Von Emma Karlsson

Ich nehme mir ein Glas von dem Tablett einer der Kellnerinnen und nicke ihr dankend zu. Mit langsamen Schritten gehe ich durch den Raum und blicke mich um. Es hat sich nicht viel verändert in den vergangenen 10 Jahren. Der Raum ist im Gegensatz zu damals festlich geschmückt und gefüllt mit knapp 200 Leuten. Langsam schiebe ich mich durch die Menge. Mein Blick gleitet zu Lukas der auf der anderen Seite des Raumes mit Mia steht und ebenfalls Ausschau hält. Er wirkt irritiert und signalisiert mir, dass ich zur Eingangstür schauen soll. Ich folge seinem Blick und dort steht sie. Ihre dunklen Locken fallen auf ihr rotes tief geschnittenes Abendkleid. Freudig strahlend begrüßt sie den Gastgeber. Ich schließe meine Augen und atme tief durch. Ava Thies oder ‚Mein größter Fan‘, wie Lukas sie immer nennt schüttelt die Hand von dem Mann wegen dem ich hier bin. 

Ich öffne die Augen wieder. Es scheint als sei sie alleine gekommen. Ist sie etwa meinetwegen hier? Nein! Das hier ist etwas anderes. Sie kann nichts davon ahnen und doch macht es den Abend unnötig kompliziert. Sie verabschiedet sich von Gregor Rothstein und betritt den Raum. Ich bedeute Lukas sie im Auge zu behalten und kann doch nicht wegsehen. Sie schreitet durch den Raum auf eine Gruppe zu, die sie freudig begrüßen. Sie ist nicht meinetwegen hier. 

‚Vergessen Sie es. Ich beiße mir seit unserer Kindheit die Zähne an ihr aus.‘ ertönt es neben mir und ich drehe mich zur Seite. Neben mir steht ein Mann in den dreißigern. Michel Rothstein stelle ich zufrieden fest. ‚Ach, ich gucke nur‘ sage ich mit einem grinsen, das meine Freude über dieses Zusammentreffen verbergen soll. ‚Michel Rothstein‘, sagt er und streckt mir seine Hand entgegen. Ich versuche überrascht zu wirken und schüttele seine Hand.  ‚Tom Adler‘ sage ich knapp und schiebe hinterher, ‚dann sind sie der Gastgeber? Ich gratuliere.‘. Er lacht. ‚Nein, nein. Mein Großvater läd jedes Jahr zu dieser Geburtstagsfeier.‘ Er nickt Richtung Eingang wo Gregor Rothstein weiterhin Hände schüttelt. In dieser Situation wirkt er fast sympathisch. Eine ältere Dame in einem grauen Kleid legt seine Hand auf seine Schulter und beide lachen laut auf. Ich wende mich ab. ‚Ihr Großvater scheint sehr beliebt zu sein, wenn man sich hier so umguckt.‘ sage ich. Michel Rothstein lacht belustigt auf und nickt. ‚Wie gehört sie dazu?‘ frage ich ihn und nicke in die Richtung in der Ava Thies steht. ‚Nur gucken also.‘ lacht er und schaut in ihre Richtung. ‚Ihr Vater macht Geschäfte mit unserer Firma. Sie war schon als Kind jedes Jahr dabei.‘ Ich nicke. Sie ist wirklich nicht meinetwegen hier. Ich lasse den Stiel meines Sektglases los und halte es nun an der Tulpe. Es fängt an.

‚Lass dich nicht dabei erwischen wie du sie anstarrst. Sie ist Kriminalkommissarin. Sie hat bestimmt eine Waffe dabei.‘ sagt er lachend und trinkt den Rest von seinem Sekt in einem Zug. Es wirkt als wolle er sich verabschieden. Lukas sollte Mia bereits gesagt haben wo ich bin. Ich muss ihn nur noch kurz aufhalten. Aber da kommt sie um die Ecke. Oh mein Gott. Ihre langen blonden Haare schwingen synchron zu ihrem obszön tief ausgeschnittenen schwarzen Kleid. Rothsteins Mund steht offen ‚Tom! Da bist du ja endlich. Ich habe dich schon die ganze Zeit gesucht.‘ Sie hakt sich bei mir unter. ‚Ach weißt du Liebes, ich gucke nur.‘ sage ich und zwinkere Rothstein zu. ‚Komm lass uns endlich raus auf den Balkon gehen. Ich habe gehört der Garten soll von da spektakulär aussehen.‘ Ich löse mich von ihr. ‚Schatz, das ist Michel Rothstein.‘, sage ich und lege meine Hand auf seine Schulter. Während sich die beiden begrüßen, fische ich mir seinen Schlüssel aus seiner Jackentasche und trete wieder neben Mia. Sie ist in ihrem Element und erzählt Rothstein, dass sie als Vertretung für ihren Chef da sei, der leider kurzfristig erkrankt ist. Wie schön die Architektur des Gebäudes ist. Ich höre nicht mehr zu. Ein letzter Blick zu Ava, aber sie ist weg. Ich schaue zu Lukas er nickt Richtung Bar, wo ich sie entdecke. Ich atme erleichtert aus. Mia schaut mich an. ‚Entschuldigung, ich glaube ich brauche etwas frische Luft. Ich geh schon mal vor, lasst euch ruhig Zeit.‘ Zeit sollte ich genug haben. Wenn Mia anfängt über Architektur zu sprechen hört sie so schnell nicht wieder auf. 

Ich schiebe mich durch die Menge Richtung Balkon. Ich gehe vorbei an den Balkontüren auf die Treppe zu, welche in den ersten Stock führt. Das Stimmengemurmel der Feier wird leiser. Ich sehe meinen Vater vor mir, wie er mich nervös anlächelt und wir George Rothstein in sein Büro folgen. Ich zwinge mich aus der Vergangenheit heraus und gehe den langen dunklen Flur entlang um eine Kurve. Vom anderen Ende des Ganges sind Schritte zu hören. Ich atme tief ein und schaue in die Richtung, als Lukas um die Ecke kommt. ‚Er hält gerade seine Rede. Wir haben 10 Minuten.‘ Ich nicke und nehme meinen neuen Schlüssel. 

Wir betreten das Büro von Gregor Rothstein. Die Wände sind wie auch schon im Flur und im Saal gesäumt mit Bildern. Lukas blickt sich bewundernd um. ‚Okay, hier sollte es sein. Ein Wandtresor.‘, sage ich und schaue mich ebenfalls um. Hinter dem Schreibtisch hängt ein überlebensgroßes Ölportrait einer Frau. ‚Da.‘ Lukas ist vor mir da und nimmt das Bild von der Wand. Dahinter kommt wie erwartet der Tresor zum Vorschein. Er lacht. ‚Wieso hast du eigentlich immer recht?‘ Ich zeige auf die Wand welche zum Flur zeigt. ‚Die ist zu dünn.‘ Ich senke meine Hand und nicke in Richtung der Wand die der Tür gegenüber liegt. ‚Und wer baut den bitte einen Tresor in eine Außenwand?‘ ‚Dann bleiben aber immernoch 3 Bilder in der richtigen Größe.‘ ‚Der Bilderrahmen.‘ Lukas schaut sich den Bilderrahmen in seiner Hand an und beginnt den Kopf zu schütteln. ‚Du siehst wirklich Fingerabdrücke aus der Entfernung, aber findest nie deine Autoschlüssel‘ Ich lache und halte ihm meine Hand hin. Er reicht mir einen kleine Holzkiste. ‚Frisch gegossen. Sektgläser sind wirklich dankbar.‘ Ich mache die Kiste auf in der ein Silikonfinger liegt. Ich nehme den Finger und lege ihn auf den Sensor am Tresor. Ein lauter Klick erfüllt den Raum und der Tresor öffnet sich. 

Er ist gefüllt mit mehreren Aktenordnern, einer kleinen Holzkiste und Pässen. Ich werfe Lukas die Pässe zu und nehme mir die Holzkiste. Ich schiebe den Deckel zur Seite und starre hinein. ‚Der hochgeschätzte Herr Rothstein hat eindeutig Dreck am stecken. Drei verschiedene Pässe unter falschem Namen.‘ Ich schaue zur Seite und sehe wie Lukas Fotos der Ausweise macht. ‚Wer weiß wofür wir das nochmal gebrauchen können. Wirf mir die Aktenordner auch mal runter.‘ Ich schüttele den Kopf. ‚Dafür haben wir keine Zeit. Hier, hilf mir mal‘ Ich reiche ihm die Kiste, ziehe das Sakko aus und öffne meine Hemdknöpfe. Ich klappe den Umschlag, der auf meiner Brust klebt auf und hole meine Kopie des Akt-Bildes heraus. Lukas nimmt vorsichtig das Gemälde aus der Kiste und legt es auf den Schreibtisch. ‚Ben. Die ist perfekt.‘ ‚Jetzt tu nicht so überrascht. Und sie ist nicht perfekt. Sieh hier. An den Beinen ist sein Strich dicker.‘ Lukas Augen fliegen über die Blätter, er nickt und legt dann die Kopie in die Holzkiste und gibt mir das Bild der jungen Frau. Ich schaue drauf. Eine Kohlezeichnung. Weniger ein Gemälde als eine Skizze. Diese Zeichnung ist wirklich perfekt. Ich grinse und lasse das Papier in den Umschlag gleiten. Ich schließe die Tüte und knöpfe mein Hemd wieder zu. ‚Noch knapp 3 Minuten. Vielleicht doch nochmal in die Akten schauen?‘, fragt Lukas und ich nehme ihm die Holzkiste und die Ausweise ab, lege alles an die richtigen Stellen und schließe den Tresor. Lukas hängt das Bild zurück und klopft mir auf die Schultern. ‚Das Ende eines Krieges und du gewinnst ohne das es jemand merkt.‘ Ich lächel. ‚Lass uns erst noch hier rauskommen. Und ich muss Mia noch loswerden.‘ ‚Lass dir doch damit bis morgen Zeit.‘ Er grinst dümmlich. ‚Ich kann dir ja ihre Nummer geben, sie ist sehr gesprächig und bald wieder zu haben‘ Langsam öffne ich die Tür und versuche etwas zu hören. Gregor Rothstein redet noch. Ich nicke Lukas zu. ‚Wir sehen uns morgen‘. Er nickt ebenfalls und verschwindet den Gang entlang. Ich schließe die Tür hinter mir wieder ab und gehe in Richtung Treppe. Gerade als ich um die Ecke gehe stoße ich mit jemandem zusammen. 

Ava Thiess liegt in meinen Armen und schaut erschrocken zu mir auf. Ihre Augen sind geweitet, ihre Wangen gerötet und ihre Hände liegen auf meiner Brust. Ihre Hände auf meiner Brust. Das Portrait. Ich richte sie wieder auf und weiche schnell einen Schritt zurück. Hat sie das Bild gespürt? Kennt sie mich überhaupt? Nein in ihrem Blick ist kein Zeichen des Wiedererkennens. Dafür findet sie ihre Kontenance wieder. Sie straft ihre Schultern und ist jetzt ganz Polizistin. ‚Was…‘ Ich falle ihr ins Wort ‚Entschuldigung, ich hoffe sie haben sich nicht verletzt. Suchen Sie auch die Toiletten? Also hier oben hatte ich kein Glück.‘ Sie sieht mich prüfend an und lächelt dann. ‚Bei mir ist alles okay. Die Toiletten sind unten am Ende der Treppe.‘ ‚Danke‘ Geschwind dränge ich mich an ihr vorbei und gehe die Treppe hinunter. Ich spüre ihre Blicke in meinem Rücken. Meine Hände kribbeln. 

Ich schiebe mich durch die Menge in Mias Richtung. Rothstein steht immer noch neben ihr und beide sehen zur Bühne hinauf. Ich dränge mich zwischen sie und lasse bei dieser Gelegenheit den Schlüssel zurück in seine Tasche gleiten. ‚Wo warst du? Wir haben dich auf dem Balkon gesucht.‘ ‚Ich habe mich auf dem Weg zur Toilette verlaufen‘, gebe ich kleinlaut zu, ‚Aber jetzt bin ich ja wieder da.‘ 

 

2 Tage später

 

Ihre Hände öffnen vorsichtig die Verpackung. ‚Ben, du musst mir doch nichts schenken. Das weißt du doch‘. ‚Zu deinem Geburtstag? Doch Oma, dass muss ich.‘ Sie zeiht vorsichtig den Hölzernen Bilderrahmen aus dem Papier und dreht ihn um. Tränen fallen auf das Papier vor ihr. ‚Ist es? Wie?‘ fragt sie mich stotternd nach einigen Minuten. ‚Das ist egal. Es ist deines und das war es immer.‘