Von Bernd Kleber

Hallo meine lieben Lesenden, sagt man ja heute so, dass kein Geschlecht benachteiligt wird. Ich muss Ihnen ja mal wieder was berichten. Haben Sie die Zeit … ah super! Sie wissen ja, dass ich, als Ihre Hilde Kalweit, immer bemüht bin, alles Neue mitzubekommen und auch anzuwenden.

Ich finde ja nichts schlimmer, als wenn man plötzlich nur noch Bahnhof versteht, weil man nicht mit der Zeit gegangen ist. Hat doch auch irgend so ein Politiker gesagt: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Weiß nur gerade nicht, wer das war. Und meine Tochter Hannah und meine süße Enkeltochter Luise benutzen auch manchmal so Wörter und Ausdrücke, die ich einfach nicht kenne. Neulich hat sich Luise bei mir zum Geburtstag eine Tonie-Folge gewünscht. Ich stand da wie Graf Koks von der Gasanstalt, keine Ahnung hatte ich. Hannah hat mir dann alles erklärt und als ich sie besuchte, auch gezeigt. Sehr niedlich, so ein Tonie. Na und wenn man dann Bescheid weiß, nimmt man ja automatisch wieder besser am Leben teil.

Aber ich verplappere mich wieder total. Passen Sie auf, was ich Ihnen erzählen will, ist ja, … aber der Reihe nach.

Wenn wir was erleben, dann verarbeiten wir das ja auch irgendwie, und meistens auch im Traum. Ich träume, sage ich Ihnen, das können Sie sich nicht vorstellen. Und ich arbeite dann wie eine Regisseurin auch alles mit ein, was an Geräuschen um mich so passiert. Neulich hat mein Herbert wieder so laut geschnarcht, macht er ja ganz selten, dass ich sofort in meinem Traum im Forst arbeitete und eine riesige Tanne sägte, um deren Erhalt ich erst beim Oberförster noch gestritten hatte. Hat der sich aber nicht drauf eingelassen und ich musste dann mit so einer Motorsäge diesen schönen alten Baum töten. Ist doch schrecklich, ja? Der reinste Albtraum. Aber ich bin schon wieder am Verplappern, sagen Se doch was …

Worauf ich hinaus will. Haben wir doch neulich mit Luise Schneewittchen geschaut. Herrlich. Man wird ja direkt selbst wieder zum Kind. Aber ich muss schon sagen, das Kind hat sich ziemlich geängstigt. Bei einigen Szenen des Films wollte sie gar nicht hinter dem Kissen hervorschauen und fragte immer nur: „Ist es vorbei, Omi?“. Diese böse Stiefmutter ist aber auch eine Hexe, man kann sich das ja kaum vorstellen.

Na jedenfalls gelang es mir, Luischen einigermaßen zu beruhigen und wir schauten das Gruselmärchen, ich sag ja immer Horror für Kinder, bis zum Ende. Später berichtete Hannah, dass das Kind den Film schon mitsprechen kann und die letzten zwei Faschings in der KITA immer als Schneewittchen gehen wollte. Sie zeigte mir dann auch die neuesten Fotos und fragte, ob ich eins abhaben wolle, entzückend, sage ich Ihnen. Ja, ja, ich komme ja zum Thema.

Ich also am frühen Abend nach Hause und noch kurz in die Halle, holte ein bisschen ein. Wollte ja zum Abendbrot für uns Herberts Lieblingsessen machen: Süß-saure Eier. Was? Kennen Sie nicht? Na das ist aber schade. Ist schlesisch, glaube ich. Nein, nein, nicht die Senfeier. Ich gebe Ihnen gerne das Rezept. Ach, jetzt nicht, ich soll erstmal weitererzählen? Verzeihung, wieder vom Weg abgekommen … hihi, vielleicht wie Rotkäppchen. Aber nun zurück, wir waren ja bei Schneewittchen. Herjeh.

Also wie gesagt, die kleine Luise ist ganz vernarrt in das Märchen. Und dann hat nach dem Film der Jimmy, ja, genau, der Mann von Hannah, Sie erinnern sich, das ist gut. Hat der also diesen Spruch vom Spiegel nachgemacht. Gruselig! Wirklich. Und Luischen kreischte auch sofort los und fragte dann: Was wäre denn, wenn man den zerschlüge. Nein, nicht den Jimmy, sondern den Spiegel. „Kann denn die Hexe dann immer noch zaubern?“, war ihre durchaus sehr kluge Frage, wie ich fand.

Wir überlegten und stellten fest, dass wohl eher ja, also zaubern. Denn der Spiegel war ja mehr so für die Eitelkeit. Jedenfalls muss mich das so beschäftigt haben, dass ich dann beim Einkaufen fast die Hälfte für die Süß-sauren Eier vergessen hätte, nämlich die Eier.

Ja, Sie haben Recht, ich komme zur Sache.

Ich also nach Hause, mache die Eier, gibt es immer mit Quetschkartoffeln, und Herbert ist glücklich. Allerdings liegen diese Dinger dann im Magen, als wären sie aus Blei. Keine Ahnung, warum. Vielleicht das Eigelb und der Speck und so spät abends, war ja den ganzen Tag bei Hannah, Jimmy und Luischen.

Also sahen wir fern und ich schon so am Eindösen, da sagte ich: „Also Herbert, ick geh jetze ins Bette, ick kann ma ja kaum noch senkrecht halten …“ Nickt der nur so und ich ab ins Bad.

Später lag ich da allein im Bett und schlief ziemlich schnell ein.

Und nun der Traum, ja, den will ich Ihnen doch die ganze Zeit erzählen, hören Sie doch mal zu.

Also ich gehe so durch meinen Flur, da räuspert sich unser Spiegel. So richtig, wie ein alter Kerl. Ich denke noch, na, das haste dir aber jetzt wohl eingebildet. Aber ich drehe mich kurz um. Hat unser alter Spiegel von Möbel Krieger … wissen Se noch? „Möbel Krieger wohnt, das weiß ich, Blücherstraße 32“ oder war das Möbel Kunz … na, ist ja jetzt auch egal. Der Spiegel jedenfalls schaut mich an mit so einem spitzbübischen Lächeln, ganz niedlich. Gehe ich zwei Schritte zurück und frage: „Sach mal, ick gloob ja wohl, ick spinne!“

Lacht der donnernd los und sagt: „Na, nun fragen Se doch, gnädige Frau!“

Ich denke, meint der wirklich mich, gnädige Frau und so, dreh mich noch um, wie ’ne dumme Pute. Aber dann erinnere ich mich, ja, wir wohnen ja Beletage. Da kann man wohl schon von vornehm reden. Gnädige Frau, ich könnte mich dran gewöhnen.

Gehe aber schnell weiter und denke noch so, das kann ja wohl nicht real sein. Später, als ich wieder in den Korridor komme, ruft der schon: „Guck mich an!“

Ich denke ja gar nicht dran, denke ich, also ein einziges Gedenke, und laufe weiter in die Küche. Auf dem Rückweg komme ich natürlich wieder vorbei und da ruft er: „Schau her!“ Ich so für mich: „Nö!“ und ab ins Zimmer zu Herbert. Schauten wir Schneewittchen und Herbert verkroch sich unter die Sofadecke, fragte nun immer, ob die Hexe weg ist, weil er wieder vorkommen wollte.

Auf dem Weg zur Toilette, man muss ja dann auch mal an so einem Fernsehabend, muss ich natürlich wieder durch unsere Diele, schreit der doch tatsächlich, ja, der Spiegel: „Schau mich endlich an!“

Ich denke noch so, der hat ja wohl ’ne Art an sich, bleibe aber wie angewurzelt stehen.

Schaue ihn an und er so: „Sag mal, bist du crazy? Deine Aura ist ja voll Goofy. Da hat man ja keen Bock, dich zu smashen. Das ist so cringe, dass man weiß, du bist total lost. Und wenn du jetzt nicht einen Tonie anmachst, fällt mir auch nichts mehr ein.“

Ich sage Ihnen, ich stand da wie versteinert, sah in den Spiegel und als ich irgendwie scheinbar meine Starre überwunden hatte, schrie ich laut los und … wurde wach.

Ich war ganz nass geschwitzt und Herbert, der mittlerweile wohl in unser Bett geschlurft war, schreckte neben mir hoch: „Hilde! Was los? Bist du total cringe …?“

Da fragte ich nur kurz angebunden: „Dat meinste doch wohl jetzt nicht ernst, oder?“

Aber da können Sie mal wieder sehen, wie sehr man doch die ganzen Eindrücke von außen in so einem Traum verarbeitet.

Ich stand auf, ging in den Korridor und war heilfroh, dass ich im Spiegel mein Gesicht erblickte, bisschen zerknittert, aber okay. Und in der Küche machte ich mir eine Tasse Kamillentee. Irgendwie überlegte ich dann, warum sah eigentlich der Zauberspiegel in meinem Traum aus wie Heinz aus dem zweiten Stock unseres Hauses. Was will mein Unterbewusstsein mir sagen?

Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

Also immer schön auf dem Quivive bleiben, kann ich nur sagen, und auch sich für Neues interessieren, dass man nicht plötzlich altmodisch und abgehängt ist.

Hab jetzt übrigens so eine Toniebox gekauft mit Schneewittchen, ein Hörspiel für Kinder ab vier Jahre, sieht aus wie das aus dem Film, na das Schneewittchen. Ganz genauso. Ein Glück ist kein Spiegel dabei.

Bis bald wieder, Eure Hilde.

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