Von Dörte Schmidt

Eigentlich war es nicht ihre Sache, Suchanzeigen durchzulesen, aber diese Annonce hatte Gerdas Aufmerksamkeit doch irgendwie geweckt. Sie hatte die Gratis-Wochenendbeilage nur nebenbei durchgeblättert und war beim flüchtigen Überfliegen daran hängengeblieben.

 

Temperamentvoller Rheinländer, wunderschön, mit top Charakter, …“

 

Sich so in den höchsten Tönen anzupreisen, fand sie ganz schön anmaßend. „Wunderschön“ – das war doch nun wirklich ziemlich arrogant.

 

„trainiert und kerngesund, …“

 

Bei diesem Inserat konnte es sich ja nur um so einen Anzug tragenden, eingebildeten Schnösel handeln, der glaubte, dass ihm keine Frau widerstehen könne. Was für ein Macho. Wirklich frech, dachte Gerda.

 

Entgegen ihrem Willen war durch diese Zeilen allerdings ihr Kopfkino angelaufen und Gerda sah vor ihrem inneren Auge jetzt einen gepflegten, hochgewachsenen, schlanken Mann mit lieben Augen. Er war mittlreifen Alters wie sie, und erste graue Haare zeigten sich im Schläfenbereich. Er ähnelte Ralf, ihrer Jugendliebe. Dunkles welliges Haar, gutmütige, braune Augen und diese immer leicht erröteten Wangen, die ihn jünger erscheinen ließen, als er war.

 

Ach was, dachte Gerda. Was für ein Unsinn. Am Ende sind die Männer, die solche Annoncen aufgeben, doch nur eine Enttäuschung. Es musste ja einen Grund geben, warum sie eine Suchanzeige inserierten. Sicher hatten sie es nötig, weil keiner sie mehr haben wollte.

 

„unkomplizierter Freizeitbegleiter …“

 

Gerda sah auf das Inserat. Bestimmt war das schon die hundertste Anzeige dieses verzweifelten Rheinländers. Er hoffte wahrscheinlich, irgendwann mit dieser Masche durchzukommen. Aber wer sollte ihm diese Makellosigkeit schon abkaufen. Sportlich, toller Charakter, unkompliziert. Pah. Und was sollte das mit dem kerngesund? Wollte er sagen, dass er noch kein Pflegefall war, der eine Frau brauchte, die ihn in seinen letzten Lebensjahren betreut?

 

„liebt es, betüdelt zu werden.“

 

Schön umsorgt will er aber schon werden. Das fehlte noch. Am besten die Pantoffeln ans Bett stellen. Das hätte der wohl gern. Und sich dann auch noch so harmlos als Freizeitbegleiter anzupreisen. Als wenn er mit seiner Anzeige nichts anderes verfolgen würde, als mit einer Frau brav durch die Natur spazieren zu wollen. Das konnte ihr keiner erzählen. Da waren die Männer doch alle gleich. Erst gaben sie sich ganz freundlich und rücksichtsvoll, aber wenn die Frau nicht bald mit ihnen ins Bett stieg, wurde sie abserviert. Das hatte Gerda selbst schon erlebt.

 

André zum Beispiel. Sie war aus allen Wolken gefallen, als er sie so mir nichts dir nichts verließ. Gerda hatte damals geglaubt, mit ihm die ganz große Liebe gefunden zu haben. Sie hatten eine Zeit lang auch viel Spaß zusammen gehabt. Sie mochten beide sehr gern Skifahren. Ihre Wochenenden im Schnee waren wirklich immer sehr schön gewesen.

Gerda wurde jetzt ein wenig sentimental. Doch dann fiel ihr ein, wie eiskalt er Schluss gemacht hatte. Eines Tages war er in die Wohnung gekommen, in ihre Wohnung, wo er sich schon richtig breit gemacht hatte, sammelte all seine Sachen ein und war weg. Vorher hatte er aber noch zu ihr gesagt, dass sie nicht zusammen passen würden, er brauche nun mal mehr Abwechslung und keine prüde Mimose.

 

Für Gerda war eine Welt zusammengebrochen. Seither war sie vorsichtig geworden und warf sich den Männern nicht mehr so schnell an den Hals. Allerdings gab es ehrlicherweise auch schon lange keine Gelegenheit mehr dazu. Aber auf eine Annonce zu antworten, das hatte sie bisher abgelehnt. Dieses ganze umständliche Kennenlernen.

 

Was sollte man aus den paar gedruckten Zeilen schon entnehmen? Da ließ sich doch weiß Gott nicht erkennen, ob der andere Mensch einem gefiel und man sich gut ergänzte. Man musste sich also zwangsläufig verabreden und war dieser unsäglichen Kaffeehaus-Situation ausgeliefert. Eigentlich bemerkte Gerda nämlich sofort, ob jemand etwas in ihr entfachen konnte oder nicht. Wenn dies für sie also gleich klar war, so müsste sie dennoch bei einem solchen zum Scheitern verurteilten Rendezvous mit dem unsympathischen Fremden an einem Tisch sitzen, einen endlos lang erscheinenden, belanglosen Kaffeeklatsch halten, um ihm dann hinterher die Absage zu erteilen. Wie unangenehm. Mitleid hatte sie ja schon mit so einem armen Tropf.

Allerdings hatte Gerda es noch nie wirklich erlebt. Sie stellte sich das immer nur so vor. Und, dass es dann immer so weiterging. Durchprobieren von einem hoffnungsvollen Treffen zum nächsten, um am Ende womöglich doch leer auszugehen.

 

Gerda blickte wieder auf die Zeitungsseite vor sich, zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch nachdenklich aus.

 

… Weitere Auskünfte und Bilder bei Interesse per Whatsapp.“

 

Was, wenn sie es doch einmal ausprobierte? Nur einmal. Sie konnte sich ja schließlich erst einmal ein Bild per WhatsApp schicken lassen. Dann sah sie ja, ob sich ein Kaffeehaus-Treffen lohnen könnte. Allerdings hörte man immer wieder, dass die Bilder oft nicht echt wären. Entweder 10 Jahre alt oder mit Photoshop aufgehübscht. Riskant war das also doch.

Oder man schrieb sich erst einmal nur ein bisschen hin und her. Aus der Art und dem Inhalt ließen sich ja auch gewisse Schlüsse über den Absender ziehen.

 

Warum sollte sie es also nicht mal wagen? Nur das eine Mal. Was hatte Gerda schon zu verlieren? Vielleicht steckte hinter dieser Anzeige ja doch ein großherziger, durchschnittlicher Mann, mit dem sie gut auskommen könnte. Wenn sie es jetzt nicht probierte, würde sie es nie erfahren und ihr vielleicht eine gute Partie durch die Lappen gehen. Und sie bliebe weiterhin allein, nur weil ihr der Mut gefehlt hatte.

 

Dabei war es gar nicht so der Mut allein, der Gerda davon abhielt auf solcherart Annoncen zu antworten. Irgendwie fand sie es auch unter ihrer Würde, einen Mann wie auf einer Auktion zu ergattern. Sie wollte eigentlich erobert werden, wollte, dass sich zufällig und ganz zaghaft etwas anbändelte, auf ganz natürliche Weise sozusagen. Beim Bäcker zum Beispiel. Oder im Zug. Ja, sie mochte es nun mal romantisch. Ganz klassisch. Oldstyle. Andererseits wusste sie, wie aussichtslos es war, dass sie in ihrem Alter einfach so auf der Straße jemanden kennenlernte. Denn in Bars oder zum Tanz ging sie nicht, wo man vielleicht noch am ehesten hätte jemanden aufgabeln können. Das war im Grunde ja auch das Gleiche wie ein solches Inserat. Man stellte sich zur Schau, bot sich an wie eine Ware. Doch wie sollte sie dann jemals wieder eine Liebe finden? Denn sie hatte es satt, allein zu sein. Alles musste man für sich selbst entscheiden, konnte niemanden nach seiner Meinung fragen, auch wenn es nur die unbedeutendsten Dinge waren – ob man heute Spiegelei kochen oder ein Schnitzel zum Mittag braten sollte. Keine starke Schulter, an der man über das herzergreifende Schicksal der armen Rose und des hübschen Jacks beim Untergang der Titanic schluchzen konnte. Niemand, der einen zum Essen ausführte oder mit dem man in den Urlaub fahren konnte und der einem dann an schönen Stränden die Sonnencreme auf dem Rücken verteilte.

 

Gerda atmete tief durch. Schluss damit, sagte sie sich plötzlich. Zig andere Menschen machen es schließlich auch. Wer nicht wagt, der … Warum sollte ich denn nicht auch einmal Glück haben? Ich mache es. Dieses eine Mal. Was soll’s. Hierbei habe ich ein gutes Gefühl. Ein Freizeitbegleiter mit Temperament, unkompliziert, sportlich. Und wer will nicht betüdelt werden? Das ist zumindest ehrlich. Eine Whatsapp. Was soll da schiefgehen? Wenn’s mir komisch vorkommt, brauche ich ja nicht zu antworten, überlegte Gerda. Vielleicht gefalle ich ihm ja auch gar nicht. Dann hat sich das Thema gleich erledigt. Egal. Einmal im Leben sich etwas zutrauen, etwas machen, wovon man selbst nicht geglaubt hat, dass man es wirklich durchzieht. Gerda drückte ihre Zigarette aus und griff zum Handy. Ihr Gesicht glühte und ihr Herz schlug bis zum Hals. Nur Mut sprach der Spatz zum Regenwurm, sagte sie zu sich, öffnete die App und tippte die Nummer ins Handy. Dann fügte sie ein Bild von sich in die Nachrichtenzeile, zugegebenermaßen eins, auf dem sie sich besonders hübsch fand, und schrieb dazu „Flotte Kölnerin, umgänglich und naturverbunden, würde gern mit temperamentvollem rheinischen Charakter ihre Freizeit verbringen. Melde dich, wenn du mich kennenlernen möchtest?“ Mit heißen Ohren drückte sie auf „Senden“ und starrte herzklopfend auf den Bildschirm, als müsste sogleich die Antwort erscheinen.

Ruhig Blut, ermahnte sich Gerda selbst. Sie legte das Handy zur Seite, konnte es aber doch nicht lassen, jede halbe Stunde scheu darauf zu schauen. Dann schloss sie es schließlich in der Besenkammer ein, um der Versuchung nicht ständig zu erliegen.

 

Erst am nächsten Morgen getraute sie sich, das Telefon wieder hervorzuholen. Und siehe da. Die App zeigte durch einen roten Punkt an, dass eine neue Nachricht eingetroffen war. Gerda setzte sich an den Küchentisch. Das Handy lag vor ihr. Sie zündete sich erst noch eine Zigarette an. Denn sie fürchtete den Moment, die WhatsApp zu öffnen. Aber dann wollte sie es doch endlich wissen. Immer wieder sagte sie sich, dass es nicht so schlimm sei, wenn der Inhalt enttäuschend ist. Es war nur ein Versuch gewesen. Sie tippte auf das Logo. Gerda wurde schwindelig. Was war denn das? Die Whatsapp enthielt drei Bilder, die einen stattlichen roten Hengst zeigten. Auf der Koppel, im Trab und beim Sprung. Hatte sie sich in der Nummer geirrt? Nervös kramte Gerda die Sonntagsbeilage hervor und schlug die Seite mit dem Inserat auf. Unverständig las sie die Anzeige noch einmal durch und noch einmal. Und noch einmal. Die Nummer stimmte. Dann fiel es ihr endlich auf. Die Annonce stand unter der Rubrik Kleinanzeigen/Tiermarkt.

3. Versuch