Von Volkmar Klundt

 

„Schau dich nur an…!“

Wie eine Pappel im Wind schwankt er hin und her, doch seine Gedanken sind so klar wie ein Gebirgsbach. Auf den Lippen schmeckt er noch das Tresenlächeln, spürt das Schulterklopfen, in den Ohren klingt lautstark der Abschied, im Herzen nistet die bierselige Wärme der Gaststube.

„….du bist so ein… so ein…“

Seine Gedanken nehmen vorweg, was kommt,

was er schon so oft hörte, nämlich dass er nichts taugt…

„Du taugst nichts“, ruft sie und ihr Gesicht glüht rot.

…das er zu nichts nütze ist…

„Du Nichtsnutz“, schreit sie. Ihre Nasenflügel beben.

… dass er das Geld versäuft…

„Den letzten Pfennig trägst du in die Kneipe.“

…er ihre Mitgift durchbringt…

„Meine Eltern haben mich gewarnt, einmal Häusler, immer Häusler.“

Ihre Stimme, erbittert und schrill,

scharf wie eine Sense, schneidet durch die Luft.

Aufhören, denkt er, denn nun zieht sie ihm die Panzerhaut herunter, schmirgelt, scheuert und reibt mit harter schwieliger Hand grobsandig über seine weiche Seele, wenn sie doch nur einen Moment still wäre.

„…koche für dich…“

„…warte den ganzen Abend auf dich…“

„Aufhören“, brüllt er und schlägt mit der Hand so fest auf den Tisch, dass sie zusammenzuckt und Tassen und Teller klappernd emporspringen.

 

Einen Moment herrscht atemlos köstliche Stille

über erkalteten Schüsseln und Töpfen,

in die das Ticken der Wanduhr die Sekunden zählt.

Ihre Augen glitzern gefährlich und kühl.

Sie atmet ein und aus, als nehme sie Anlauf

und spuckt,

mit dem letzten Rest von Luft und Verachtung das Wort, das dunkelgrün und schlangengleich viel länger aus ihrem Mund schlüpft, als die Buchstaben rechtens beanspruchen dürften, von denen jeder einzelne ihm, nachdrücklich betont durch bösartige Lippen, wie eine Nadel unter die Haut fährt,

„Schlappschwanz!“,

so dass er,

als sie nun erneut Luft holen will, um dem noch etwas beizufügen, ihr die großen Hände um den Hals legt,

dem Satz, der noch in ihrem Kopf herumspringt, der ihr in den Augen steht,

den sie unbedingt noch sagen will, den Austritt verwehrt,

so dass sie nun stumm sterben muss.

Vergebens schneiden ihre Hände ihm rote Striemen ins Gesicht.

In ihrem Blick weicht die Verachtung,

Furcht und Bedauern

kehren zögernd ein.

 

Sie geht hinüber,

ohne

dass er ihr erlaubt,

was sie wohl am meisten ärgert,

auszusprechen, was ihr auf der Zunge lag.

 

Später,

nach einem dreiviertel Leben, zu dem er in Gedanken

noch die Stunden fügt,

die sie nun tot und stumm

auf dem Küchenboden liegt,

schnürt er sie mit einem Kälberstrick zusammen.

Bindet ihr das Plätteisen an den Körper, wie eine Mitgabe.

Ächzend trägt er ihren Leib, kreuz über die Schultern gelegt, hinüber zur Remise, wirft sie auf den Leiterwagen wie einen Sack Kartoffeln.

Die Nacht ist hell. Der Mond hängt gelb und hoch am Himmel, es ist bald Herbst.

Unten im Dorf bellt irgendwo ein Hund.

Radreifen rumpeln eisern übers Pflaster, ihre Beine baumeln geschmeidig im Takt, schwingen, munter auf und munter ab. Er biegt um die Kurve, zieht die Deichsel schwitzend den Sandweg empor, schlägt dann den Weg durch die Äcker ein, herum um´s kleine Birkengehölz, das hohe Gras umspielt ihre Waden, da hinten sieht er schon den dunklen Saum des Waldes. Nun ist es nicht mehr weit.

Im bleichen Mondlicht findet er den Weg hinab zum See.

Dort liegt, am Ende eines Steges, inmitten von Schilf, das Boot.

Seine Stiefel poltern übers Holz.

Er legt sie in den Kahn, stößt ab,

hebt wie schwarze Rabenschwingen nun die Ruder,

gleitet dunkel übers silberglänz´nde Wasser,

Kräuselwellen plätschern leise vor dem Bug.

Dort an tiefster Stelle, als ein zarter Wolkenstreifen

kurz den Mond verhüllt,

gleitet ihr Leib hinab und ihr bleicher kühler Blick, der ihn fängt und fesselt,

sinkt langsam in die Tiefe

und nimmt den seinen mit.

Der Himmel zieht den Vorhang auf, spiegelglatt und still leuchtet nun der See wie Silber.

Dort wo sie verschwunden ist

sieht er

nun sein fahles und geduns´nes Antlitz

schaut in tückisch kleine Augen

berührt mit leiser Hand die Striemen

-ihren letzten Gruß-,

weiß,

-er kann die Wahrheit kaum ertragen-,

dass er nichts taugt.

schreit,

schlägt die Hände vors Gesicht.

Heult Rotz und Wasser,

ich armer Mann,

greint er,

was bleibt mir nun!

 

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