Von Hanne Laudan

Zwischen kalten Wänden stehen schweigend Tische und Stühle. Nur die Uhr kämpft gegen die Stille. Seit es nur noch ihre Stimme gibt, schweigt Marga. Sie fährt mit der Hand über die Lehne des Sofas. Leere. Ohne Leben.

Noch zwei Stunden bis Sonnenaufgang.

Wie ein geheimes Zeichen verlöschen am gegenüberliegenden Hang, am Ende eines schmalen Fahrweges,  zwei Lichter. Marga schließt den Reißverschluss der Winterjacke. Die Tür fällt hinter ihr ins Schloss.

Der Garten hinterm Haus ist erstarrt. Zwischen den Überresten der Tomatenpflanzen vom letzten Jahr liegen die Quitten, die keiner mehr haben wollte.

Der grelle Lichtstrahl der Taschenlampe zerteilt den Himmel zwischen den Tannen am Zaun.  Er wandert zwischen den Bäumen und bricht sich schließlich auf der anderen Seite des Tales.

Gefrorenes Gras knirscht unter Margas Schritten.  Sie kennt jeden Strauch am Rande des Weges.

Im Lichtkegel der Lampe bilden die jungen Ahornbäume spillerige Schatten, die alten Eichen am Rande des Steinbruches  stehen nackt und knorrig. Die Strahlen zerfasern den Rand des Waldes unten am Bach, sie legen scharfkantige Steine frei, suchen, tasten, blenden. Haben kein Ziel, denn sie sind der Weg. Ein Schatten eilt durch die Senke, noch einer. Rehe. Marga lächelt still.

Drüben, wo der Waldrand sich am Hang hinauf zieht, sitzt der Mann.

Die Kälte kriecht nach oben und unter die Haut und trifft auf Eis. Sie schwenkt die Lampe und ruft mit lauter Stimme: „Oskar! Ooskaar!“

Weiter unten schlängelt sich der Pfad am Hang entlang. Marga setzt die Füße vorsichtig, vermeidet Stellen, die von Glätte überzogen sind. Am Bach bleibt sie stehen. Waren da Schritte? Atmen?

„Machen Sie die Lampe aus, sie vertreiben ja die Rehe.“ Die Stimme kommt unverhofft aus dem Dunkel  halbhoher Fichten, die sich um den Hochsitz gruppieren. Ein beweglicher Schatten, Margas Licht fängt klobige Stiefel über dunklem Hosenstoff, verharrt am Kolben eines Gewehres, gleitet weiter und zwingt den Mann, seine Hand schützend vor die Augen zu legen. Mit schnellen Schritten kommt er näher.

„Sie sind wohl verrückt, hier mitten in der Nacht rumzufunzeln.“

„Ich suche meinen Kater.“

In dem Gesicht unter dem Hut wohnt keine Regung. Nur Ärger. Mehr hat sie auch nicht erwartet. Sie lässt die linke Hand in die Wärme der Jackentasche gleiten.

„Hier hat kein Kater was zu suchen.“

„Mein Oskar ist seit drei Tagen verschwunden.“

„Sie vertreiben mir das Wild; und sie richten mit ihrer Lampe hier nur Schaden an.“

„Ich denke, dass  der Oskar den Weg nach Hause sucht, dann muss ich ihm entgegengehen. Bei dieser Kälte draußen, der arme Kerl.“

„Hören Sie mir nicht zu? Sie sollen hier verschwinden!“

„Wissen Sie, ich kann seit drei Tagen nicht mehr schlafen, ich mache mir solche Sorgen. Da kann ich auch gleich nach ihm suchen.“

„Warum suchen Sie nicht oben im Dorf?“

Marga legt Nachsicht in ihre Stimme: „Dann wäre er längst wieder da, im Dorf kennt er sich aus.“ Es raschelt, der Hund kommt aus dem Gebüsch. Er nimmt Witterung auf. Marga fasst die Lampe fester, als das Tier zielstrebig auf sie zu läuft.  

Ihr Gegenüber pfeift, der Hund folgt zögernd.

„Sie müssen eben auf Ihren Kater aufpassen.“ Er streicht dem gefleckten Rüden über den Kopf. Der Pointer schüttelt sich und verschwindet zwischen den Pfosten des Ansitzes.

„Oskar geht nur dann weit weg vom Haus, wenn er sich vor freilaufenden Hunden in Sicherheit bringen muss.“ Marga fixiert die Stelle, an der das Tier sich abgelegt hat.

„Ich habe hier unten keinen Kater gesehen.“

„Oben am Garten habe ich vor drei Tagen wieder so einen braun-weiß-getupften  Köter beobachtet. Der hat auch schon Nachbars Gänse gejagt.“

Marga lässt das Licht ihrer Lampe in den Wald eintauchen und ruft.

„Oskar! Ooskaaar! Komm nach Hause.“

Sie überzieht Mann und Gewehr mit Licht. „Ich such‘ dann mal weiter. Vielleicht finde ich den Oskar ja bald.“

„Ja, hoffentlich.“ Er verschließt den Mund zu einem schmalen Strich. „Für heute haben Sie sowieso alles verdorben.“

„Er ist schwarz weiß und ziemlich groß. Vielleicht haben Sie ihn ja schon mal gesehen.“

Sie wendet sich ab.  Der Pfad folgt dem Lauf des Flüsschens im Wald, bevor er sich auf der anderen Seite wieder dem Dorf entgegen schlängelt.

Sie lässt sich nicht vertreiben, das ist der Oskar wert. Sie wird wiederkommen.

Der Gedanke an die leeren Zimmer ihrer Wohnung ist ihr unerträglich.

Ihre Hand ist noch immer in der Tasche. Zwischen den Fingern hält sie die Kugel. Die Kugel, die der Tierarzt im Körper ihres Lieblings gefunden hat.