Von Kornelia Wulf
Zwei bleierne Augen starren mich im Spiegel an. Mein Gott – diese Säcke unter dem Lidrand und diese schlabbrig bleiche Haut. Reiß dich zusammen! herrsche ich mich an. Den Kopf tief über den Waschtisch gesenkt, spritze ich kaltes Wasser auf Stirn und Wange, bevor ich es aus der Handhöhle schlürfe. Jetzt bloß keinen Kaffee. Sonst rinnt der mir noch aus den Ohren heraus. Ein zischender Zug hinter mir. Karla öffnet die WC-Tür. Leise Schritte. Ihr Gesicht erscheint im Spiegelglas neben mir.
„Du siehst blass aus. Probleme? Zu Hause? Ach … nein? Hm – hatte dein Kleinster nicht letztens …?“ Ihr klebriger Blick taxiert mein Gesicht. „Also, falls du eine Pause brauchst, übernimmt der Hans“, ein staubtrockenes Lachen, „der wartet nur drauf.“
Ich versuche die schlaffen Glieder zu straffen, mich nicht unter ihrem Blick zu ducken, etwas von schlecht geschlafen murmelnd. Meine Füße trappeln die Stufen hinauf. Rasch einen Abstecher in mein Büro, Schublade aufreißen. Versteckt unter den Akten liegt er da. Der Zettel mit meinem neuen Mantra.
Ich bin es mir wert, meinen eigenen Weg zu gehen. Tief sauge ich die Worte in mich hinein (… und lasse mich auf ihm nicht vom fucking Hans überholen), mich fast an meinem Kichern verschluckend.
Den Smartphone-Spiegel und das Rouge in der Hand, tupfe ich einen Lebenshauch auf meine Wangen. Jetzt. Den Flur entlang. Dritte Tür rechts. Vernehmungsraum. Mein Blick fliegt hinüber zu Karlas Gesicht, trifft sich mit ihm in dem großen Spiegel, der die Wand wie ein Fenster durchbricht. Neben ihr sitzt Britt, die Kollegin aus der Profilingabteilung. Die hatte mich gebrieft, nächtelang, wir bemerkten nicht, wie die Zeit verrann. Britt formt den Mund zu lautlosen Silben. Du schaffst das! kann ich von ihren Lippen ablesen, bevor ich den Raum betrete mit festem Schritt.
Unter dem Neonlicht sitzt sie da, frisch und entspannt nach einem O-Saft und starkem Kaffee.
„Nach zwei Stunden werden wir eine Pause machen. Damit uns niemand an den Karren fahren kann.“ Karla hatte die Worte in die Runde geknallt. „Und das eins klar ist.“ Sie funkelte mich an. „Wir werden uns an die Regeln halten.“
Ich setze mich ihr gegenüber, suche Distanz. „Zwei Armlängen sind das perfekte Maß“, hatte Britt gesagt, „das reicht, um den Augenkontakt zu halten, aber sie kommt dir nicht zu nah.“
Meine Hand fährt über den Nacken, versucht, die Spannung herauszustreichen, während ich auf ihren Scheitel starre. Sie poliert ihre Nägel mit einem Lappen. Seit fünf Tagen ist Berta H. unser Gast und hat bislang den Mund noch nicht aufgemacht, nur gelangweilt die kleinen Fältchen gekräuselt, die Hand gähnend vor ihre Lippen gehalten, auf denen das Glossrot langsam verblasst. Ebenso der Glanz auf ihrem Haar. Perfekt gestylt. Tintenschwarz. Locker lege ich die Hände auf meinen Schenkel ab. „Offen und entspannt“, schwingt Britts Stimme noch in meinem Ohr, „dann langsam die Finger wie ein Nest verschränken. Wer weiß“, ein weiches Lachen, „vielleicht legt sie ein Überraschungsei hinein.“
Ich lasse den Blick über Tisch und Akte gleiten. So viele Fakten, die ich beinahe herbeten kann. Aber die Bilder kommen mir ganz nah.
In der Nacht ging bei uns der Anruf ein. Ein Geräusch, das die Nachtruhe empfindlich störe, dringe in seine Wohnung ein, informierte ein Nachbar. Es klinge wie ein quiekendes Schreien, als schneide man ein Meerschwein in Scheiben bei lebendigem Leibe. Da müsse was passiert sein. Gleich hochgesprungen sind wir, Punkt 0 Uhr 04, uns fast an einem Stück kalte Pizza verschluckend. Und ich höre noch das feine Brummen des Fräsers, den Hans in den Zylinder steckte. Sehe noch seine Schulter die Wohnungstür aufstemmen. Gebannt starrten meine Augen in geballtes Weiß, das sich über Marmorboden und Wandflächen spannte, bis hin zu den Sesselpolstern, auf denen Frau H. in einem weißen Seidenhauch thronte. Zwischen uns ihr Lächeln – ich nahm ein feines Knistern wahr – das in die Luft Eissternchen malte. Sie neigte ihren Kopf über Teller und Tisch, spießte ihre Gabel in ein wabbliges, rotbraunes Stück. Leber- igitt, dachte ich, eindeutig rare und sah Fleischsaft aus ihrem Mundwinkel rinnen, in das Polsterweiß eindringen, mich tapfer gegen eine Übelkeitswelle stemmend. Hans zupfte an meinem Ärmel, deutete auf eine geöffnete Tür hinter der Couch. Auf dem Weg strömte uns ein Geruch entgegen, der die Welle empfindlich reizte bei jedem Schritt. In der Mitte des Zimmers eine riesige Bettfläche. Darauf ein schmaler Körper zwischen flauschigen Kissen, eingehüllt in einer weißen Decke. Hans starrte auf den Brustbereich, der sich nicht hob oder senkte. Über dem Gesicht ein schwarzes Tuch. Vielleicht ein Loch in das Satin geschnitten, dachte ich noch, bevor meine Hand den Lichtschalter fand. In der Stille schlafenden Raumes hörte ich meinen Atem stocken, als ich vorsichtig an dem schwarzen Tuchzipfel zog und endgültig den Kampf gegen die Welle verlor. Mein Gott. Dieser Anblick. Ab jetzt nur noch vegane Kost, habe ich mir geschworen.
Ein dezentes Gähnen holt mich aus den Gedanken. Die Finger gespreizt auf dem Tisch, fokussiert sie den Blick auf die polierten Nägel, die sich vor meinen Augen in Krallen verwandeln, nur einen momentlang. Fest kneife ich die Lider zusammen. Schluss, zur Sache! raffe ich meine Gedanken zusammen und hole den Papierstapel aus meiner Tasche, den wir zwischen den Spitzen von Bertas Wäsche entdeckten, bei der Durchsuchung ihrer Wohnung. Obenauf Selfieausdrucke in fast akrobatisch anmutenden Posen. Was für ein Körper, denke ich. Und meine Augen streicheln die weichen Linien. Über Brüste, Hals hoch zum Gesicht. Hässlich entstellt von einem Stift. Schwarz übermalt mit heftigen Strichen. Beide Pupillen mit feinen Rissen.
„Frau H. – oder darf ich Berta sagen? – was hat sie Ihnen angetan?“
Und ich sehe sie an ihren Nägeln knibbeln, spüre in mir das Nicken von Britt, als ich eins dieser Lifestyle-Blätter unter den Selfies hervorziehe. Beim Aufschlagen ertönt ein leises Knistern. Mein Blick gleitet über den Scheitel, der sich wie ein grauer Faden durch das Tintenschwarz zieht, hinab zu den Hochglanzseiten, die zwischen uns liegen. Auf denen ist das Opfer abgebildet. Mandy K. hat sich auf dem roten Teppich in Szene gesetzt. Strahlt uns an unter langen Wimpern, die mich an Spinnenbeinchen erinnern. Wohl eines dieser GALA-Events. Um sie herum ein Blitzgewitter, als klebten die Fotografen in ihrem Glamournetz fest. An sie lehnt sich ein hübsches Wesen. Sein Name bekannt in allen Boulevardmedien. Es hat den Arm um Mandys Schulter gelegt. Dahinter ein verkniffenes Gesicht. Erbarmungslos ausgeleuchtet vom Kameralicht. Es scheint, als ob die Maske über den Fältchen bricht. Die Miene von Arm und Schulter halb verdeckt, wurde Berta in die zweite Reihe gestellt.
Ich sehe die Nagelspitzen zwischen den Zähnen verschwinden. Jetzt ein paar Millimeter die Schraube anziehen.
„Ja, diese jungen Dinger. Sie können nur nehmen wie egoistische Kinder.“
Wir hatten die Rechnungen in den Akten gefunden. Von der Privatuni, von Mandys Eigentumswohnung. Und dem gemeinsamen Karibikurlaub. Alles finanziert von der Sugarmutter.
Mit geballter Wucht trifft mich ihr Blick. Ich spüre, wie mein Rücken sich an die Stuhllehne drückt.
„Sie wollte mich verlassen. Oh dieser Hass! Ich fühlte mich so zermürbt von ihm.“
Ein kribbelndes Stechen breitet sich aus. Ein brennendes Erinnerungsbild unter der Haut. Als sei es mit feiner Nadel frisch eintätowiert.
… auf dem Schulflur steht Bea vor mir, Bea der Star der 12a. Nur ein kurzes Schnipsen und sie kann ein Dutzend haben, sogar am kleinen Finger. Warum musste sie nur mir den Jens wegnehmen, den Einzigen, den ich liebe? Und meine Hand mutiert zur giftigen Kralle. Dieses verdammte Grinsen. Sie will es aus ihrem Gesicht herauskratzen. Bea weicht zurück, stürzt auf der Treppe hinter ihr. Und ich höre spitze Schreie, während die Hand den Lauf verfehlt (ja – jetzt hilft dir kein Schnipsen mehr) und ihr Kopf an die Stufe schlägt. Die Zeit floss dahin, ewig lang, bis die Wunden heilten …
Bertas Stimme holt mich zurück. Sie schaut mich an mit Scherbenblick.
„Nimm`s leicht hat meine Mandy gesagt, ganz bald wirst du ein neues Spielzeug finden, obwohl – und jetzt hören Sie genau zu, was ich sage – sie für mich die Einzige war.“
Ich ziehe ein Foto aus dem Stapel. Das Hauptbeweismittel von unserer Spusi.
„Und dann haben Sie dieses Messer genommen …“
„Ja, mein Sujihiki.“ Berta nickt. „Das schneidet wie Butter unglaublich scharf. An dem bleiben keine Fasern hängen.“ Und die Scherben zerfallen in winzige Splitter. Der Tränenfluss scheint zu glitzern. „Ich durfte mein Andenken doch nicht zerstören.“
Ein leises Wimmern, sie sackt zusammen. Hans eilt herbei, bevor sie vom Stuhl fällt. „Grandios“, flüstert er, auf meine linke Schulter klopfend und geleitet sie mit einem Kollegen hinaus. Gedämpfte Töne auf dem Flur. Sie dringen herein, als Hans die Tür öffnet.
„Vera, super, du hast es geschafft. Hey – warum guckst du so traurig? Mach endlich cheese.“ Und es klingt, als könne er wie Karla in Basslage kichern, unser allwissender Einwegspiegel.
Mit schweren Schritten verlasse ich den Raum, richte den Blick starr geradeaus.
Wo bleibt das Tuch, ruft es meiner dunklen Gedankenwelt, das weit wie das sternenlose Himmelzelt über die mich spiegelnde Fläche fällt?
