Von Raina Bodyk
Morgen wird wahrscheinlich mein letzter Tag auf Erden sein. Morgen wird das Urteil über mich gesprochen.
Ich, ein geweihter Priester, soll vom Teufel besessen sein und unschuldige Menschen verhext haben. Aber bei Gott, ich bin unschuldig. Um der Wahrheit willen werde ich meine Geschichte niederschreiben. Mein unbarmherziger Wächter brachte mir Tinte und Feder, nur kein Papier. Da man mir im Kerker immerhin meine Bibel gelassen hat, werde ich einfach deren Seitenränder beschreiben. Der da oben wird es mir nicht übelnehmen.
Tausendmal habe ich darüber nachgedacht, wie ich so tief fallen konnte. Ich hatte ein privilegiertes Leben, die Jesuiten in Bordeaux waren meine Lehrer und Erzieher. 1615 empfing ich die Priesterweihe. Mir stand eine große Karriere bevor, hatte einflussreiche Wohltäter.
Tja, Urbain Grandier, dir hätten weniger Hochmut, weniger Selbstherrlichkeit besser gestanden! Ich bildete mir damals viel auf meine Bildung, die rhetorische Begabung und vor allem auf mein gutes Aussehen ein. Ich wusste einfach, mir stand Großes bevor. Zu meiner Schande muss ich gestehen, ich hielt mich für das Maß aller Dinge.
Ich werde versuchen, die Geschehnisse ehrlich und in aller Demut zu schildern. Ich will meine Seele ernsthaft prüfen, wie sehr ich selbst schuld daran trage, dass ich hier im Kerker sitze – in zerfetzten Lumpen, zerschunden, hungrig.
Mit 27 Jahren wurde ich als Pfarrer hier nach Loudun geschickt. Die vornehmsten Kreise öffneten mir bereitwillig ihre Türen.
Mit den Frauen und Mädchen hatte ich leichtes Spiel. Ich konnte sie alle haben. Wie viele Liebhaber, Väter und Ehemänner mich wohl am liebsten umgebracht hätten? Zurückblickend bin ich über mich selbst entsetzt. Wie konnte ich mich so weibstoll und verletzend benehmen? Ich schreckte nicht einmal davor zurück, Philippe, die Tochter des Staatsanwaltes, zu verführen und zu schwängern. Damit machte ich mir einen tödlichen Feind.
Ich genoss es, andere wegen ihrer Fehler und ihrer Unwürdigkeit vorzuführen und sie in der Öffentlichkeit lächerlich zu machen. So wuchs die Schar meiner Gegner schnell.
Doch meine gerechte Strafe wartet schon auf mich. Nur noch wenige Stunden …
Vom Zölibat hielt ich nichts, schließlich hatte sogar unser lieber Kardinal Richelieu eine Mätresse. Arrogant wie ich war, veröffentlichte ich eine Abhandlung zur Aufhebung des Zölibats. Zwischen den Zeilen stellte ich mehrmals klar, dass es in der Kirche ja ohnehin geheime Vorbehalte gegen das Gebot gäbe. Man tat, was man wollte und schwieg dazu. Auch wenn ich nur die Wahrheit schrieb, die Kirche war äußerst empört. Es war ein Riesenskandal.
Ich frage mich, warum hat der Allmächtige die Männer mit so starken sexuellen Bedürfnissen ausgestattet, wenn gleichzeitig die Kirche ihren Priestern den Beischlaf verbietet? Ich hatte nie etwas erzwungen, nie Gewalt angewendet. Die Frauen mochten mich und ich sie. Was ist schlimm daran? Mein Gewissen war rein. Daher machte mir die Geistlichkeit keine Angst. Ich war nur wütend und entrüstet.
Aber weiter: Mit meinem Verhalten hatte ich mir sämtliche Männer, ob Bürgerliche oder Geistliche, zu fanatischen Widersachern gemacht. War ich deshalb kein guter Mensch und des Priesteramtes unwürdig? Viele Gläubige kamen weiter in meine Gottesdienste. Meine Predigten waren sehr beliebt, an der Erfüllung meiner priesterlichen Pflichten gab es nichts auszusetzen.
Heute frage ich mich: War ich ein wahrhafter Christ oder ein Pharisäer?
Es dauerte lange, bis die Kirche zurückschlug. Ich wurde vom Bischof der Ausschweifung und Gottlosigkeit angeklagt. Doch ich hatte noch einmal Glück. Zu meiner unendlichen Erleichterung konnte mein wichtigster Gönner eine Strafe abwenden.
Meine Feinde zogen mich nun mit dem Zorn der Gerechten wegen wiederholten Ehebruchs vor ein weltliches Gericht und hofften, mich dadurch zu Fall zu bringen. Blasiert wie immer, habe ich mich bei diesem Prozess königlich amüsiert. Man stelle sich vor, keiner der gehörnten Ehemänner war zu einer Aussage bereit! Der Staatsanwalt zog es offenbar auch vor, den Ruf seiner Tochter nicht weiter zu ruinieren und ließ ihr von mir gezeugtes Kind unerwähnt.
In diesem Augenblick fühlte ich mich so unangreifbar, so unverwundbar!
Genau diese Arroganz und Aufgeblasenheit sollten meinen endgültigen Untergang herbeiführen. Und zwar in der Person der Jeanne des Anges, Oberin des Ursulinenklosters in Loudun. Sie wollte mich als Beichtvater für ihr Kloster gewinnen. Sie war bildschön und hatte faszinierende Augen, die einen Mann fesseln konnten und sich mitten in sein Herz zu bohren schienen. Wäre ich nicht gerade zum ersten Mal wirklich verliebt gewesen, wäre vielleicht alles anders gekommen. So lehnte ich ab und sie ernannte statt meiner Kanonikus Mignon, einen streng konservativen Mann. Hatte sie mein Nein übelgenommen und wählte darum einen mir nicht gewogenen Kleriker?
Bald gingen beängstigende Gerüchte um, die Nonnen seien vom Satan besessen. Sie zeigten ein sehr befremdliches Verhalten, seien abwechselnd verzweifelt, wütend, sehnsüchtig, wänden sich schreiend in Krämpfen. Mignon wollte bei einem Exorzismus festgestellt haben, dass Jeanne tatsächlich von Teufeln besessen sei und einige ihrer Mitschwestern auch.
Konnte das sein? Ich hegte starke Zweifel an der Echtheit dieser Anfälle. Diese Damen spielten doch Theater! Warum auch immer. Waren sie das langweilige Klosterleben satt und gierten nach Aufmerksamkeit?
Zu meinem Entsetzen hieß es einige Monate später, die Nonnen hätten gestanden, dass ich sie verhext hätte. Ich?! Was sollte das? Was hatte ich mit ihnen zu tun? Ich kannte sie nicht einmal!
Schnell beruhigte ich mich wieder. Solche Fantastereien würde ihnen bestimmt niemand glauben! Wie sehr täuschte ich mich da! Wie eine Herde fielen immer mehr Exorzisten ins Dorf ein. Während der Rituale der Teufelsvertreibung führten die Nonnen ihre hysterischen Vorstellungen auf. Immer größer werdende Menschenmengen schauten zu.
Ein Gerichtsbeamter warnte mich kurz darauf vor einer baldigen Verhaftung. In meinem grenzenlosen Leichtsinn dankte ich ihm für seine Hilfsbereitschaft, erklärte ihm aber, ich verlasse mich auf meine Schuldlosigkeit und vertraue auf die Gerechtigkeit Gottes.
Ohne Klageschrift wurde ich festgenommen. Eine Hausdurchsuchung bei mir brachte keinerlei Beweise für einen Pakt mit dem Satan. Voll Bosheit nahm man sicherheitshalber alles mit, was mich hätte entlasten können.
Weder meine Mutter noch mein Bruder, immerhin Gerichtsrat in Loudun, durften für mich sprechen. Der Ankläger, Staatsrat von Loubardemont besprach sich nur mit meinen Feinden, bestach gar Leute, gegen mich auszusagen. Beschwerden und Widersprüche kümmerten ihn nicht. Von den Kanzeln aus verdammte man meine abscheulichen Verbrechen, beschimpfte mich mit den übelsten Worten. Niemand stand auf meiner Seite.
Endlich, nach Monaten sollte ich den Besessenen in der Kirche gegenübertreten dürfen. Jetzt musste sich alles klären, da war ich sicher. Weit gefehlt! Elf Nonnen stürzten auf mich zu und tanzten mit freudig erregten Gesichtern um mich herum. „Meister, Meister, du bist zu uns gekommen!“, kreischten sie. Ich bat sie inständig, die Wahrheit zu bekennen. Ich versuchte, ganz ruhig zu bleiben und betete laut für die Verhexten. Da krümmten sie sich wie von Schmerzen, stürmten auf mich zu und brüllten: „Du bist schuld an unserem Elend, du bist der Teufel!“ Erschrocken fuhr ich zurück und doch konnte ich mein Mitleid mit diesen gequälten Kreaturen nicht verhehlen. Was hatte man ihnen nur angetan?
Es kam mir so vor, als dämmerten bei vielen Anwesenden erste Zweifel. Im allgemeinen Geraune vernahm ich Argwohn und Zweifel an der Macht des Höllenfürsten. Konnte ich hoffen? Die Klerikalen schienen fest entschlossen, mich zu vernichten.
Dann kam die Wende. Dachte ich! Die Nonnen hatten wohl nach unserem Zusammentreffen Gewissensbisse bekommen und beteuerten meine Unschuld. Doch ich irrte erneut. Die Feinde erklärten einfach die Untersuchungen für beendet, um weitere Geständnisse zu verhindern.
Der Prozess fand am 18. August 1634 statt. Ich wurde ins Gericht gebracht, wo die Richter mir und dem zahlreichen Publikum ihr Urteil verkündeten: Anwendung der ordentlichen und außerordentlichen Folter, um die Namen von Mitschuldigen zu erfahren. Anschließend Tod auf dem Scheiterhaufen.
Nein! Mein Stolz gönnte ihnen nicht die Genugtuung, sich an meiner Angst und Verzweiflung zu weiden. Ich schaute sie nur ganz ruhig an. Wie ich ihre Wut fühlte!
***
Mein armer, armer Bruder! Er hatte seine Fehler, aber das hatte er nicht verdient. Mit seiner Verurteilung kam ich frei. Ich werde sein Skript zu Ende führen. Im Namen der Wahrheit und Gerechtigkeit.
Sein Ende war kaum zu ertragen. Bei der Folter zerschmetterten ihm die Mönche selbst die Beine mit schweren Hämmern. Über seine Lippen kam keine Klage, keine Verwünschung.
Auf dem Kirchplatz war der Scheiterhaufen bereits errichtet und Urbain wurde fast nackt, abgemagert bis auf die Knochen, mit eisernen Ketten am Pfahl festgezurrt. Ich hatte gedacht, noch schlimmer könnte es nicht mehr kommen. Doch ich hatte nicht mit der unendlichen Niedertracht der Vollstrecker gerechnet. Meinem Bruder war versprochen worden, er dürfe noch einmal zu den Menschen sprechen. Außerdem solle er erdrosselt werden, bevor das Feuer entzündet würde. Die vom Hass verzehrten Mönche verhinderten jedoch seine letzten Worte, indem sie ihm das Gesicht zerschlugen. In den Strick machten sie so viele Knoten, dass er nicht mehr um den Hals des Verurteilten passte.
„Ist`s das, was man mir versprochen hat?“, flüsterte seine kaum noch hörbare Stimme. Es zerriss mir das Herz. Mir war speiübel. Wie konnten Menschen einander so etwas antun?
Das Gemurre im Publikum wurde immer lauter. „Erdrosselt ihn!“
Das musste verhindert werden! Ein fanatischer Mönch machte sich selbst zum Henker und zündete in blinder Raserei den Scheiterhaufen an.
Bruder! Du hast mehr als genug gebüßt! Ich werde für dich beten und der Herr wird dich willkommen heißen.
