Von Claudia Schäckel

Mit einem leisen „Ping“ und einem kurzen flackern ging die Neonbeleuchtung in dem Waschraum an.

Gespannt wartete sie darauf wer reinkommen würde. Es war der erste Besucher heute. Herein kam ein gut angezogener älterer Mann. Er folgte dem Pfeil der nach rechts zeigte und unter dem „Herren“ stand.

Kurze Zeit später kam er zurück, ging achtlos an ihr und den anderen Spiegeln vorbei und verschwand durch die Tür. Kurze Stille. Licht aus.

 

Einige Zeit später ging das Licht wieder an. Zwei Männer und eine Frau betraten den Waschraum gingen durch ihn hindurch und verschwanden nach rechts und links in den Toilettenräumen.

Dieses Mal hatte sie gute Chancen.

Und wirklich einer der Männer trat vor das Waschbecken unter ihr und begann sich sorgfältig die Hände zu waschen, während er sich mit der Frau unterhielt die hinter ihm auf der gegenüberliegenden Seite stand und schon dabei war ihr Make-up zu überprüfen. 

Heute achten Männer viel mehr auf ihr Äußeres, sie sind empfänglicher geworden, ließen sich beeinflussen. Er würde hochschauen. Er würde ihr Einblick gewähren.

„Möchtest du noch einen Kaffee?“, fragte er hinter sich.

„Nein, lass uns den lieber zu Hause trinken.“, antwortete sie ihm. 

„Ok, dann zahle ich noch.“ Er nickte, während er die Hände mit den Papiertüchern abtrocknete.

„Schau mich an. Ich will wissen was du denkst.“

„Schau… mich… an…!“

„Ich geh schon mal.“ Sie drehte sich zur Tür und ließ ihn alleine zurück.

„Komme gleich.“, antwortet er noch in ihren Rücken und schmiss die Papiertücher in die dafür vorgesehene Aussparung in der Ablage.

„Jetzt! Schau…  mich… “

Er hob den Kopf. 

Prüfend betrachtete er sein Spiegelbild und wahr eigentlich ganz zufrieden. Automatisch versuchte sein rechter Zeigefinger seine rechte Augenbraue glatt zu streichen.

Das eine, widerspenstige Haar musste er dringend raus zupfen. Früher hatte es solche Haare nicht gegeben und er hatte auch nicht jeden Abend gelangweilt vor dem Fernseher verbracht und Sendungen geschaut, die er gar nicht sehen wollte. Früher hatte er sich regelmäßig mit seinen Kumpels zum Karten spielen getroffen. 

„Lange, lockere Abende mit Alkohol und manchmal mit hübschen Mädchen.“

Warum machte er das eigentlich nicht mehr? 

„Den Stress im Büro vergessen. Einfach abschalten. Spaß haben.“

Eine leise, mahnende Erinnerung an das viele verlorene Geld ignorierte er, genauso wie die an die dauernden Streitereien mit seiner Frau und ihre Drohung ihn zu verlassen, wenn er noch einmal so sinnlos Geld zum Fenster rauswerfen würde. 

„Das ist schon Jahre her. Du bist nicht mehr so leichtsinnig, und sie muss es ja nicht mitbekommen.“

Die Tür zum Waschraum ging auf.

„Kommst du? Ich hab schon bezahlt. Wir können gehen.“

Er riss seinen Blick von seinem Spiegelbild los.

„Komme.“, antwortete er und ging zur Tür. In Gedanken überlegte er ob er noch irgendwo die Telefonnummern seiner alten Kumpels gespeichert hatte.

„Hab dich!“ 

Das Licht ging aus, der Waschraum lag wieder im Dunkeln.

 

Etwas später kam ein Mädchen in den Waschraum. Sie trat an das Waschbecken unter ihr und hielt ihre Hände erst unter kaltes Wasser und dann an ihre Wangen. Sie atmete mühsam ein und aus und schaute etwas später hoch.

„Na, du siehst echt scheiße aus.“

Das Mädchen wiederholte den Versuch ihr Gesicht und ihre Emotionen runter zu kühlen.

„Das wird nicht helfen. Warum bist du auch wieder mit ihnen unterwegs? Es ist doch jedes Mal das gleiche. Die Unterhaltung über Achtsamkeit und Selbstoptimierung, die irgendwann bei den neuesten Abnehmtrends und ihren Erfolgen landet.“

Sie sah ihre müden Augen im Spiegel.

„Da konntest du noch nie mitreden und ihre „gut gemeinten“ Ratschläge sagen doch nur das du immer noch zu dick bist.“

Tränen stiegen ihr in die Augen. 

„Sie nehmen dich nur aus Mitleid mit.“

Sie hatte schon so viel ausprobiert, nichts funktionierte.

„Du hättest das Brot zum Salat nicht essen sollen. Warum machst du das? Wenn du es doch besser weißt?“

Ihr Magen krampfte sich zusammen.

„Keine Disziplin. Kein Erfolg. Loser!“

Sie schlug sich die Hand vor den Mund und rannte zu den Toiletten.

„Braves Mädchen.“

 

Langsam wurde es später Nachmittag und die Frequenz in den Waschräumen erhöhte sich. Immer wieder blieb einer vor ihr stehen und gab mehr preis als er wollte.

 

„Mit solchen Pickeln sollte man sich nicht auf die Straße trauen.“ 

„Es ist nicht dein Problem, wenn alle neidisch auf Dich sind. Streich die Haare am Scheitel noch mal glatt. Super siehst du aus. Und los!“

„Gratuliere zur Beförderung. Geschickter Schachzug, deinem Kollegen wird so schnell keiner mehr Verantwortung übertragen.“

„Das Frauen auf Glatze stehen ist ein Mythos. Find dich damit ab, oder kämm die letzten Haare drüber.“

„Du siehst wirklich alt aus. Was erwartest du noch? Dein Leben ist zu Ende.“

 

Sie liebte es an ihren Schwächen zu kratzen und ihre Komplexe zu bedienen.

Dann ging das Licht an diesem Abend ein letztes Mal aus und es kehrte Ruhe ein.

Sie entspannte sich und hing noch einem Moment den Menschen und all ihren Geheimnissen und Gedanken nach. Sie ließen sich so einfach beeinflussen. 

Die anderen Spiegel hoben immer das Positive und Oberflächliche hervor, ihre Benutzer verließen den Waschraum entspannt und zufrieden. Sie konnte das nicht, sie suchte die Unsicherheit, die Zweifel, die Wut und die Versuchung den falschen Weg einzuschlagen.  

 

Der nächste Tag war anders. 

Männer in Bauarbeitermontur warfen Tücher über die Spiegel im Waschraum und hängten sie vorsichtig ab. Zugedeckt standen sie in einer dunklen Ecke, bis Stimmen näherkamen.

„Alles was auf der linken Seite steht geben wir ab.“ 

„Danke. Wir schauen uns ein wenig um.“

Sie spürte, dass sie bewegt wurde. Das Tuch rutschte ein wenig zur Seite.

Beine und Schuhe, und einer ihrer Spiegel-Kollegen ohne Tuch.

„Die sehen gut aus, und es sind acht gleiche.“

„Das würde für beide Projekte gehen.“

„Du hast recht sie passen zu dem Ausbau in der Seniorenresidenz, je vier in eine Toilette. Das wäre gut.“

“Für den zusätzlichen Waschraum im Gericht würden wir nur sechs brauchen.“

„Lass uns alle acht mitnehmen. Wo wir sie verwenden können wir ja später noch entscheiden.“

 

„Das könnte spannend werden.“

 

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