Von Marianne Apfelstedt

„Wir fahren in die Stadt, um Spitze und Geschmeide für die Ballkleider zu kaufen. Bist du immer noch nicht fertig mit dem Schälen der Kartoffeln? Los, Perdita, lauf zum Michel, damit er uns die Kutsche anspannt. Eile dich! Du musst noch einen Korb Wäsche waschen.“ Rasch schob die Stiefmutter die Tochter ihres verstorbenen Ehegatten aus der Kammer.

„Elsbeth, mein liebes Kind, wir führen die neuen Pelzmäntel aus, wenn wir in die Stadt zum Einkaufen fahren, und wir gönnen uns einen heißen Kräuterwein.“

„Gerne, Mutter. Wir müssen auch eine neue Brosche für mich kaufen und Tanzschuhe und …“ Bald darauf wurde die Kutsche angespannt. Michel ließ die Peitsche in der Luft knallen und die Braunen trabten vorbei an den zahlreichen Feldern und dem Wald des Gutshofes.

In der Küche wurde ohne die Aufsicht der Herrin weitergearbeitet. Die Köchin schob gerade den Brotteig in den Backofen, dessen Wärme durch die Küche zog, und der Küchenjunge schnitt Gemüse und Zwiebeln für den Eintopf klein.

Perdita schlang sich ein Wolltuch über das lange Haar und ihr Kleid. Mit dem großen Weidenkorb, gefüllt mit Wäsche, trat sie den Weg zum Weiher am Rande des Hofes an. Der Frost der Nacht überzog die Grasbüschel im Schatten mit zuckrigem Weiß. Eine blasse Sonne stand am Himmel und schaute nur selten zwischen den Wolken hervor. Über dem Weiher lag dick wie Graupensuppe der Nebel. Sie stellte den Korb auf dem Steg ab und begann das erste Wäschestück im Wasser hin und her zu ziehen. Mit einem Stock schlug sie immer wieder auf den nassen Stoff ein, damit sich die Seife besser verteilte. Anschließend musste der Schaum ausgespült werden. Ein kreischender Rabe flog neben ihr aus der Tanne auf und ihr Blick folgte ihm auf seinem Weg über das Wasser. Seufzend sah sie zurück auf den Wäscheberg. Der Nebel um den Steg hatte sich immer weiter zurückgezogen und direkt vor dem Steg erschien eine ovale glatte Fläche, ohne die kleinen Wellen, die sonst beständig über den See zogen. Dieses Oval erinnerte sie an den Spiegel im Schlafzimmer ihrer Stiefmutter. Wagemutig streckte Perdita eine Hand nach dem Wasserspiegel aus.

„Wer ruft die Herrin vom Weiher?“, drang eine melodische Stimme an ihr Ohr. Perdita erkannte ein Gesicht wie aus fein gemeißeltem Marmor, mit langen Haaren und Augen wie Onyx auftauchen. Die Fremde lächelte, Perdita wandte sich schnell ab, sah erschreckt auf das Holz des Stegs. Ihre Stiefmutter wurde immer wütend, wenn sie angestarrt wurde.

„Sieh mich an, Kind! Was tust du hier und wie wirst du gerufen?“
„Ich wasche die Wäsche, wie es mir die Stiefmutter aufgetragen hat. Mein Name ist Perdita.“ Die Herrin stieg weiter aus dem Wasser empor und Perdita bewunderte ihr Haar, das grün war wie die Wasserpflanzen auf dem Grund.

„Ich kenne diese Augen, eines blau und das andere grün. Vor vielen Jahrzehnten hat ein Mann mit deinen Augen einen meiner Karpfen gerettet. Er hatte einen Angelhaken verschluckt und die Schnur hat sich um einen Ast gewickelt. Dieser Mann hat sie durchtrennt, den Haken entfernt und meinen Karpfen befreit. Er gründelt immer noch im Weiher. Leider konnte ich diesem Mann nie danken, da er sich bei meinem Auftauchen erschreckt hat und nicht an den Weiher zurückkehrte.“

„Das war mein Vater Bran. Er hat zu Hause von dem riesigen Karpfen erzählt, den er befreit hat. Doch leider ist er wenige Tage später im Schlaf gestorben.“

„Seine Tochter also.“ Nachdenklich musterten die schwarzen Augen Perdita in ihrem Wolltuch und der derben Schürze über dem Kleid. Als sie die vor Kälte blauen Hände sah und den Schmutz im Antlitz der Jüngeren, waberte wieder Nebel auf. Sie streckte Perdita drei Herzmuscheln in einem Krug entgegen.

„Bewahre diese Muscheln immer in einem Gefäß mit Wasser aus dem Teich auf. Wenn du einen Wunsch aussprichst und dabei eine der Muscheln mit einem Kuss öffnest, wird er sich erfüllen. Sprich deine Wünsche mit Bedacht und bedenke, der Zauber wirkt nur in deiner unmittelbaren Umgebung.“

„Danke, Herrin.“

„Mein Name ist Valea.“ Sie lächelte, hob ihre Hand aus dem Wasser und zeichnete etwas in die Luft. Daraufhin reihten sich die Wäschestücke wie an einer Leine auf, um an der unsichtbaren Wäscheleine ins Wasser zu rutschen. Dort schwammen sie hin und her, dass der Schaum nur so davon spritzte. Als sich keine Schaumbläschen mehr bildeten, reihten sich die sauberen Stücke wieder aneinander und tänzelten zum Korb, um sich dort zusammenzufalten. Verblüfft schaute das Mädchen von den Wäschestücken zu Valea und wieder zurück.

„Wie macht Ihr das?“

„Wenn du mich wieder einmal besuchst, werde ich es dir vielleicht zeigen. Nun geh, bevor sie dich suchen kommen.“

 

Am selben Abend, nachdem die Vielzahl an täglichen Pflichten erfüllt war, nahm Perdita eine der Muscheln von Valea in die Hand, um sie genauer zu besehen. Sie hatte den Krug unter ihr Bett versteckt. Der Kater Mohrle hatte es sich auf ihrem Bett gemütlich gemacht.

„Was meinst du, Mohrle, kann mir diese Herzmuschel einen Wunsch erfüllen?“ Die Katze setzte sich neben sie und fixierte die Muschel für einen Augenblick und ließ dann ein langgezogenes „Miau“ erklingen.
Mit einem Rums schlug die Tür an die Wand der kleinen Kammer.

„Wieso bist du schon in deiner Kammer? Du musst mir heißes Wasser für meine Wanne hochtragen, weil der Knecht heute Abend nicht da ist.“

„Dann bade doch morgen, Elsbeth. Deine Haut wird schrumpelig und alt, wenn du so oft im Wasser liegst.“

„Was versteckst du hinter deinem Rücken?“ Mit einem Satz war sie bei Perdita, sie zog ihr den Arm nach vorne und versuchte, die Finger der Faust zu lösen. Bei dem Gerangel der beiden Mädchen kippte der Krug um und die Katze rettete sich kreischend mit einem Sprung auf das Dach.

„Warum herrscht hier so ein Radau? Lass sofort meine Tochter los!“, polterte die Stiefmutter. Sie trat auf den Krug, der entzweibrach, als sie Perdita grob an den Haaren auf den Boden zog.

„Sieh nur, Mutter, sie ist eine Diebin. Irgendetwas hat sie in ihrer Hand versteckt. Was ist das für ein Krug?“ Bevor jemand sich bücken konnte, sprang Mohrle zurück ins Zimmer, nahm eine der Muscheln ins Maul und lief durch die offene Tür davon. Elsbeth schloss ihre Finger um die Muschel am Boden und gab sie ihrer Mutter.

„Was soll das sein?“ Da sie nicht mehr so gut sah, hielt sie sich die Muschel ganz nah vor das Gesicht.

„Vielleicht meint sie, es schlüpft ein Prinz aus der Muschel, wie im Märchen, Mama.“ Beide lachten hämisch, während Perdita immer noch am Boden saß und zusah, wie der Stiefel der Stiefmutter immer wieder auf die Muschel trat, bis nur weißer Staub zurückblieb.

Eine Zorneswoge erfasste Perdita. Wütend ballte sie die Fäuste. Erst da bemerkte sie, dass sie die letzte Muschel in der Faust hielt. Sie nahm die Muschel in beide Hände und berührte sie mit den Lippen.

„Ich wünschte, ihr wärt Ratten! Die ich mit dem Besen hinausfegen kann.“ Kaum waren die Worte aus ihrem Mund entschlüpft, sah sie, wie sich die beiden verhassten Frauengestalten verzerrten. Aus ihrem Lachen wurde bald ein Quieken, ihre Körper schrumpften immer mehr und die Kleider fielen raschelnd zu Boden. Letztendlich huschten zwei rotbraune Ratten unter dem Kleiderberg hervor und zur Tür hinaus. Perdita schlug die Hände vor ihr Gesicht und schluchzte: „Was habe ich nur getan? Das habe ich nicht gewollt. Wenn sie bloß nicht von den Katzen gefressen werden.“ Sie saß zusammengesunken auf dem Boden und hob erst ihren Kopf, als ein leises Maunzen an ihr Ohr drang. Sie blickte auf und Mohrle legte die gerettete Muschel direkt vor sie.

„Du hast eine der Muscheln. Damit kann ich die beiden wieder in ihre menschliche Gestalt zurückverwandeln, wir müssen sie nur erst wiederfinden.“ Der Kater rieb sein Köpfchen an ihren Beinen. In der Küche suchte sie ein Tuch und wickelte etwas Brot und Schinken hinein. Dann nahm sie sich einen Krug, in den sie die Muschel legte. Zusammen mit Mohrle lief sie eilig zum Steg am Weiher. Der Vollmond beleuchtete den Weg. Am Teich angelangt, füllte sie Wasser für die Muschel in ihren Krug und verstaute ihn vorsichtig. Vorne am See suchte sie die blanke ovale Stelle, in die sie ihre Hand tauchte.

„Wer ruft die Herrin vom Weiher?“, drang bald darauf Valeas Stimme an ihr Ohr.

„Herrin, ich bitte euch, mir zu helfen“, flehte Perdita mit leiser Stimme. Als Valea ihren Kopf aus dem Wasser steckte, erzählte sie von der Verwandlung der Stiefmutter und deren Tochter, dass es ihr leidtat, und sie die beiden dringend finden musste.

„Was wirst du tun, wenn ich dir verrate, wie du sie aufspüren kannst?“

„Mohrle hat die dritte Muschel gerettet. Ich werde mir wünschen, dass sie wieder zu Menschen werden. Sie haben mich nie gut behandelt, aber ich möchte nicht, dass sie als Ratten gefressen werden oder in einer Falle enden.“ Valea stieg weiter aus dem Wasser empor, bis sie Perdita direkt in die Augen sah. Sie blickte bis in ihr Innerstes.

„Weil du deinen letzten Wunsch verwenden willst, um das Unheil, das du im Zorn gewirkt hast, wieder umzukehren, will ich dir helfen.“ Sie überreichte Perdita eine Flöte aus Weidenholz.

„Wenn du auf dieser Flöte spielst, werden dir alle Ratten in der näheren Umgebung folgen. Mohrle kann die Menschen im Rattenkörper erschnuppern. Er wird dich begleiten.“

Perdita zog mit Mohrle durch die Dörfer, um den zwei verwandelten Ratten wieder ein Leben als Menschen zu schenken. In einem Dorf am Ende des Tals wurde sie fündig.

Als Perdita die Muschel mit den Lippen berührte, stellten sich die Ratten auf die Hinterbeine. Die Körper dehnten sich aus, die grauen Tierhaare rieselten zu Boden und weiße Haut kam zum Vorschein. Kreischend und mit den Händen ihre Blöße bedeckend liefen sie in den nahen Wald, um sich zu verstecken.

Perdita spielte so fröhlich auf ihrer Flöte, dass sie die Bewohner des Dorfes baten zu bleiben. In der Schenke des Dorfes spielte sie bei jedem Fest und half der Wirtin beim Ausschank. Der Kater Mohrle war der beste Mäusefänger weit und breit und in den nächsten Jahren hatten alle Kätzchen kohlrabenschwarze Flecken im Fell.

© Marianne Apfelstedt, Version 3, 9985 Zeichen