Christian Künne

„So, sie ist scharf.“ Auf Screbins vollbärtigem Gesicht zeigte sich ein breites Grinsen, als er sich zu Laki umdrehte. „Jetzt bloß nicht zu heftig durch die Schlaglöcher.“ Screbin lachte.

Laki warf einen Blick in den Laderaum des Vans. Er schätzte Screbins Arbeit. Der kleine Mann mit dem Vollbart war noch von der alten Schule. Keine elektronischen Spielereien, keine egozentrischen Signaturen. Vier Fässer mit Screbins Spezialdünger, auf einem mittig platziert ein Stück Plastiksprengstoff, darin ein einfacher Säurezünder. Jetzt musste Laki nur noch die kleine Kapsel am Zünder zerdrücken, dann hatten Marti und er rund viereinhalb Minuten Zeit, sich davonzumachen.

Laki nickte anerkennend und zog die Seitentür des Vans zu. Er wandte sich zu Marti und gab ihm ein kurzes Zeichen.

„Alles gut?“, fragte Marti überflüssigerweise.

„Mach schon“, erwiderte Laki.

Marti zog aus der Jackentasche zwei zusammengerollte, mit einem Gummiband gehaltene Geldbündel hervor. Ohne ein weiteres Wort reichte er diese an Screbin, der sie, immer noch breit grinsend, in der Brusttasche seiner Weste verschwinden ließ.

„Dann viel Erfolg, Jungs!“ Screbin hob die Hand zum Abschied und ging zu seinem Wagen.

Laki sah ihm hinterher, bis er das Gelände der alten Lagerhallen hier am Rande eines Industriegebiets verlassen hatte. Dann blickte er auf den Van vor ihm. Der weiße Lack warf die Straßenbeleuchtung und das Mondlicht gleichermaßen zurück.

Marti war neben Laki getreten und räusperte sich. „Darf ich fahren?“

„Auf keinen Fall.“

 

*

 

„Es ist ja echt so gar nichts los.“ Marti deutete nach draußen. „Nullkommanix.“

Laki schüttelte leicht den Kopf. Manchmal fragte er sich, wie er mit Marti zusammenarbeiten konnte. Er trommelte mit dem Fingern auf das Lenkrad und schaute stur durch die Frontscheibe.

Sie fuhren auf einer der Zubringerstraßen ins Stadtzentrum. Links und rechts verteilten sich Autohändler und Fast-Food-Restaurants, gelegentlich von einem Discounter oder Matratzengeschäft unterbrochen. Um diese Nachtzeit geschlossen. Mit einer Ausnahme.

„Da ist noch was los.“ Laki bremste den Van herunter, fuhr dennoch zu schnell auf den Parkplatz des Fast-Food-Restaurants.

„Was denn jetzt?“ Marti nahm seinen Fuß vom Armaturenbrett.

„Ich brauche einen Milchshake.“ Laki steuerte den Van quer über die Parkfläche zum Drive-in und hinter dem einzigen Fahrzeug vorbei – das genau in dem Moment rückwärts aus der Parklücke zog. Knapp brachte Laki den Van an dem BMW vorbei und drückte auf die Hupe. Der BMW schoss bereits auf die Straße hinaus.

„Maaaannnn …“ Marti klammerte sich an die Tür und sah sich um.

Laki verlangsamte den Van. „Was ein Wichser.“ Am Bestellschalter stoppte er. „Willst du auch was?“

„Chili-Cheese-Fries.“

 

*

 

Sie waren vom breiten Zubringer abgebogen und fuhren durch ein weiteres Industriegebiet. Laki nuckelte an seinem Milchshake und hörte missmutig Martis Schmatzen zu. Er tastete nach dem elektrischen Fensterheber und ließ das Fahrerfenster herunter. Ein kalter Luftzug ging durch die Kabine.

„Hey, es zieht“, sagte Marti zwischen zwei Bissen.

„Dein komischer Fraß stinkt wie hulle.“

„Warte erst, bis der Chili-Cheese durch ist.“

Laki verkniff sich einen weiteren Kommentar und ließ stattdessen einen großen Schluck Milchshake auf der Zunge zergehen. Er betrachtete die versperrten Rolltore, die zu Fabriken und Lagerhallen führten, und fragte sich nicht zum ersten Mal, ob sie nicht bei dem einen oder anderen einen Bruch wagen sollten.

Nach der nächsten Kurve tauchte plötzlich im Scheinwerferlicht ein Mann am Straßenrand auf. Laki kniff die Augen zusammen und verlangsamte den Van. „Hey, Marti, ist das nicht Günther?“

„Glaub schon.“

Laki hielt neben dem Mann. „N’Abend, Günther! So spät noch on Tour?“

„Ach, ihr seid’s!“ Günther schob sich eine grau melierte Haarsträhne aus dem Gesicht und zeigte einen Bolzenschneider in der anderen Hand. „Ach, wollte nur mal einen kurzen Blick auf die Baustelle dahinten werfen.“

Laki lachte. „Und da läufst du hier mitten auf der Straße?“

„Um diese Uhrzeit sind keine ehrbaren Bürger unterwegs.“ Günther kam ein Stück näher zum Fenster. „Normalerweise sehe ich euch doch mit diesem Dings … einem anderen … Gefährt, oder?“

Laki klopfte aufs Lenkrad. „Der ist nur kurz ausgeliehen.“

„Schon klar.“ Günther lachte, dann schlug er zweimal kräftig mit der flachen Hand gegen die Seite des Vans. „Dann mal frohes Schaffen, Jungs!“

Laki zuckte kurz zusammen, dann brachte er grinsend heraus: „Dir auch, Günther!“

 

*

 

„Was wird das denn jetzt?“ Marti machte eine fragende Geste. „Langsam macht ihr mich alle nervös.“

„Beruhige dich mal.“ Laki klemmte den leeren Becher in den Becherhalter. „Das ist eine Abkürzung.“

„Das ist eine verschissene Spielstraße in einem Wohngebiet.“ Marti knüllte die Pommesverpackung und Servietten zusammen. „Hier dümpeln wir doch nur durch.“ Er ließ das Seitenfenster herunter und schmiss den Müll hinaus.

Laki stieg voll in die Bremsen. Dann starrte er auf Marti.

„Spinnst du?“, rief dieser.

„Steig aus und sammle deinen Müll wieder ein.“ Laki deutete zur Tür. „Sofort. Oder du kannst die restliche Fahrt auf einem der Fässer sitzen.“

Marti hob beschwichtigend die Hände. „Ist ja schon gut.“ Er stieg aus und war nach wenigen Sekunden mit seinem Müll wieder im Van. „Ich lege es einfach in den Fußraum, siehst du?“

Laki fuhr zur Antwort wieder an und steuerte den Van an einigen parkenden Autos vorbei. Er beschleunigte, als er sie hinter sich gelassen hatte.

Marti sog überdeutlich die Luft ein. „War gerade voll übertrieben von dir.“ Er platzierte wieder einen Fuß auf dem Armaturenbrett. „Echt jetzt, voll übertrieben.“

„Ehrlich, hätte nicht übel Lust, dich nachher einfach im Wagen zu lassen.“ Laki gab noch mehr Gas.

„Warum denn?“ Marti sah zu Laki, der den Blick scharf erwiderte.

„Weil du mir gerade tierisch auf den Sack gehst.“ Laki starrte so lange, bis Marti wieder nach vorne sah – und den Mund aufriss.

„Vor…!“, brüllte Marti die erste Silbe durch die Fahrerkabine.

Dann knallte der Van über die Bremsschwelle. „Verfickte Fickscheiße!“, rief Laki und legte eine Vollbremsung hin.

Er zog die Handbremse an. Eine Sekunde verschwendete er mit blinzeln, dann war er aus dem Wagen und riss die Seitentür auf. Er atmete tief durch, die Säurekapsel war unversehrt.

Zurück hinterm Steuer warf er einen deutlich milderen Blick zu Marti. Der hatte sich keinen Zentimeter gerührt.

„Dämliche Spielstraße, sag ich doch.“ Marti grinste plötzlich. „Beinahe wären wir morgen richtig groß im Internet und den Nachrichten rausgekommen.“

Laki nickte und hielt Marti die Faust hin. Der schlug ein.

„Da ist ein Licht angegangen.“

„Geht schon weiter.“

 

*

 

Nach weiteren zwanzig Minuten erreichten sie ihr Ziel. Mehrere Gebäude lagen ein Stück von der Straße entfernt, ein großer Hof verband sie mit der Straße. Laki fuhr auf den Hof und dann weiter hinter eines der Gebäude.

Ein schmales Schild wies es als Waffengeschäft aus. Im Schritttempo fuhren sie am hinteren Eingang vorbei zu einem schmalen Ladebereich. Laki setzte den Van rückwärts gegen das Absperrgitter und drückte es dabei ein wenig ein. Dann machte er den Motor aus.

Marti beugte sich vor und sah durch die Fenster. „In den anderen Gebäuden ist wirklich niemand?“

„Nein, nicht mal ein Penner.“ Laki sah auf seine Armbanduhr.

Marti lehnte sich wieder zurück. „Hat er was gesagt, wem er die Sache in die Schuhe schieben will?“

„Ja, aber ich hab nicht richtig zugehört.“ Laki beobachtete den Sekundenzeiger seiner Uhr. „Linke, Rechte, welche von geradeaus. Keine Ahnung. Will die Versicherungssumme einsacken und dann was mit Gewürzen machen, oder so.“

„Ah, klassisch.“ Marti nickte. „Den eigenen Laden abfackeln lassen, um Kohle zu kassieren.“

„Tsja, ist sein Geschäft, muss er ja wissen. Solange er uns bezahlt, sprengen wir das Ding.“ Laki lachte auf. „War eh ein scheiß Waffenhändler.“

Marti winkte ab. „Ich hasse es nur, wenn Extremisten die Lorbeeren für unsere Arbeit einheimsen.“

Laki sah wieder kurz auf seine Uhr. „Sei lieber froh. Wenn’s die Rechten sind, machen die Bullen nicht so viel.“ Nach einem weiteren Blick: „Los!“

Sie stiegen aus. Laki öffnete die Seitentür und zerdrückte die Säurekapsel. Schwungvoll schloss er die Tür wieder, versperrte den Van und warf den Schlüssel unter das Fahrzeug.

Dann liefen sie zu einem der anderen Gebäude. Marti warf Laki im Laufen eine Skimaske zu, die er geschickt auffing und überzog – Marti trug seine bereits.

Auf der Rückseite des Nachbarhauses war es tiefdunkel. Laki benötigte einen Moment, um sich zu orientieren, aber Marti hatte ihr Gefährt bereits entdeckt und zog es zwischen den Büschen hervor: eine verbeulte und verrostete Vespa. Dann hatte Laki ihre Helme entdeckt und er reichte einen an Marti.

„Kann ich heute mal fahren?“ Marti verharrte mit dem Helm bereits halb auf dem Kopf.

„Auf keinen Fall.“

 

*

 

Die Vespa schnurrte wie ein Kätzchen. Marti hielt sich hinten am Gefährt fest, während Laki den Gashahn ordentlich aufdrehte. So schossen sie auf die Landstraße hinaus Richtung Stadt.

Sie schnitten gerade die Kurve in ein kleines Waldstück hinein, als hinter ihnen eine Detonation ertönte. Screbin hatte wie immer gute Arbeit geleistet, sie hatten wie immer gute Arbeit geleistet. Einfach eine scharfe Sache!

 

V2