Heike Weidlich

Die frühsommerliche Sonne lacht mir ins Gesicht, während ich einen kräftigen Schluck von dem herrlich kalten Bier nehme und auf meine Haxn mit Sauerkraut warte.

 

Das Leben ist schön!

 

Mein Blick schweift in die Ferne. Über die majestätischen Berge mit ihren ewig schneebedeckten Gipfeln. Im Näherzoomen, über den vor mir liegenden, tiefblauen See mit seiner spiegelglatten Oberfläche über der schillernde Libellen schwirren, sowie über die Strandpromenade, auf der sich zahlreiche Spaziergänger, Jogger und Radfahrer tummeln.

 

Der ausgemergelte Läufer, der mit kleinen trippelnden Schritten in Sichtweite kommt, macht nicht den Eindruck als würde er noch lange durchhalten. Doch das täuscht vermutlich. Wahrscheinlich ist er zäh und könnte noch 20 Stunden so weiterlaufen, ohne dass sich an seinem Aussehen das Geringste verändern würde.

 

Nicht so die Rubensfrau, die, in rosa-grüne Funktionskleidung gepresst (was einigermaßen komisch aussieht), unter höchster Anstrengung hinter ihrem Mann (erkennbar am Doubletten-Outfit) herjapst. Jedoch, das muss man ihr lassen: Trotz puterrotem Kopf, hervorquellenden Augen sowie schweißnassen, unter ihrem neongelben Helm hervorlugenden Strähnen, gibt sie nicht nach: Sie bleibt dran.

 

Es ist noch gar nicht so lange her, da war ich einer von ihnen: Ein Bodyoptimierer. Zugegebenermaßen nicht freiwillig, wenigstens nicht so richtig. Und das kam so:

 

 

Am ersten Tag nach meinem Pfingsturlaub , zwei Wochen Strand, Sonne, Meer, viel Essen und noch mehr Trinken, war ich das frühe Aufstehen nicht mehr gewohnt und spät dran gewesen.

 

Im Büro angekommen, hatte ich gerade die letzte Kurve genommen, als es passierte: Ich begegnete ihr: Meiner Traumfrau! Und hörte den Bolèro von Ravel.

 

Die erste Begegnung verlief zwar nicht optimal – mit meinen, dem schnellen Laufen geschuldeten, weit ausholenden Armen, erwischte ich ihren Wasserbecher, jedoch: Der erste Kontakt war hergestellt. Ich hatte mich überschwänglich entschuldigt, ein neues Wasser organisiert und ein Treffen in der Kantine zum Mittagessen klargemacht.

 

Als ich endlich mein Büro betrat, war Markus bereits bei der Arbeit. „Hei Alter, schön, dass du wieder da bist.“

 

Markus und ich waren seit vielen Jahren ein eingespieltes Team. Wir arbeiteten gut zusammen, hatten viele gemeinsame Interessen und außerdem war er nicht nur ein super Kollege, sondern auch mein bester Kumpel.

 

An diesem Tag hatte ich jedoch keinen Nerv, mir seine weitschweifigen Erzählungen über die Vorkommnisse der letzten Wochen anzuhören. Ich hatte etwas ganz anderes im Kopf. Erst als er den Stift fallen ließ und mich aufforderte mit in die Kantine zu kommen, horchte ich auf: „Äh, Markus, du ich hab noch gar keinen Appetit. Geh schon mal ohne mich. Wir können ja vielleicht nach Feierabend noch ein Bierchen zischen.“

 

Markus machte ein enttäuschtes Gesicht, trollte sich dann aber. Klar, sein Tornister brauchte Nachschub. Lange hielt es Markus ohne Nahrungsaufnahme nicht durch, was nicht ohne Folgen blieb und sich gnadenlos auf seine Statur niederschlug. Man könnte sagen er sei stattlich. Man könnte auch sagen adipös, oder einfach dick.

 

Ich selber war leider auch nicht der Adonis, der ich schon immer gerne gewesen wäre. Nicht gerade fassartig, aber schon leicht übergewichtig.

 

Und nun hatte ich ein Date (konnte man ein Mittagessen in der Kantine so nennen?) mit der schönsten Frau der Welt. Warum um alles in der Welt war ich am Samstag nicht noch zum Friseur gegangen. Und warum hatte ich heute Morgen nicht die schwarze Jeans angezogen, die meine Problemzone besser kaschierte.

Warum, warum? Es war jetzt nicht zu ändern und so musste ich eben mit anderen Werten punkten.

 

Aufgeregt betrat ich den Speisesaal. Markus sah mich hereinkommen und winkte mich erfreut an seinen Tisch. Ich tat jedoch, als hätte ich ihn nicht gesehen und steuerte zielsicher auf Bo, wie ich sie heimlich nannte, zu.

 

Als ich an diesem Abend heimkam, war ich verknallt bis über beide Ohren. Bo, oder eigentlich Nathalie wie sie tatsächlich hieß, war so wunderschön. Lange blonde Haare, eine Haut wie Milch und Honig, sanfte braune Rehaugen und die Figur einer Primaballerina.  Voll meine Kragenweite! Eben eine Nummer 10!

 

An dieser Stelle meiner Gedanken kam ich am Garderobenspiegel vorbei, hielt abrupt inne, betrachtete kritisch mein Spiegelbild und musste feststellen, dass hier doch mehr im Argen lag, als mir bisher bewusst gewesen war. Abgesehen davon, dass ich mittlerweile noch mehr als gedacht zur Fülle zu neigen schien, hatte mein Aussehen auch an anderen Stellen gelitten. Hatte ich mich seither trotz kleiner Makel, immer als gut aussehend und männlich eingeschätzt, machte ich jetzt einen Schritt näher an den Spiegel und inspizierte kritisch mein Konterfei: Meine Haare, früher eine wilde dunkle Mähne, wurde allmählich grau. Unter meinen Augen hatten sich, von mir bisher unbemerkt, leichte Tränensäcke gebildet. Und, entsetzt kniff ich die Augen zusammen und ging etwas näher an den Spiegel. Was war das? Ein Doppelkinn! Erst im Ansatz begriffen aber unübersehbar. Wo kam das denn plötzlich her?

 

Ich trat einen Schritt zurück und musterte das Gesamtpaket. Es wurde nicht besser. Meine gesamte Gestalt erschien mir plötzlich plump und träge. Die Speckringe rollten sich unübersehbar über den Gürtel.

 

Entkräftet ließ ich mich in meinen Sessel fallen. Wenn das was mit meiner Traumfrau werden sollte, musste was geschehen, so konnte ich ihr doch nicht unter die Augen treten.

 

Ich fuhr wieder aus dem Sessel hoch und kroch unter mein Bett. Irgendwo mussten noch meine Laufschuhe sein. Vielleicht fand ich im Wäschekorb auch noch eine Jogginghose. Als ich mir ein halbwegs passables Outfit zusammengesucht hatte, schnappte ich meinen Hausschlüssel und lief los.

 

An diesem Tag begann mein Martyrium. Ich trieb Sport. Exzessiv. Ich ließ mir einen schicken Haarschnitt sowie eine Tönung verpassen und legte mir eine neue Garderobe zu.

 

Natürlich hoffte ich, dass Nathalie mein verändertes Aussehen positiv auffallen und beeindrucken würde. Sie sagte jedoch nichts dazu, was ich ihrer Schüchternheit zuschrieb.

 

Für Markus hatte ich kaum mehr Zeit. Konnte mich ja schließlich nicht zerreißen. Obwohl – ein bisschen ein schlechtes Gewissen hatte ich schon, wenn ich mit immer neuen Ausreden um die Ecke kam. Aber ich konnte Markus unmöglich bei meinen sportlichen Aktivitäten gebrauchen. Der passte da nicht hin und würde mich nur ausbremsen. Das aber durfte nicht geschehen. Ich wollte, nein ich musste unbedingt Eindruck auf Nathalie machen. Vor allem, nachdem mir klar geworden war, dass auch andere Kollegen ihre ungewöhnliche Attraktivität bemerkt hatten. Wie das Licht von den Motten wurde sie von allen umschwärmt und ich wollte der sein der zum Zug kommen, der als Sieger hervorgehen würde. Unbedingt!

 

Eines Mittags machte Markus wieder einen Anlauf: „Simon, wie sieht’s aus? Wollen wir am Samstag nicht mal wieder auf die Briefmarkenausstellung des Philatelistenverbandes gehen.“

 

Das war eines der Dinge, die wir sonst immer zusammen machten. Jetzt hatte ich dafür aber echt keine Zeit: “Sorry Markus. Am Wochenende hab ich schon was vor. Vielleicht klappt‘s ja beim nächsten Mal wieder.“

 

Am Samstag war Beachparty im Strandbad und ich wollte Nathalie dazu einladen. It’s showtime! Meine Bemühungen hatten Früchte getragen: Die Leibesübungen und das Kasteien der letzten Monate hatten Wirkung gezeigt und ich war der Meinung, dass ich meiner Traumfrau endlich unter die Augen treten konnte.

 

Am Freitag konnte ich es nicht mehr hinausschieben und so nahm ich all meinen Mut zusammen und fragte sie in der Mittagspause, ob Sie Lust hätte mit mir auf die Party zu kommen.

„Das tut mir jetzt echt leid. Aber Markus hat mich gestern gefragt, ob ich mit ihm zu einer Briefmarkenausstellung komme.“

 

„Echt jetzt?“

 

„Na klar. Wir haben schon oft über unsere Sammlungen geredet. Und die Messe gilt ja unter Insidern als der Hammer.“

 

Na denn. Bitte schön. Viel Spass dabei!

 

Sauer, verwirrt, ungläubig, ja regelrecht erschüttert, hatte ich zum Rückzug geblasen. Hatte der doch tatsächlich Nathalie gefragt! Und alles nur weil ich die falsche Entscheidung getroffen hatte, nicht mit Markus zur Ausstellung zu gehen. (Oder vielleicht, meldete sich eine kleine fiese Stimme, weil du unbedingt ein anderer sein wolltest als der, der du bist.)

 

Zwei Wochen später galten die beiden als Paar. Ich konnte es nicht fassen! Markus hatte mir trotz seines immensen Umfangs, seiner schütteren Haare und den ausgeleierten Klamotten den Rang abgelaufen. Meine Eifersucht kannte keine Grenzen!

 

Ein halbes Jahr später luden sie zur Hochzeit ein und mir kam die Ehre zuteil Markus Trauzeuge zu sein. Auf dem Standesamt sah ich Elli, Nathalies Freundin und Trauzeugin zum ersten Mal. Klein, kurze dunkle Haare, Stupsnase, rundlich. Alles in allem so ziemlich das Gegenteil des Typs, den ich sonst bevorzuge.

 

Mit mittlerweile wieder mehr grauem als braunen Haarschopf und wieder um einige Kilos reicher, kam ich bei der späteren Feier neben ihr zu sitzen.

 

Obwohl ich Markus sein Glück mittlerweile ohne Einschränkungen und von Herzen gönnte, war ich nicht gerade sprühender Laune.

 

Doch Elli riss mich schon bald in ihren Bann. Schnell war es, als würden wir uns schon ewig kennen. Ihr perlendes Lachen war ansteckend und mit einem Mal war alles wieder leicht und schön.

 

Und – essen konnte sie! Es war beinah unglaublich was in diese kleine Person alles reinging. Endlich eine Frau, die sich nicht nur von Möhren und Salatblättern ernährte.

 

Wäre alles anders gekommen, wenn ich Markus auf die Ausstellung begleitet hätte? Hätte sich Nathalie am Ende für mich entschieden? Wer weiß das schon? Fest steht, dass ich Elli dann nie kennengelernt hätte. Und das wäre jammerschade gewesen!

 

Eine Stimme reißt mich aus meinen Gedanken: „Zweimal Schweinshaxen mit Sauerkraut und noch zwei Bier. Zum Wohlsein die Herrschaften.“

 

Ich wende meinen Blick vom See und schaue in Ellis fröhliches Gesicht.

„Guten Appetit mein Schatz!“ prostet sie mir zu.

 

V2