Von Daniela Recht

Johnny. Sie konnte nicht anders, als nicht an den Hund der Freundin ihres Bruders zu denken. Johnny, der hübsche Berner Sennenhund, der den Namen nur wegen John Wayne trug. Heute Abend war Johnny aber ihr Date – der Johnny aus Manchester, der gerade auf ihrem Handy anrief und immer mit einem Akzent sprach, den sie nicht verstand. Genauso hätte Sabine auch mit dem Hund sprechen können.

«Hi Sabin’, Johnny here. Wanna meetup in the new pub near where wemet the  lasttime?»

«Hi, äh, yes, sounds good, where was it again?» Juchu, fast alles gecheckt.

«Neartheroad how’sitcalled infrontofthebuilding, you know what I mean.. like?»

Nein, sie hatte keine Ahnung, was er meinte. Scheiße. «Sorry, the connection is really poor, I cannot hear you properly. Are you outside on a busy road?» Klang doch ziemlich überzeugend.

«Sabin’, you’restillthere, luve?»

Klick. Besser abzubrechen als sich weiter zu blamieren.

Sorry, bad connection. Text me the place and I’ll be there later. Thanks, Sabine.

Beinahe hätte sie das e ihres Namens am Schluss in großen Buchstaben geschrieben, doch das kam ihr dann doch ein wenig zu frech vor. Ist ja nicht seine Schuld, dass man im Deutschen den letzten Buchstaben aussprach. Sie war momentan die Letzte, die etwas in Sachen Sprachen sagen konnte!

Sonst hatte sie sich immer über ihr Äußeres Sorgen gemacht, was sie beispielsweise bei einem ersten Treffen anzog, aber der heutige Abend beunruhigte sie schon sehr. Denn ihre stärkste Waffe würde sie einfach nicht haben: ihr Mundwerk. Was macht man an einem Abend, wenn man den anderen nicht versteht? Ihr Englisch war nie besonders gewesen, sie hatte es bis heute auch nicht wirklich gebraucht. Warum hatte sie damals in der Schule bloß Italienischleistungskurs genommen? Englisch fand sie immer langweilig. Armer Johnny. Aber warum kam er auch nach München und konnte keinen Brocken Deutsch. Selbst schuld. Warum hatte er sich überhaupt mit ihr verabredet, er musste doch festgestellt haben, dass ihr Englisch grausam war. Aber als er sie um ihre Nummer gebeten hatte, war sie schon total betrunken gewesen und hatte nicht weitergedacht. Nicht daran, dass sie ihn tatsächlich wieder treffen würde.

Fuck. Shit. Fluchen ging problemlos. Sie sperrte die Tür auf, warf ihre Tasche in die Ecke und stellte sich vor den Spiegel.

»Hello honey, sweetheart. I am at home. Can I get you a drink?»

Sie spitzte ihren Mund nach vorne, sah eher wie ein dumm dreinblickender Fisch aus, der an die Wasseroberfläche schwamm, um nach Luft zu schnappen.

»So kann ich nicht punkten. Wenn ich schon nichts verstehe, muss ich wenigstens doppelt so gut aussehen, weil sonst wird das nix.»

Sie schminkte ihre Augen, ein bisschen mehr als sonst trug sie die Wimperntusche auf und malte sich die Lippen rot an, was sie normalerweise nicht tat. Die Jeans saß auch ein wenig knapper, das Oberteil passte perfekt. Also, äußerlich ging es schon. Bis um sechs Uhr hatte sie noch eine halbe Stunde, warum nicht ein bisschen Englisch auf BBC hören? Vielleicht strömte es durch ihr Gehirn und löste etwas Ungeahntes aus, das ihre Englischkenntnisse beflügeln würde. Plötzlich wäre sie im Stande, alle Akzente, auch den seinen, zu begreifen. Sie schämte sich schon, dass sie in Englisch so eine Niete war. Jeder sprach doch Englisch. Sogar ihre Mutter hatte wahrscheinlich mehr Brocken drauf als sie.

»Hiya, am Johnny from Manchesta», hatte er sich bei ihr vorgestellt und sie hatte seinen Akzent sofort lustig, nett und leider unverständlich gefunden.

Wenn er mit seinen blauen Augen nicht so süß aussähe, wäre sie ganz locker heute Abend hingegangen. Ohne Erwartungen, wie sie es meistens auch tat. Aber irgendetwas war letztes Mal geschehen, als sie sich kennengelernt hatten. Nicht nur, dass er anders als die deutschen Typen war, die sie kannte, seine entspannte, coole Art gefiel ihr einfach und sie wollte ihn! Wenn sie sich zurück erinnerte, so viel hatten sie an diesem Abend nicht miteinander gesprochen, die Musik war viel zu laut dafür gewesen. Trotzdem war eine Art Verbindung zwischen ihnen entstanden, richtig magisch. Unheimlich.

Sabine seufzte. Das Radio verstand sie ganz gut. Aber die sprachen ja auch normales Englisch, so sprach ja keiner, dachte sie. Wenn sie nach dem Abitur nur mehr in englischsprachige Länder verreist wäre und nicht immer nur nach Italien. »Wäre, wenn, hätte», sagte sie ironisch. »Das bringt jetzt auch nichts. Alright, I can do this, baby.»

Sie schnappte sich ihre Jacke, knallte die Tür hinter sich zu und stampfte davon, ihre Locken selbstbewusst hin und her wippend.

Sie sah Johnny schon von Weitem, in seinem Parka, bis nach oben geknöpft, obwohl es ein sehr milder Abend war.

»Hey, Sabin’, rief er. »Nice to seeya.» Er küsste sie auf die Wange und sie roch ihn. Himmlisch.

»CanIgetya a drink? A pint or a G&T maybe?»

»Yeah, G&T sounds lovely.» Sabine hatte keine Ahnung, wovon er sprach, doch sie lächelte. Drink – das war einfach. Sie hoffte, dass er nicht anfing, über Politik zu sprechen. Da würde das Raten dann schon schwieriger und ziemlich peinlich werden.

»I am sorry, my English is not so good», fing sie an, als er die Getränke brachte. »But I have never really practised it after the Gymnasium, äh High School.»

»Areya crazy? I shouldspeaksomeGerman, you know.Your English is fantastic.» Er sprach die letzten Worte langsam und klar. »YouGermanshave fantastic English.»

»Thanks.» Den zweiten Teil hatte sie nicht verstanden, aber sie war sicher, dass es  etwas Positives war, er lächelte. Fantastic English. Sie zog am Strohhalm und freute sich wie ein Kind, das man gerade auf den Kopf getätschelt hatte.

»Iwishmymum was German, not Italian. I couldspeak German withya.»

»German with me?»

»Yes. But she’s Italian.»

»Who?»

»My mum.»

»You speak italiano?»

»Si.» Er grinste.

»Italiano! Possiamo parlare in italiano? Wir können Italienisch sprechen?»

»Certo, se vuoi, non c’e’ problema. No problem. Keine Problem.»

Sabine hätte ihn am liebsten geküsst. Und ihre Lehrerin. Die sie überzeugt hatte, damals Italienisch als Leistungskurs zu nehmen. Und ihre Freundin, die sie immer überredet hatte, ihre Urlaube auf Sizilien zu verbringen. Sie atmete tief durch und setzte ihr schönstes Lächeln auf. Ihre Schultern entspannten sich. Endlich ging der Abend richtig los.