von Anne Zeisig

Der  Halbstarke Peter trug sein Transistor-Radio auf den Schultern und warf seinen Kopf in den Nacken, damit seine ‚Elvis-Tolle‘ die Stirn wieder freigab, auf der sich Schweiß und fettige Haarpomade vermischt hatten.

„Die Mucke gibt ja keine Lala von sich“, nuschelte Gisela, nahm den Kaugummi aus dem Mund und klebte es an den Laternenpfahl. Sie fasste mit beiden Händen an den Saum ihres halblangen Stufenrocks und fächelte ihn umher. „Puh, ist das heiß heute!“

‚Heiße Perle‘, dachte Peter, als er ihre langen Beine sah, und die Carmen-Bluse erlaubte einen großzügigen Blick auf ihren Busen.

Nur die bunten Papierblumen in ihrem Haar fand er kitschig.

Als könne sie seine Gedanken ahnen, sagte sie: „Noch nie was von Flower-Power gehört? Hippiesein ist modern.“

Peter wischte sich das Schweiß-Fett-Gemisch von der Stirn. „Aha.“ Und fügte erklärend hinzu, „die Batterien sind leer.“

„Und warum trägst du das Ding dann mit dir herum?“

„Is auch modern.“

Sie schnalzte mit der Zunge. „Steht dir echt gut.“

Peter zeigte auf die Blumenpracht in ihrem Haar. „Dir auch.Die Blumen stehen dir auch gut.“

 

Inzwischen hatten sie den Gartenzaun von Herrn Kwadiovski erreicht, den alle hinterm Rücken Opa  Kwadi nannten, der seit dem Tod seiner Frau fast bei jedem Wetter in seinem Gemüsegarten arbeitete. Oder einfach nur Löcher in die Luft starrte, wenn er auf der Gartenbank saß.

„Hey!  Frolleinchen“, begann er zu maulen, „Kaugummi an Laternen kleben, das geht überhaupt nicht! Das  ist flegelhaftes Benehmen. Nachher beginnt es zu regnen und dann wird dieses Teufelszeug erst so richtig klebrig.“

Peter blickte zum wolkenlosen Himmel. ‚Regen? Niemals!‘

„Kaugummi?“, sagte Gisela gedehnt, „das ist Chewing-Gum, Spearmint.“

Der Alte fuchtelte mit der Harke umher. „Mir egal, für mich ist das Kaugummi und das gehört nicht an Laternen und auch nicht an meinen Jägerzaun.“

Gisela sah sich um. Es war weit und breit kein Mensch auf der schmalen Dorfstraße zu sehen. „Ich habe nirgendwo was hingeklebt.“

„Hat sie auch nicht“, pflichtete Peter ihr bei und nahm ihre Hand.

Gisela jedoch schüttele sie ab. „Was soll das?“

„Ich dachte, äh, weil.“

„Was schleppst du denn da mit dir herum?“, wollte der Alte wissen.

„Meine Mucke.“

„Seine Lala-Mucke!“, sagte Gisela wieder laut und langgezogen.“

„Frollein, ich bin nicht schwerhörig.“ Opa Kwadi massierte seine schmerzenden Knie.

„Das ist mein Transistor-Radio. Eisern zusammengespart vom Lehrgeld. Hat jede Menge Sender. Sogar ‚BBC‘ kriege ich da rein.“

„Ich hör aber nichts“, bemerkte der Alte und lächelte amüsiert.

„Kein Geld für Batterien im Moment“, antwortete Peter leise.

„Ist aber trotzdem total modern, so ein Trans, äh ja, da kann man von den Beatles über Elvis und so alles hören.“ Gisela fächelte sich wieder mit ihrem Rock Luft zu. 

„Vorausgesetzt, man hat Strom“, meinte Herr Kwadiovski.

„Strom?“ Giselas Blick warf Fragezeichen in die schwüle Sommerluft.

Nun lachte der Alte laut: „Strom kommt aus Batterien, Mädel. Batterien sind Stromspeicher. Dein Freund kann ja nicht immer eine Steckdose samt langem Kabel hinter sich herziehen.“

Das leuchtete Gisela ein. Sie nickte. „Aber mein Freund ist das nicht.“

 

Nun öffnete Opa Kwadi das Gartentor und bat die Beiden, sich zu ihm auf die Holzbank zu setzen, weil er ihnen etwas wirklich interessantes erzählen müsse, wofür seine Frau ihn immer ausgelacht habe. Aber junge Leute, meinte er, seien schließlich allem Neuen gegenüber aufgeschlossen.

Die Teenager waren nun neugierig geworden.

 

„Seid mir nicht böse“, begann er, „aber dieser Transistor-Radioempfänger ist im Grunde eine Antiquität, und da drücke ich mich noch nett aus. Ich werde es zwar nicht mehr erleben, ihr vielleicht auch nicht, aber eure Kinder ganz bestimmt.“

„Der ist nicht mein Freund“, unterbrach Gisela und zeigte auf Peter, „und wenn ich einen habe, dafür gibt es inzwischen die Anti-Baby-Pille.“

„Für die musste aber verheiratet sein“, antwortete der junge Mann.

Unbeirrt fuhr der Alte fort: „So wie man heute Strom in Batterien speichert, wird man in Zukunft große Mengen an Daten auf einen kleinen Stift speichern, der nicht größer ist als ein Füllfederhalter. Auch Musik wird darauf speicherbar sein. Da steckst du dir den kleinen Stift in die Jacken- oder Hosentasche, schließt Kopfhörer an und hast die Lieblingsmusik immer bei dir.Viel kleinere Bauteile als Transistoren werden das möglich machen.“

Peter lachte. Was erzählte der Alte da für einen Quatsch? Gerade erst wurden die Röhren in den Geräten durch viel kleinere Transistoren ersetzt. Noch kleinere Bauteile?

 

„Auf so einen Speicherstift passen zum Beispiel tausende Musikstücke“, redete Herr Kwadiovski weiter und blickte dabei in den klaren, blauen Himmel, als stünde seine Vision dort oben geschrieben.

„Und dass wir dann auch hunderte Fernsehprogramme haben werden, brauche ich euch nun eigentlich nicht mehr erklären, das versteht sich von selbst. Ein Sender farbenfroher als der andere“, geriet er ins Schwärmen und hob einen Zeigefinger, „aber! Nicht alles wird kostenlos sein. Geschenkt wurde uns in der Vergangenheit nichts und in der Zukunft wird es nicht anders sein.“

„Der spinnt“, flüsterte Gisela Peter ins Ohr.

„Zahlt man nicht bereits jetzt eine Gebühr?“, fragte der junge Mann.

Der Alte nickte. „Aber für die Programmvielfalt muss man dann noch zusätzlich zahlen.“

„Bei uns Zuhause gibt es jetzt schon immer Streit,wer aufstehen soll, um den Fernseher lauter oder leiser zu stellen“, merkte Gisela an, „was soll es denn dann geben, wenn man auf viele Programme umschalten muss! Gemütlich ist das dann nicht mehr!“   

„Da wäre ich dann wieder der Blöde. IMMER muss ich nämlich aufstehen, weil ich der Jüngste bin“, überlegte Peter, „wie gut, dass es nur ein Programm gibt.“

„Aber es wird eine Fernbedienung für das Fernsehgerät geben“, antwortete der Alte spontan. „Das ist so eine handliche kleine Kiste, da sind alle Schalter darauf, die es auch am Fernsehgerät gibt. Da wählt man das jeweilige Programm vom Sessel aus an und muss demzufolge nicht aufstehen.“

„Wahnsinn!“, kommt es einstimmig aus den Mündern der Teenager.

„Aber wie funktioniert das?“

Nun hatte der alte Mann die jungen Leute endgültig in seinen Bann gezogen.

„Mittels Lichtstrahlung oder so ähnlich, die Fernbedienung ist der Sender und das Fernsehgerät ist der Empfänger.“

„Heißt ja auch schon heute Rundfunkempfänger“,fiel Peter ein und er blickte zu Gisela hinüber, aber die schenkte ihm kein anerkennendes Lächeln.

„Und da wären wir wieder bei den Batterien“, schloss der Alte den Bogen, „denn selbstverständlich kann so eine Fernbedienung auch nur mit Batterien funktionstüchtig sein. Ohne Strom läuft nichts.Wie bei deinem Transistor-Radio.“

 Er stand auf und reckte sich. „Das Rheuma“, stöhnte er und blickte auf die jungen Leute, welche gedankenverloren zu den dunklen Wolken blickten, die inzwischen aufgezogen waren.

„Jaja, Regen im Anmarsch. Meine Gelenke sind die beste Wettervorhersage.“ Er blickte auf seine Armbanduhr, denn die Tagesschau um zwanzig Uhr durfte er nicht versäumen.