Von Eva Fischer

Sobald ich eine Katze sehe, gehe ich in die Hocke. Mit undefinierbaren Lauten suche ich sie zu locken, damit sie zu mir kommt und sich streicheln lässt. Bei etwa der Hälfte aller Katzen gelingt mir das und ich bin selig, wenn ich der Katze ein Schnurren entlocken kann. Dann würde ich am liebsten auch schnurren.

Meine Tante besaß einst eine Katze. Während sich meine Mutter mit ihrer Schwester unterhielt, lag das rötlich gemusterte Prachtstück auf meinem Kinderschoß und schnurrte. Ich saß fest und rührte mich nicht. Eine Win-Win-Situation für alle.

Es ist Herbst und ich verbringe eine Woche mit meiner Familie in einem holzvertäfelten Bungalow. Wir machen es uns gemütlich. Tagsüber durchstreifen wir die Wälder und abends kochen wir uns etwas Leckeres, machen Gesellschaftsspiele oder gucken Fernsehen. Meine Tochter ist sieben und hat eine Vorliebe für Tiere aller Art. Mein Mann dagegen hat ein distanziertes Verhältnis zu Vierbeinern und verweist auf seine diversen Allergien, was auch erklärt, dass sich Sandra mit einem Haustier nicht durchsetzen kann.

Eines Tages, nachdem wir unseren Spaziergang beendet haben, sehe ich eine Katze in der Nähe unseres Ferienhauses. Ich gehe in die Hocke und das Tier springt auf mich zu, ganz ohne Lockrufe. Wir begrüßen uns wie alte Bekannte. Ich streichle es und meine Tochter tut es mir gleich. „Willst du Milch?“, frage ich die schöne Unbekannte. Sie scheint zu nicken. Zumindest folgt sie uns ins Haus. „Bitte, Papa! Es sind Ferien!“, wehrt Sandra die kritischen Blicke ihres Vaters ab. Minouche, so unser einfallsreicher Name für unsere Besucherin, leckt genüsslich die ihr dargebotene Gabe auf, putzt sich elegant ihr Fell und stellt sich vor die Tür, die sogleich von meinem Mann geöffnet wird. Zum Bedauern meiner Tochter verschwindet Minouche in die hereinbrechende Nacht.

Am nächsten Tag wartet Minouche bereits geduldig auf unsere Rückkehr. Es spielt sich eine herzzerreißende Begrüßungsszene zwischen Minouche und meiner Tochter ab. Zur Belohnung bekommt die Katze zwei Teller Milch. Bleiben will sie zur Enttäuschung meiner Tochter dennoch nicht, aber immerhin findet sie sich jeden Tag zur selben Zeit ein.

Am Donnerstag fährt mein Mann mit Sandra in ein Spaßbad. Ich bleibe zu Hause, lege mich auf die Liege und lese einen Roman, lasse mich von der herrlichen Oktobersonne wärmen. Die Terrassentür steht offen, damit die von meiner Familie wenig geliebte Opernmusik in mein Herz und mein Ohr eindringen kann. Auf einmal sehe ich einen Schatten vorbeihuschen. Verdutzt schaue ich mich um, bevor ich mich wieder in meine Lektüre versenke. Doch nach einiger Zeit sehe ich, wie die Katze aus unserem Haus kommt. „Minouche, es ist noch keine Essenszeit“, sage ich, aber die Katze scheint anderweitig beschäftigt und würdigt mich keines Blickes.

Gegen fünf höre ich das Auto meines Mannes. Sandra kommt mit nassen Haaren angerannt. „Ist Minouche schon da?“, ruft sie aufgeregt. „Eben habe ich sie noch gesehen“, sage ich, „aber wo sie jetzt ist, weiß ich nicht“.

Enttäuscht geht Sandra ins Haus, als ich sie plötzlich schreien höre: „Mama, komm schnell! Guck mal, was ich entdeckt habe!“

Im offenen Wandschrank in der Diele bewegt sich etwas. Nein, es sind keine Mäuse, sondern fünf flauschige, schwarz-weiß gefleckte Katzenbabys, die sich gegenseitig mit ihren Tatzen spielerisch berühren. Ihre Augen sind noch geschlossen. Nun kommt auch tatsächlich Minouche, um sich ihre Streichel- und Milchportion abzuholen.

Ich bin gerührt über das Vertrauen der Katzenmutter, aber was sollen wir mit den Babys machen? Behutsam lege ich die Kleinen in meinen Einkaufskorb. Minouche schaut entspannt zu.

Kein Programm dieser Welt kann für Sandra jetzt interessanter sein als Katzen gucken und streicheln. Auch das lässt Minouche zu. Mein Mann resigniert und macht alleine einen Waldspaziergang.

„Und denke daran, Sandra, am Samstagmorgen müssen wir nach Hause fahren. Und nein! Wir können keine Katze mitnehmen. Versuche es erst gar nicht!“ Er schaut seine Tochter streng an.

Sofort rollen ihre Tränen. „Schätzchen, die Babys brauchen ihre Mama und wir können keine sechs Katzen in unsere Stadtwohnung mitnehmen. Das erlaubt unser Vermieter nicht“, komme ich meinem Mann zu Hilfe. Lieber der Vermieter ist der Buhmann als mein Mann.

Aber im Grunde mache auch ich mir Sorgen um die Katzenfamilie. Das habe ich nicht gewollt. Sie erst locken und dann im Stich lassen. Es ist Ende Oktober. Bald kommt hier im Mittelgebirge der Winter. Im Ferienhaus kann ich sie selbstverständlich nicht zurücklassen. Das müssen wir abschließen. Wir brauchen jemanden, der die Katzenfamilie aufnimmt. Nicht weit von der Anlage entfernt ist ein Bauernhof. Die könnten Katzen zum Mäusejagen brauchen, vermute ich und beschließe mit meiner Tochter, den Bauern einen Besuch abzustatten.

Ich schildere der Bäuerin unser Anliegen. Meine Tochter unterstützt meine Bitte durch einen um Hilfe suchenden Augenaufschlag.

Doch die Frau bricht in lautes Gelächter aus. Sie hätten genug mit einer Katze. Die Kleinen müsse ihr Mann sonst regelmäßig ertränken. Ich hätte wohl keine Ahnung, was eine Katzenplage bedeute.

Theodor Storms sechsundfünfzig Katzen aus meiner Schulzeit machen sich in meinem Hirn breit. Was haben meine Mitschülerinnen und ich damals mit der fehlenden Menschlichkeit gehadert!

Auch meine Tochter glaubt, die leibhaftige Hexe vor sich zu sehen. Sie zieht mich am Ärmel. Nur schnell weg hier, bevor sie uns am Ende umbringt.

An wen können wir uns jetzt noch wenden? Ein Tierheim gibt es in dieser ländlichen Gegend nicht. Ich rufe die Vermieterin unseres Ferienhauses an.

Nein, sie bedauere. Da könne sie mir auch nicht weiterhelfen, aber sie tröstet mich. Katzen seien nicht dumm. Sie würde ihre Jungen bestimmt in einer Scheune in Sicherheit bringen. Ich gebe den Trost an meine Tochter weiter, aber als wir am Samstagmorgen den Korb mit den Katzenbabys vor die Häuserwand stellen und hoffen, sie mögen wie einst Mose gerettet werden, versteinert sich das Gesicht unserer Tochter. Ihr ist noch nicht ganz klar, wer die Schuld an der Misere trägt, aber sie beschließt erst einmal, den Kontakt zur Erwachsenenwelt abzubrechen. Sie verstopft sich die Ohren mit ihren Kopfhörern. Tränen kullern lautlos über ihre Wangen. Die Augen meines Mannes tränen auch, was weniger der Trauer als der Allergie geschuldet ist. Schließlich hat sich der weibliche Familienpart in der letzten Woche reichlich auf Katzenhaare eingelassen. Seine Augen röten sich zusehends.

„Komm fahr ran! Ich übernehme das Steuer“, schlage ich vor.

Wenig später trommelt Hagel gegen die Autoscheiben. Ich sehe die Hand vor Augen nicht mehr und suche nach einer Möglichkeit, wo wir uns in Sicherheit bringen können.

Laut Sprichwort haben Katzen sieben Leben. Und wir???

V1

Sobald ich eine Katze sehe, gehe ich in die Hocke. Mit undefinierbaren Lauten suche ich sie zu locken, damit sie zu mir kommt und sich streicheln lässt. Bei etwa der Hälfte aller Katzen gelingt mir das und ich bin selig, wenn ich der Katze ein Schnurren entlocken kann. Dann würde ich am liebsten auch schnurren.

Meine Tante besaß einst eine Katze. Während sich meine Mutter mit ihrer Schwester unterhielt, lag das rötlich gemusterte Prachtstück auf meinem Kinderschoß und schnurrte. Ich saß fest und rührte mich nicht. Eine Win-Win-Situation für alle.

Es ist Herbst und ich verbringe eine Woche mit meiner Familie in einem holzvertäfelten Bungalow. Wir machen es uns gemütlich. Tagsüber durchstreifen wir die Wälder und abends kochen wir uns etwas Leckeres, machen Gesellschaftsspiele oder gucken Fernsehen. Meine Tochter ist sieben und hat eine Vorliebe für Tiere aller Art. Mein Mann dagegen hat ein distanziertes Verhältnis zu Vierbeinern und verweist auf seine diversen Allergien, was auch erklärt, dass sich Sandra mit einem Haustier nicht durchsetzen kann.

Eines Tages, nachdem wir unseren Spaziergang beendet haben, sehe ich eine schwarze Katze mit weißen Pfoten in der Nähe unseres Ferienhauses. Ich gehe in die Hocke und das Tier springt auf mich zu, ganz ohne Lockrufe. Wir begrüßen uns wie alte Bekannte. Ich streichle es und meine Tochter tut es mir gleich. „Willst du Milch?“, frage ich die schöne Unbekannte. Sie scheint zu nicken. Zumindest folgt sie uns ins Haus. „Bitte, Papa! Es sind Ferien!“, wehrt Sandra die kritischen Blicke ihres Vaters ab. Minouche, so unser einfallsreicher Name für unsere Besucherin, leckt genüsslich die ihr dargebotene Gabe auf, putzt sich elegant ihr Fell und stellt sich vor die Tür, die sogleich von meinem Mann geöffnet wird. Zum Bedauern meiner Tochter verschwindet Minouche in die hereinbrechende Nacht.

Am nächsten Tag wartet Minouche bereits geduldig auf unsere Rückkehr. Es spielt sich eine herzzerreißende Begrüßungsszene zwischen Minouche und meiner Tochter ab. Zur Belohnung bekommt die Katze zwei Teller Milch. Bleiben will sie zur Enttäuschung meiner Tochter dennoch nicht, aber immerhin findet sie sich jeden Tag zur selben Zeit ein.

Am Donnerstag fährt mein Mann mit Sandra in ein Spaßbad. Ich bleibe zu Hause, lege mich auf die Liege und lese einen Roman, lasse mich von der herrlichen Oktobersonne wärmen. Die Terrassentür steht offen, damit die von meiner Familie wenig geliebte Opernmusik in mein Herz und mein Ohr eindringen kann. Auf einmal sehe ich einen Schatten vorbeihuschen. Verdutzt schaue ich mich um, bevor ich mich wieder in meine Lektüre versenke. Doch nach einiger Zeit sehe ich, wie die Katze aus unserem Haus kommt.  „Minouche, es ist noch keine Essenszeit“, sage ich, aber die Katze scheint anderweitig beschäftigt und würdigt mich keines Blickes.

Gegen fünf höre ich das Auto meines Mannes. Sandra kommt mit nassen Haaren angerannt. „Ist Minouche schon da?“, ruft sie aufgeregt. „Eben habe ich sie noch gesehen“, sage ich, „aber wo sie jetzt ist, weiß ich nicht“.

Enttäuscht geht Sandra ins Haus, als ich sie plötzlich schreien höre: „Mama, komm schnell! Guck mal, was ich entdeckt habe!“

Im offenen Wandschrank in der Diele bewegt sich etwas. Nein, es sind keine Mäuse, sondern fünf flauschige, schwarz-weiß gefleckte Katzenbabys, die sich gegenseitig mit ihren Tatzen spielerisch berühren. Ihre Augen sind noch geschlossen. Nun kommt auch tatsächlich Minouche, um sich ihre Streichel- und Milchportion abzuholen.

Ich bin gerührt über das Vertrauen der Katzenmutter, die uns ihre wahrscheinlich einwöchigen Jungen gebracht hat, aber was sollen wir mit ihnen machen? Behutsam lege ich die Kleinen in meinen Einkaufskorb. Minouche schaut entspannt zu.

Kein Programm dieser Welt kann für Sandra jetzt interessanter sein als Katzen gucken und streicheln. Auch das lässt Minouche zu. Mein Mann resigniert und macht alleine einen Waldspaziergang.

„Und denke daran, Sandra, am Samstagmorgen müssen wir nach Hause fahren. Und nein! Wir können keine Katze mitnehmen. Versuche es erst gar nicht!“ Er schaut seine Tochter streng an.

Sofort rollen ihre Tränen. „Schätzchen, die Babys brauchen ihre Mama und wir können keine sechs Katzen in unsere Stadtwohnung mitnehmen. Das erlaubt unser Vermieter nicht“, komme ich meinem Mann zu Hilfe. Lieber der Vermieter ist der Buhmann als mein Mann.

Aber im Grunde mache auch ich mir Sorgen um die Katzenfamilie. Das habe ich nicht gewollt. Sie erst locken und dann im Stich lassen. Es ist Ende Oktober. Bald kommt hier im Mittelgebirge der Winter. Im Ferienhaus kann ich sie selbstverständlich nicht zurücklassen. Das müssen wir abschließen. Wir brauchen jemanden, der die Katzenfamilie aufnimmt. Nicht weit von der Anlage entfernt ist ein Bauernhof. Die könnten Katzen zum Mäusejagen brauchen, vermute ich und beschließe mit meiner Tochter, den Bauern einen Besuch abzustatten.

Ich schildere der Bäuerin unser Anliegen. Meine Tochter unterstützt meine Bitte durch einen um Hilfe suchenden Augenaufschlag.

Doch die Frau bricht in lautes Gelächter aus. Sie hätten genug mit einer Katze. Die Kleinen müsse ihr Mann sonst regelmäßig ertränken. Ich hätte wohl keine Ahnung, was eine Katzenplage bedeute.

Theodor Storms sechsundfünfzig Katzen aus meiner Schulzeit machen sich in meinem Hirn breit. Was haben meine Mitschülerinnen und ich damals mit der fehlenden Menschlichkeit gehadert!

Auch meine Tochter glaubt, die leibhaftige Hexe vor sich zu sehen. Sie zieht mich am Ärmel. Nur schnell weg hier, bevor sie uns am Ende umbringt.

An wen können wir uns jetzt noch wenden? Ein Tierheim gibt es in dieser ländlichen Gegend nicht. Ich rufe die Vermieterin unseres Ferienhauses an.

Nein, sie bedauere. Da könne sie mir auch nicht weiterhelfen, aber sie tröstet mich. Katzen seien nicht dumm. Sie würde ihre Jungen bestimmt in einer Scheune in Sicherheit bringen. Ich gebe den Trost an meine Tochter weiter, aber als wir am Samstagmorgen den Korb mit den Katzenbabys vor die Häuserwand stellen und hoffen, sie mögen wie einst Mose gerettet werden, versteinert sich das Gesicht unserer Tochter. Ihr ist noch nicht ganz klar, wer die Schuld an der Misere trägt, aber sie beschließt erst einmal, den Kontakt zur Erwachsenenwelt abzubrechen. Sie verstopft sich die Ohren mit ihren Kopfhörern. Tränen kullern lautlos über ihre Wangen. Die Augen meines Mannes tränen auch, was weniger der Trauer als der Allergie geschuldet ist. Schließlich hat sich der weibliche Familienpart in der letzten Woche reichlich auf Katzenhaare eingelassen. Seine Augen röten sich zusehends.

„Komm fahr ran! Ich übernehme das Steuer“, schlage ich vor.

 

V2