ’cause I’m your killer, Thriller, tonight.*
Die Botschaft ist nicht subtil. Aber genau das wird hoffentlich auch „Thriller“ ködern. Ein Outfit auswählen, den Text mit Karaoke-Musik einsingen und aufnehmen und den Tanz üben und dann vor der Kamera performen, braucht natürlich noch die Mithilfe eines Freundes, ist aber tatsächlich innerhalb des nächsten Tages erledigt. Jetzt bin ich mit der Kampfansage online und gespannt auf den zu erwartenden Shitstorm und „Thrillers“ Reaktion.
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„Heute um 19:30 Uhr. Kommen Sie …“, werde ich auf der Straße von einem Fremden angesprochen.
Mein Gesprächspartner bricht mitten im Satz ab, weil er mich erkennt. Doch dank meines eigentlichen Talents kann ich seinen Satz vollenden.
„… ins Landguthaus.“
Ich würde mich ja noch bedanken, aber „Thrillers“ Botschafter flüchtet vor mir. Merkwürdig, irgendwie dachte ich, die Einladung käme digital. Da es bereits 18.00 Uhr ist, lässt „Thriller“ nicht viel Zeit zwischen Einladung und Ball verstreichen. Andere würden diese kurze Vorlaufzeit fürs Aussehen aufwenden. Aber ich muss zusehen, dass ich mit Verstärkung am besten schon in spätestens einer halben Stunde dort vorab auftauche. Dass der Botschafter mich erkennt, verspricht das Scheitern der Operation. Und noch eine Einladung werde ich nicht erhalten.
Kaum vor Ort werde ich nicht eingelassen. Was daran liegt, dass die weibliche Vermisste Stella das Pech hat, mir die Tür zu öffnen. Auch sie hat mich erkannt, so wie ich sie. Und sie ist nicht vorbereitet, so wie sie mir die Tür vor der Nase zuschlägt. Doch vor der Tür stehend, höre ich den dahinterliegenden Streit zwischen ihr und einer männlichen Stimme.
Der Streit dauert lange genug, dass ich eine Nachricht an meinen Chef schicke. Die halbe Stunde war mir zu lang und ich bin sofort zum Landguthaus vorausgeeilt, obwohl ich die halbe Stunde auf Verstärkung warten sollte. Dass eine der Vermissten lebt und beim Organisieren des Balls hilft, hätte ich aber in einer halben Stunde vielleicht nicht mehr erfahren. Dies weiß nun auch mein Chef.
Dann öffnet mir ein mir unbekannter Mann die Tür und geleitet mich in einen Spiegelraum, in dem ich warten soll. Von Stella sehe ich weit und breit nichts mehr. Natürlich schließt er beim Verlassen des Raumes die Tür hinter mir ab.
„Schau mich endlich an!“
Die Stimme unterbricht meinen Gedankengang. Es ist niemand außer mir im Raum. Das ist merkwürdig. Verbergen die Spiegel irgendeinen Geheimgang und ich bin nicht alleine? Ich folge der Stimme zu einer verborgenen Nische. Dort verbirgt sich nur ein abgenutzter Spiegel.
„Du bist genauso wie sie. Du bist ein Vampir“, spricht die Stimme weiter.
Allerdings bin ich das. Wie beim letzten Blick in den Spiegel sehe ich wieder nur meine Kleidung, nicht aber mich selbst. Wäre ja auch dumm von mir, alleine als Frau zu einem Mörder zu laufen, wenn ich nur ein Mensch wäre. Ich taste den Spiegel ab. Hinter ihm liegt definitiv kein Geheimgang. Dann muss es der Spiegel sein, den ich höre.
„Können auch Menschen mit dir reden oder höre ich dich nur wegen meiner Gabe, Gedanken zu lesen?“, frage ich den Spiegel.
„Wer mich findet, zeigt, dass er misstrauisch genug ist, seine Umgebung zu erkunden, statt sich in seinem eigenen Spiegelbild zu verlieren. Es ist ein Test und eigentlich hatte ich bisher den Eindruck, dass mich niemand hören kann. Dabei entlarve ich als Einziger hier, dass ihr kein Spiegelbild habt. Selbst Stella hat mich nicht gehört.“
„Wie …“, möchte ich gerade meine Frage stellen.
„Durch meine Gabe“, ertönt hinter mir eine weitere männliche Stimme und beantwortet meine Frage.
Ich drehe mich um. Einer der Spiegel verbirgt einen Geheimgang und dort steht der männliche Vermisste Ben. Ich erkenne ihn sofort, den Vampir. Und er erkennt mich, die Vampirin.
„So wie du Gedanken lesen kannst, liegen mir die Spiegel. Sei es, sie an unterschiedlichen Orten erscheinen zu lassen oder aber ihnen die Unart, mich zu enttarnen, auszutreiben. Ihnen eine Stimme statt nur Gedanken zu geben, würde mir den Spaß vermiesen, Telepathen zu finden. Aber es scheint mir, dass die Sonne deine Tarnung erschwert.“, erklärt Ben.
„Wer sagt, dass ich nur eine Gabe habe?“, umgehe ich seine indirekte Frage nach der Art meiner Kräfte.
„Bleibt nur die Frage, ob du mit uns kommst oder nicht.“, stellt Ben fest und Stella erscheint hinter ihm.
„Du, Stella, warst also als Einzige aller Opfer schlau genug, in den richtigen Spiegel zu schauen, und du, Ben, verwandelst diejenigen, die den Spiegel finden, in einen Vampir?“, frage ich nur pro forma.
Die Gedanken, die diese Frage aufbringt, bestätigen meine Theorie. Ich brauche keine Antwort.
„Ben und Stella, ich verhafte euch wegen …“, verkünde ich meine Entscheidung.
„Gib dir keine Mühe. Wie willst du das in einer Gesellschaft beweisen, die nicht an die Existenz von Vampiren glaubt? Und die alle für unschuldig halten bis zum Beweis der Schuld?“, lacht Ben, verschwindet mit Stella schneller, als ich reagieren kann, und sperrt mich ein.
Wie soll ich es beweisen? Ohne eine gute Geschichte wegen Stella fliegt meine Tarnung auf. Warten wäre einfacher gewesen.
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Anmerkung:
Originaltext: Cause this is thriller, thriller night
And no one’s gonna save you from the beast about to strike
You know it’s thriller, thriller night
You’re fighting for your life inside a killer, thriller tonight, yeah
*Übersetzung Abwandlung Text: Mach was du willst, das ist das Spiel
Ich will du sein, Schauer gib auf, ich bin jetzt dran
Ich übernehme es und in meinem Spiel
Wirst du um dein Leben kämpfen, weil ich heute Nacht dein Killer bin „Thriller“
