Von Regina Wolf-Egger

„Na, endlich hast du eines.“ 

Emma klopfte ihrer Freundin Fanny anerkennend auf die Schulter.

„Ja, und meine Tochter ist auch zufrieden. Sie hat schon alle möglichen Apps hochgeladen, die ich sicher nicht brauche“, maulte Fanny, noch immer nicht gänzlich überzeugt, dass es ein Fortschritt sei, ein Smartphone zu besitzen.

„WhatsApp! Das brauchst du in jedem Fall!“, rief Rosie und schnappte sich Fannys neues Teil. „Wir alle hier sind auf WhatsApp, sogar Heinz.“ 

Damit wies sie auf die Gruppe der Mitbewohner, die sich im Gemeinschaftsraum zu einem kleinen Faschingsfest eingefunden hatten.

„Schau her! Damit kannst du Fotos und Textnachrichten verschicken. Seit ich das habe, schreibe ich keine SMS mehr! Und wir Frauen haben sogar eine eigene WhatsApp-Gruppe, die Golden Girls!“ 

Rosies Augen glänzten vor Begeisterung. Rasch erklärte sie der Freundin die Grundbegriffe, suchte nach den Kontakten der Mitbewohner und lud ihre Profile in die App.

„Und schwupp. Schon habe ich dir eine Nachricht geschickt!“, rief Trude heiter.

Fanny blickte unwillig auf ihr Smartphone und las den mit kleinen Herzchen und kindischen Narrenhütchen verzierten Text.  Sie seufzte. Manchmal hatte sie das Gefühl von lauter Erstklässlern umgeben zu sein und nicht in einer Betreuten Wohnform für Senioren zu leben.

In diesem Moment warf Kurt Luftschlangen und am unteren Ende des Tisches wurden Rüsselpfeifen ausgeteilt. Natürlich steckten sich ein paar Idioten diese sofort in den Mund und bliesen sie mit einem lauten „Tröööt“ ihrem Sitznachbarn ins Gesicht.

Alle schütteten sich aus vor Lachen. 

Nur Heinz hielt sich zurück. Er hatte sich zwar eine rote Clownsnase aufgesetzt und trug einen viel zu kleinen Hut, aber Fanny fand, dass er heute noch miesepetriger aussah als sonst. Heinz wohnte erst seit etwas mehr als einem halben Jahr hier und hatte schon den Ruf des Sonderlings. Einige munkelten, dass er nur deshalb eingezogen sei, weil ihm die Frau davongelaufen war. Und wie das eben bei Männern so ist, mutmaßte man, hatte vor allem sie sich um die Sozialkontakte gekümmert, sodass er jetzt ohne Freunde dastand. 

Andere wieder wollten wissen, dass er trockener Alkoholiker sei und deshalb jeder Geselligkeit aus dem Weg ging. 

Umso mehr wunderte sich Fanny, dass er an diesem albernen Faschingsfest teilnahm. 

 

Dröhnend setzte die Musik ein. Die Leute fingen an zu schunkeln und lauthals mitzugrölen: „Wir kommen, alle, alle, alle in den Himmel…“

Fanny schüttelte den Kopf. Na, ihr werdet es auch noch erwarten können! 

Sie flüchtete ans Büffet, das am anderen Ende des Raums aufgebaut war, um sich noch einen Krapfen zu angeln. 

„Hast du vielleicht den Maschek gesehen?“

Ihr fiel beinah der Bissen aus dem Mund, so unvermittelt war Heinz neben ihr aufgetaucht.

„Den Maschek? Nein, den habe ich heute noch nicht gesehen.“

Der Maschek war ein Kater, der sich gerne herumtrieb und recht häufig bei den Bewohnern Nachschau hielt, ob er es sich denn in seinem Katzenleben nicht doch noch ein wenig verbessern könnte. Eigentlich gehörte er ja Heinz, aber das wollte er vermutlich nicht so recht wahrhaben.

„Seit wann ist er denn schon weg, dein Maschek?“

„Seit gestern Abend. Ich hoffe, ihm ist nichts passiert.“

Jetzt dämmerte es Fanny. Heinz war am Morgen an der Haustür gestanden und hatte lauthals „Maaaaaschek“ über den Hof gerufen. Einige Mitbewohner hatten sich dadurch gestört gefühlt und geschimpft, andere hatten ihn nachgeäfft und gleichfalls „Maaaaaschek“ gerufen. Sie war durch den Aufruhr geweckt worden.

 

„Hey, Fanny, lass die Schlaftablette stehen und setz dich wieder zu uns!“

Drüben am Tisch winkten die Golden Girls Fanny zu. Sicher hatten sie noch etwas mit ihr zu besprechen. Schließlich sollte heute Abend bei Emma diese Verkaufsveranstaltung stattfinden. Emmas Tochter Jenny war nämlich seit kurzem Vertreterin für Unterwäsche. Sie war noch neu im Job und die Freundinnen hatten beschlossen, ihr mit ein paar Bestellungen ein wenig auf die Sprünge zu helfen. 

Früher waren es Tupperware-Partys jetzt eben Unterwäsche-Partys, dachte Fanny ein wenig belustigt. Aber von irgendetwas mussten die jungen Leute schließlich leben!

„Ich muss jetzt leider…“, wimmelte sie deshalb Heinz ab.

Heinz ließ die Schultern hängen.

„Wenn ich deinen Maschek sehe, melde ich mich verlässlich bei dir“, raunte sie ihm begütigend zu.

Er konnte einem aber auch wirklich leidtun!

 „Ja, bitte, schick mir eine SMS.“

Fanny hatte sich schon umgewandt und rief nun doch einigermaßen stolz über die Schulter: „Ich kann dir auch eine WhatsApp schicken!“

 

„Wir treffen uns also um halb sieben bei Emma! Und du, meine liebe Fanny…“ Rosie näherte sich ihr mit ausgestrecktem Zeigefinger. „Du hast heute die Aufgabe, unserer Trude eine WhatsApp zu schicken und sie an unser Treffen zu erinnern!“ Trude war in letzter Zeit vergesslicher geworden und so hatten sich die Freundinnen ausgemacht, sie immer kurz vor einem Termin daran zu erinnern. Echte Golden Girls hielten eben zusammen wie Pech und Schwefel!

 

Fanny war erleichtert, als sie endlich die Wohnungstür hinter sich schließen konnte. Sie musste sich ein wenig ausruhen, dieser Faschingsrummel hatte sie ganz wirr im Kopf gemacht. Und dann auch noch am Abend diese Verkaufsveranstaltung! Dabei brauchte sie eigentlich gar keine Unterwäsche.

Todmüde betrat sie ihr Schlafzimmer und wollte sich soeben auf ihr Bett fallen lassen, 

als sie zurückschrak. Da lag doch tatsächlich lang ausgestreckt mitten auf der Tagesdecke Maschek, der Kater, und leckte sich genüsslich die Pfoten. So ein Kerl! Er musste sich heute morgen, als sie das Schlafzimmer gelüftet hatte, hereingeschlichen und versteckt haben.

Sogleich packte sie ihn, öffnete die Terrassentür, und bugsierte ihn ins Freie.

Dann nahm sie ihr Smartphone und verschickte selbstbewusst ihre erste WhatsApp: „Maschek war bei mir! Ich habe ihn soeben ins Freie gelassen. Er ist jetzt im Garten unterwegs.“ 

Kurze Zeit später antwortete Heinz: „Er ist schon bei mir in der Wohnung. Vielen Dank für deine Hilfe! Du hast was gut bei mir. Das sollten wir feiern!“

Feiern? Das war doch ein wenig übertrieben! 

Fanny beschloss die Nachricht zu ignorieren. Sie schüttelte den Kopf.

Dass man sein Herz aber auch so an ein untreues Katzenvieh hängen konnte!

Damit stellte sie sich noch den Wecker auf ihrem neuen Smartphone, legte sich ins Bett und schlief auf der Stelle ein.

Um Punkt 18.00 dudelte das Handy und Fanny richtete sich verschlafen im Bett auf.

Richtig, sie musste noch rasch die WhatsApp an Trude verschicken. Dann würde sie sich ein wenig frisch machen und aufbrechen.

Sie schrieb: „Nicht vergessen: um 18.30 bei Emma!“ Sie fügte diesmal auch noch ein Zwinkersmiley und eine Sektflasche dazu. Langsam gefiel ihr die Sache.

 

„Du lieber Himmel, das wollt ihr tatsächlich anziehen?“

Jenny hatte bereits ihr Sortiment auf dem Sofa ausgebreitet: 

Ein roter Schlüpfer mit dazu passendem Büstenhalter. Die Körbchen zierten goldene Drachenköpfe. Dann ein Body in Raubtierprint, ein schwarzes Ensemble mit Strapsen, ein Nichts von einem Unterhemd aus lachsfarbener Spitze.

„Ich bin ja nicht prüde, aber wozu das alles?“ Fanny schüttelte den Kopf.

Rosie stieß sie in die Seite und raunte ihr mit Blick auf Jenny zu. „Na, komm schon, ist doch für einen guten Zweck, und schön ist es auch.“

„Und ab einer Bestellung von 250 Euro gibt es diesen kleinen Liebling für Zwischendurch dazu“, sagte Jenny, schon ganz in der Rolle des Sales Girls aufgehend, und zog dabei einen Dildo aus einer Satinhülle.

In diesem Moment läutete es an der Tür.

„Das wird Trude sein. Kannst du ihr aufmachen?“, rief Emma ihrer Tochter zu.

Jenny rannte zur Tür und öffnete, den Phallus aus Kunststoff noch immer in der Hand.

Aber vor der Tür stand nicht Trude, sondern Heinz mit einer Flasche Sekt.

Fanny, die hinter Jenny getreten war, der rote Büstenhalter über ihrem Hauskleid spannte ein wenig, rief entsetzt: „Aber was machst denn du da?“

Heinz zuckte mit den Schultern. 

„Na, du hattest mir doch diese WhatsApp geschickt…“

 

V1/7922 Zeichen inklusive Leerzeichen