Von Ingo Pietsch

Eigentlich wollte ich meinen Feierabend genießen und in meinen Hotdog beißen, als es in meiner Jackentasche vibrierte.

Vor Aufregung drückte ich so fest zu, dass das Würstchen aus dem Hotdog flutschte und in einer Pfütze landete.

So was passierte immer nur mir.

Dafür freute sich ein Straßenköter, der neben dem Stand auf der Lauer gelegen hatte und nun das Würstchen rettete.

Ich nahm den Anruf entgegen und hörte gebannt zwei Minuten lang nur zu.

„Bin unterwegs“, antwortete ich. Ich schlang den Rest meines vegetarischen Hotdogs herunter und eilte zu meinem Auto.

 

Eine Bande, die schon seit längerem die Ostküste unsicher machte, war bei mir in der Stadt in eine Bank eingebrochen.

Obwohl sie bei jedem Bruch extrem gut vorbereitet gewesen waren, hatten sie den Alarm ausgelöst und waren jetzt mit ihrer Beute auf der Flucht.

Unterwegs erfuhr ich, dass meine Kollegen sie in einem Parkhaus in die Enge getrieben hatten, aus der sie nicht wieder herauskamen.

Das Parkhaus war umstellt und ein  S.W.A.T.-Team erwartete mich.

Ich bekam eine schusssichere Weste und ein Headset.

Der Leiter des Teams instruierte mich: „Sie sind mit einem Lieferwagen ins Untergeschoss gefahren. Von dort gibt es außer dem Treppenhaus keine Möglichkeit mehr zu entkommen. Die Auffahrt ist von uns blockiert worden und das Sicherheitsgatter heruntergelassen. Auf Megafonaufrufe reagieren sie nicht. An die Videoüberwachung kommen wir momentan nicht heran – der Hausmeister liegt noch im Bett. Wir wollten jetzt stürmen.“

Ich als Captain gab das Startkommando: „Alle auf ihre Plätze, los!“

Plötzlich flackerte das Licht und erlosch dann.

„Scheinwerfer an – Taschenlampen raus!“

Unsere Polizeiautos leuchteten das Gebäude mit Strahlern an. Die S.W.A.T.s hatten Helmlampen.

„Und rein!“ Die Tür zum Treppenhaus wurde aufgestoßen und es ging los.

Einer nach dem anderen gab sich gegenseitig Deckung – ich folgte zum Schluss.

Ich war völlig außer Atem, als wir unten ankamen. Das Hotdogbrötchen hatte meine Kondition ruiniert.

Außer meinem Lungengerassel war es still und unheimlich dunkel.

Das Team verteilte sich nach und nach im Untergeschoss und rückte vor, als keine Gegenwehr zu erwarten war.

Allein, was ich in den Lichtkegeln sah, war schreckenerregend.

Und damit meinte ich nicht die Staubflusen, die herumschwebten.

Wir umstellten die Bande und sicherten den Minivan.

Die Beute lag immer noch in Säcken verstaut im Laderaum.

Dann flammte die Parkhausbeleuchtung wieder auf.

Ich hielt erst einmal die Luft an. Mir kam mein Hotdog-Rest fast wieder hoch.

„Das sieht man nicht alle Tage.“ Der Kollege der Spezialeinheit hatte seinen Helm abgenommen.

Ich beäugte ihn von der Seite: „Ehrlich, will nicht wissen, was sie schon alles erlebt haben, aber für mich ist das neu. Ich beneide Sie nicht um ihren Job.“

Über Funk kam die Meldung rein, dass die Rettungssanitäter eingetroffen waren.

„Hier Archer. Ich denke, das können wir uns sparen. Wir brauchen die Pathologie. Und die Spurensicherung. Am besten alle.“

Der S.W.A.T.Team-Leiter gab einige Befehle und schritt mit mir vorsichtig durch das Chaos, um uns einen Überblick zu verschaffen. Ich wünschte, ich hätte andere Schuhe angehabt. Ich hielt einen hoch. So ein Mist!Die waren neu und ich hatte vergessen, sie zu imprägnieren.

„Das war also die berüchtigte Ostküsten-Bande?“, fragte der Leiter.

„Ja, fast ein Dutzend Einbrüche und Überfälle. Immer kamen sie unerkannt davon. Wie vom Erdboden verschluckt. Aber diesmal wohl doch nicht.“

„Und ich frage mich, was genau hier passiert ist. Das war doch kein Unfall.“

Die Spurensicherung traf ein: „Ach, du Sch …“, weiter kam mein Kollege nicht und kotzte sich auf die Füße.

Ich ging einen Schritt zurück, auch wenn das nicht viel brachte – meine Schuhe waren eh nicht mehr zu retten.

Ich drehte mich um. „Wer das hier nicht aushalten kann, verschwindet. Wir wollen nicht, dass irgendwelche Beweise verloren gehen.“

Ein Teil des Personals verschwand mit blassen Gesichtern wieder.

„Ich denke, dass wir den Fall zu den Akten legen können. Das Geld ist im Fluchtfahrzeug und es sieht nicht danach aus, als wäre jemand vom Tatort geflohen.“ Ich sah auf den Boden und machte vorsichtige Schritte.

Wenn jemand geflüchtet wäre, hätte man ganz sicher Fußspuren entdecken können, die von hier wegführten. Nicht mal auf Zehenspitzen hätte sich da wer wegschleichen können.

Aber warum hatten die sich das gegenseitig angetan? War das irgend so eine Kodexsache?

Ich beschloss, den Rest meinen Kollegen zu überlassen und wollte die Ergebnisse abwarten.

Also fuhr ich nach Hause.

 

Ich konnte die halbe Nacht nicht schlafen.

Irgendwas war faul an der ganzen Sache.

Morgens um drei fuhr ich ins Polizeirevier und ließ mir die vorläufigen Ergebnisse präsentieren.

Der Kaffee aus dem Pappbecher war viel zu heiß und ich schüttete einen Teil davon über mein zerknittertes Hemd.

Zusammen mit dem S.W.A.T.-TEAM-Leiter sahen wir uns die Videos an.

„Ich hab mir mal schon was davon angesehen. Ist kein schöner Anblick. Die Tatwaffe ist ein Katana – ein japanisches Langschwert.“ Er zeigte auf den Tisch.

„Ist das echt oder eine Replika?“ Ich nahm das Schwert in dem Plastikbeutel in die Hand. Aus Kunststoff war es jedenfalls nicht. „Ganz nett für ein Brotmesser.“

Der Leiter las von seinem Pad ab: „Nein, es ist echt. Eigentlich unbezahlbar. Und es ist definitiv schärfer als ein Brotmesser, wenn man sich den Zustand der Leichen ansieht.“

„Ein Schwert? Hat der Letzte sich selbst getötet? Kritharaki?“

„Es heißt Harakiri. Nein. Sehen wir uns das Video an.“

Auf dem Monitor erschien der Mini-Van. Alle Insassen, sechs vermummte Gestalten, sprangen heraus und sondierten die Lage. Für mich sahen sie wie die klischeehaften Ninjas aus den Filmen aus. Zwei trugen halbautomatische Pistolen in Halftern. Einer hatte das Katana auf dem Rücken. Schließlich trafen sie sich im Kreis und besprachen mit wortreichen Gesten ihre Situation. Dann ging alles so schnell, dass ich mit dem bloßen Augen kaum folgen konnte. Der Ninja hätte einem Nicer-Dicer alle Ehre gemacht.

„Es hat etwas gedauert, alles zuzuordnen, aber es sind tatsächlich nur fünf Leichen am Tatort gefunden worden. Japanischstämmige, mit amerikanischer Staatsangehörigkeit.“

Das Video lief weiter. Der verbliebene Ninja blickte sich um und warf anschließend einen Wurfstern außerhalb des Sichtbereiches und es wurde dunkel.

Eins leuchtete mir immer noch nicht ein: Selbst wenn er sich unsichtbar gemacht hätte, wie ist er dann entkommen? Er stand mitten in einem See aus Blut.

„Wo ist er hin? Ist er weggeflogen?“

Der Leiter räusperte sich. „Jetzt wird es ein bisschen peinlich. Wir haben sein Outfit im Van gefunden. Versteckt in einem Geldsack. Anscheinend hat er sich als S.W.A.T.Team-Mitglied verkleidet und sich dann unter meine Truppe geschlichen, als wir den Tatort untersuchten.“

Ich sagte nichts dazu.

„Das heißt, er könnte einer von uns sein und wir würden ihn nicht einmal bemerken.“

Der Teamleiter antwortete nicht darauf.

Mir kam ein ganz anderer Gedanke: „Ist denn sonst noch etwas gestohlen worden?“

„Äh, ja. Ein Kettenglied.“

Ich sah den Leiter fragend an.

„Ein Glied einer Halskette. Wir haben es mit den anderen Einbrüchen verglichen. Anscheinend sollte das Geld vom eigentlichen Diebstahl ablenken. So ein reicher Japaner hat eine Kette in seine Einzelteile zerlegt und an unterschiedlichen Orten deponiert. Sie soll angeblich magische Kräfte besitzen. Verrückt, oder?“

Wenn jemand die eigene Mannschaft in ihre Einzelteile zerlegte, musste er ziemlich fanatisch sein.

„Wie viele Teile fehlen noch?“, wollte ich wissen.

„Das war das Vorletzte.“

„Das heißt, wir wissen, wo er als nächstes zuschlagen wird?“

„Möglich, wenn wir bestimmen können, wo es eingelagert ist.“

„Meine Herren, keine Bewegung!“

Schon hatte ich meine Dienstwaffe gezogen. Getroffen von einem Wurfstern, flog sie mir aus der Hand, als ich mich umdrehte.

„Bleiben Sie bitte ruhig. Ich will Ihnen nicht schaden. Nur mein Schwert holen.“ Ein Ninja ging langsam zum Tisch und nahm sich das Katana. Dabei hielt er einen weiteren Wurfstern, von dem er zweifellos noch mehr besaß, jederzeit bereit, zu werfen.

Mich interessierte im Moment nicht, wie er hereingekommen war. Sondern was es mit der Kette auf sich hat.

„Was kann diese Kette, wenn sie vollständig ist?“

Er öffnete den Plastikbeutel und schob das Katana in eine Rückenkralle.

„Man sagt, die Kette wurde mit dem Atem eines Drachen geschmiedet und wer sie trägt, ist unbesiegbar.“

„Und damit wollen Sie die Welt erobern?“

„Nein, nur Japan zu seiner alten Macht verhelfen.“ Der Ninja ging rückwärts zum Fenster und öffnete es, ohne uns aus den Augen zu lassen.

Mein Kollege zog seine Waffe und schoss dem Ninja in die Schulter.

Der wirbelte herum, ließ eine Rauchbombe fallen und stürzte nach draußen.

Wir husteten uns die Seele aus dem Leib und sahen mit Tränen in den Augen aus dem Fenster.

Fünf Stockwerke ging es nach unten. Aber dort lag niemand.

„Was machen wir jetzt? Wir können den Typen doch nicht einfach so weiter rumlaufen lassen. Alarm geben macht wahrscheinlich aber keinen Sinn?“, fragte ich.

„Na dann hinterher, aber nach Ihnen.“

Der Leiter sah mich skeptisch an.

Ich blieb ganz ruhig. „Ich kenne da jemanden, der sich mit so mystischem Kram auskennt. Den werde ich jetzt erst mal anrufen und dann sehen wir weiter.“