Von Ina Rieder

„Hoabs des gheat, der oade Schirrer is hi!“ 

Der Wagner-Bauer* stand in seinem besten Gewand vor der Kirche zum „Heiligen Geist“. Sein Nachbar, der Schuster-Bauer, lehnte ihm gegenüber an der Wand und sah ihn mit gerunzelter Stirn an. Neben ihm verweilte der Fleischer-Bauer und verzog das Gesicht. Gerade so, als hätte er in eine saure Zitrone gebissen. Die drei hatten einige Gemeinsamkeiten. Sie hießen Sepp, waren Landwirte in dritter Generation und befolgten eisern den Schwur ihrer Großväter: ihr Land und Gut unter keinen Umständen zu verkaufen. Und so hielten sie zusammen, was zum Zusammenhalten war.

 Allerdings gab es da eine klitzekleine Ausnahme. Ein altes Landhaus mit 80.000 qm2 Grund war seit Jahrzehnten im Besitz des alten Herrn Schirrer aus Hamburg. Es thronte, den Einheimischen zum Trotz, verlassen und verwildert auf einer Anhöhe des Dorfes. Der Wagner-Bauer, dem in der Region ohnehin schon der Großteil der Grünflächen und ein beträchtlicher Teil des Waldes samt See gehörte, hätte es gerne gekauft. Der alte Schirrer wollte das zu Lebzeiten aber nie.

„Woas passiert etzand mit dem Grundsticki?“, fragte der Schuster-Bauer.

„Na, hoffentli kriegt des koa Fremda!“, erwiderte der Fleischer.

„Schlimma!“, entgegnete der Wagner-Bauer. „I hoab gheat, dass des oade Londhaus samt Grundsticki sei Neffe Bernd gerbt hoat.“

„Um Gotts Wuin! Da hobm i zeascht a amol an Schluck nötig!“, rief der Schuster-Bauer und kramte einen Flachmann aus der Innenseite seines Sakkos hervor. Er schraubte ihn auf und nahm zuerst selbst einen kräftigen Zug. Dann reichte er das Trinkgefäß weiter. Der Wagner-Bauer tat es ihm gleich, spuckte die Plörre aber sogleich angewidert wieder aus. „Woas is denn des für a Dreck, ha? Jagameista oda woas?“

Der Schuster-Bauer nickte schuldbewusst und sagte: „Joa, mei, da Selbstbrannte is aus!“

„Gib uma!“, forderte der Fleischer-Bauer. „Pfiati Lackal“, sagte er und trank den Kräuterlikör im Flachmann bis zum letzten Tropfen leer. „Wer woaß, woas da Bernd mit dem Grundsticki vurhot. Net, dass der des für vui Göd an so an Immobilienhai vakaft!“

***

Im April rückten die ersten Bauarbeiter an. Es nieselte, ab und zu brach die Sonne hinter den Wolken hervor. Ein bunter Regenbogen erstreckte sich hinter den Alpen bis hin zu Bernds altem Landhaus, das er für seine Zwecke renovieren ließ. 

Neugierig wie er war, setzte sich der Wagner-Bauer hinter das Lenkrad seines Lindner-Traktors und fuhr kurzerhand zur Baustelle. Zwei Männer waren gerade beschäftigt, Kellerfenster zuzumauern. Der Wagner hielt direkt vor dem Landhaus an, stieg ab und schüttelte den Kopf. Er ging mit großen Schritten auf die Arbeiter zu. 

„Woas soi des etzand?“, fragte er und zeigte auf die Kellerfenster.

Einer, der Mauerer, zuckte mit den Schultern und der andere antwortete: „Anweisung vom Piefke! A komischs Mandl.“

„Aha. Woaßt du, woas der mit der oaden Budn vurhot?“, fragte der Wagner.

„I woaß net, ob des stimmt, oba i hab gheat, der mecht a private Kunstakademie aufmoachn! A so a Depp. I ku ma net vurstön, dass de Junga, do freiwillig herkemman!“

Dem Wagner-Bauer entgleisten die Gesichtszüge. Das war noch schlimmer als alles, was er sich in seiner Fantasie ausgemalt hatte. Die Neuigkeiten musste er so schnell wie möglich mit seinen Leidensgenossen teilen. 

„Pfiat ench, vergelts Gott“, sagte er und fuhr zum Holzabladeplatz, wo er um diese Uhrzeit den Fleischer- und den Schuster-Bauern vermutete. 

Der Wagner-Bauer hatte die zwei noch nicht einmal erreicht, da sprudelte der Ärger schon aus ihm heraus. „A Kruzfix nu amoal eini!“

„Woas is?“, fragte der Schuster-Bauer. „Du schaust ja gonz dakemma aus!“

„Ihr glabst net, woas i grad dafroagt hob! Danaxt soll so a Kinstlagschwerl beim Schirrer ei und aus geh!“, schimpfte der Wagner.

„Sodom und Gomorra“, bekräftigte der Schuster-Bauer.

Der Fleischer rümpfte die Nase und fügte hinzu: „So Haschspritzer hoabn ins grad nu gfeit in unserm Derfei.“

„Dem wer ma sche a de Suppn spuckn. I hoab da scho a Idee“, ereiferte sich der Wagner und die drei steckten ihre Köpfe zusammen.

***

Der Wagner-Bauer fuhr wenige Tage vor der Öffnung von Bernds Kunstakademie mit seinem Traktor und dem Güllewagen auf eines seiner Felder, welches an das Grundstück vom „jungen Schirrer“ grenzte. Wie gewohnt, drehte er kreisförmig von der Mitte des Feldes aus, seine Runden, um die Jauche gleichmäßig zu verteilen. 

Mehrmals musste er zurück zur Grube fahren, um den Tank neu zu füllen. Mit seiner letzten Ladung kam er Bernds Grundstück gefährlich nahe. Der Kunstlehrer stand gerade im Garten und beobachtete die Fortschritte der Maler, die die Fassade seines Landhauses in einem schönen Eierschalenton strichen.

‚Muss der ausgerechnet heute seine Felder düngen? Wie das stinkt! Kaum auszuhalten‘, dachte er und ärgerte sich über den Lärm, den der Traktor verursachte. 

Der Wagner-Bauer fuhr den Güllewagen plötzlich rückwärts, knapp bis zu Bernds Grundstücksgrenze und verspritzte Jauche direkt in Bernds Garten. Der Kunstlehrer bekam eine Ladung davon ab und sprang angeekelt zur Seite. 

„Sagen Sie mal, sind Sie übergeschnappt? Das wird Konsequenzen haben“, brüllte er. 

Der Wagner wendete sein Gefährt. Als er auf Bernds Höhe vorbeifuhr, hob er grinsend seinen Hut und machte sich wieder vom Acker.

***

Am Tag der Eröffnung seiner Kunstakademie erwachte Bernd gegen acht Uhr morgens. Er schälte sich aus dem Bett, streckte sich ein paar Mal genüsslich und trat barfüßig an eines der Fenster, um die schöne Aussicht zu genießen. 

„Was zum Teufel ist hier los! Was soll das denn?“, empörte er sich. Sein Blick glitt ungläubig auf einen großen Berg gefällter Baumstämme, die nun die direkte Auffahrt zu seinem Landhaus blockierten.

„Diese verdammten, einfältigen Bauern!“

Bernd ging ruhelos in seinem Zimmer auf und ab und dachte sich in Rage. Er musste an all die Demütigungen denken, die er erfahren hatte, seit er hier im Dorf angekommen war. Die Jauche-Attacke war nur eine von vielen gewesen. 

„Na wartet!“, rief er kampfeslustig aus. „Euch wird das Lachen noch vergehen!“

Bernd hechtete über das Treppenhaus nach unten, rauschte an seiner Haushaltshilfe, die ihm verdattert nachschaute vorbei und stieg in seinen alten VW-Käfer. Er nahm einen Umweg und bretterte viel zu schnell eine Forststraße entlang. Endlich gelangte er auf die Landstraße, die zum Dorf führte. Bernd bemerkte eine umgestürzte Mülltonne auf dem Bürgersteig. Ein Haufen Unrat lag verstreut auf dem Fußweg und mittendrin sah er das Hinweisschild zu seiner Kunstakademie.

„Das darf doch jetzt nicht wahr sein! Manipulation pur!“, schrie er und stieg auf die Bremse. Bernd sprang aus dem Wagen, fluchte, weil er nicht daran gedacht hatte sein Handy mitzunehmen. Gerne hätte er ein Beweisfoto gemacht. Wutentflammt zog er den Wegweiser aus dem Müllberg und fuhr weiter. 

An jenem Morgen fand der monatliche Bauernmarkt statt. Die Landwirte aus dem Dorf priesen ihre Produkte an: Milcherzeugnisse, Fleisch, Wurst, Gemüse und Handwerkskunst. Bernd fuhr mitten auf den Dorfplatz. Dort tummelten sich schon einige Einheimische und Feriengäste. Ein paar Passanten wichen dem heranbrausenden Kunstlehrer eilig aus.

Der Wagner-Bauer, der mit dem Schuster- und dem Fleischer-Bauern beieinanderstand, sagte belustigt: „A schauts, wer do dahergimbt.“

Der Schuster und der Fleischer drehten sich um. Bernd eilte den drei Landwirten entgegen. Seine Haare standen wirr vom Kopf ab. Mit hochrotem Gesicht blieb er vor dem Stand des Wagner-Bauers stehen.

„Sind Sie das gewesen?“ Bernd fuchtelte mit dem Wegweiser zu seiner Akademie drohend in der Luft herum. „Das ist Vandalismus! Ich lass mir das nicht länger gefallen, ihr Volltrottel!“

„Wer is etzand doa da Voidrottl, ha?“, fragte der Wagner grinsend. „I steh jedenfoals net im Nachtgwand mitten aufn Dorfplatz, wie so a Irra!“

Rundherum war Gelächter zu hören. Bernd sah an sich herunter. In seinem Zorn war ihm gar nicht aufgefallen, dass er im Pyjama aus dem Haus gegangen war. 

Der Kunstlehrer sammelte sich wieder und hob seinen Kopf. „Wenn innerhalb der nächsten Stunde die Baumstämme nicht von meiner Auffahrt verschwunden sind, dann zeige ich Sie an, alle drei! Verstanden?“

Hinter Bernd drängten sich zwei Polizisten nach vorne. Die beiden stellten sich, mit verschränken Armen vor ihm auf. Einer von ihnen sagte mit süffisantem Ton: „Du kust gern a Anzeig moachn. Doa miss ma oba auf de Polizeiwoachn und des dauerscht doann, ge. Die Eröffnung kust nochand vagessen. Hoast des vastonden?“

Plötzlich tauchte Bernds Haushaltshilfe Maria auf. 

„Bernd, wie viele Studierende erwartest du im ersten Semester?“

Bernd sah Maria mit großen Augen an. „Um die vierzig. Wieso? Das tut doch jetzt nichts zur Sache!“

„Studenten können ganz schön hungrig sein, stimmst? Die trinken literweise Milch, essen gerne Joghurt und so weiter …. Einen Großteil der Lebensmittel könnte man ja direkt ab Hof kaufen!“

„Ja, ja. Könnte man.“ Bernd dämmerte langsam, worauf seine Haushaltshilfe hinauswollte. 

„Gibt es hier jemanden, der mich regelmäßig mit Milch und frischen Eiern versorgen kann?“, fragte er in die illustre Runde.

„De Eia kriegst vo mir“, ereiferte sich der Wagner-Bauer.

„I ku da an guatn Preis füd Muich moachn“, überlegte der Schuster-Bauer. „Handgfertigte Schuach gibts bei mir a.“

„Und i hoab des beste Fleisch. Oas Bio!“, sagte der Fleischer-Bauer.

Der Wagner kam hinter seinem Stand hervor und klopfte Bernd freundschaftlich auf die Schulter. 

„Euso, des Schüd, des häng i da glei wida auf. Un de zwoa Buma vom Sepp kümmern si um de Baamstämm! Stimmtst, Sepp?“

„Ja“, sagten der Schuster-Bauer und der Fleischer-Bauer im Chor. 

Bernd hatte zwar nur die Hälfte verstanden, aber er spürte, dass er die erste Hürde zur Integration ins Tiroler Dorfleben genommen hatte. 

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Wer sich für Tiroler Mundart interessiert:

https://www.tiroler-mundart.at/datenbank/

 

Zu den Bezeichnungen Wagner-Bauer, Fleischer-Bauer, Schuster-Bauer: 

In Tirol hat JEDER Bauernhof einen Haus- und Hofnamen. An diesen erkennt man nicht nur, wer hier wohnt, sondern auch wer früher hier gelebt hat. Die Namen sind teilweise 100 Jahre alt und haben alle eine Bedeutung. Oft kommt der Name von der geografischen Lage. Zum Beispiel leitete sich der Name „Egger-Bauer“, von dem am Eck gelegenen Hof ab. In meiner Geschichte leiten sich die Namen von den derzeitigen/früheren (zusätzlichen) Berufen der Landwirte ab. 

 

*Wagner = Stellmacher, ein Handwerker, der Räder, Wagen und andere landwirtschaftliche Geräte aus Holz herstellt