Von Jochen Ruscheweyh

Drei Tage, nachdem Dykmann „freiwillig“ ausgezogen war, ging der Ofen kaputt. 

„Das ist ein schlechtes Zeichen“, stellte Leif fest, während er vor sich fingerdick bestrichene Brote für – wie ich annahm – seine Schicht im 

Getränkeshop stapelte.

„Scheiße, Leif“, ranzte ihn Daniela an, die aus ihrem Zimmer gradewegs auf die Kaffeemaschine zuschlurfte, „der Butterberg ist schon seit den Siebzigern abgebaut. Und warum ist das hier so beschissen kalt?“

„Wir unterhalten uns, grad darüber, dass der Ofen …“, begann Leif, kam aber nicht weiter, weil Daniela ihm mit der flachen Hand gegen den Hinterkopf schlug: „Ich hab dir schon hundertmal gesagt, du sollst mich nicht ansprechen, bevor ich meinen ersten Liter Kaffee intus hab!“

Ich fror nicht, was aber wohl hauptsächlich daran lag, dass Linda auf meinem Schoß saß und ich selbst auf mehreren zu Bündeln geschnürten Stapeln Wochenendkurieren. Die, die immer freitags unten in der Straße an der Litfaßsäule lagerten und von denen Dykmann regelmäßig in unsere Bude geschleppt hatte, bevor die beiden Vietnamesen zum Verteilen kamen. Für schlechte Zeiten zum Heizen und als Kritik an der Konsumgesellschaft. Das hieß, mittlerweile kamen zwei Inder, da man die Vietnamesen dank Dykmann wohl für unzuverlässig hielt. 

„Eure Verliebtheit kotzt mich an“, raunte Daniela Linda zu, bevor sie sich an den Tisch neben Leif setzte, der damit beschäftigt war, seine Brote wieder aufzuklappen, die Hälfte der Butter abzukratzen und zurück in die Butterdose zu streichen.

„Hat irgendjemand einen Plan?“, fragte ich in die Runde.

Leif atmete ein, als wollte er etwas sagen, aber die Türklingel ging und er atmete wieder aus. Wohl aus Gewohnheit, weil sie es immer so machte, nämlich zu gehen, wenn es schellte, wollte Linda aufstehen, aber ich drückte sie sanft an den Schultern zurück. In erster Linie, weil ich fand, dass auch mal jemand anders gehen sollte. In zweiter Linie, weil mir Linda durch ihr ständiges Hin- und Hergerutsche auf meinem Schoß eine recht kapitale Erektion beschert hatte, die drauf und dran war, sich durch den Eingriff meiner Schiesser-Feinripp-Langbein-Unterhose zu bohren. Letztere war jenseits von sexy, aber Linda hatte am Abend zuvor unverständlicher Weise darauf bestanden, dass ich das hässliche Stück für sie anzog, nachdem sie das gutbürgerliche Textil neben einigen Stofftaschentüchern, auf denen ebenso wie bei der Unterhose das Familienwappen von Gut Breckerfeld vernäht war, beim Stöbern in meinen Klamotten entdeckt hatte. Und irgendwie hatte ich es nicht fertiggebracht, ihr zu sagen, dass ich nicht mit den Breckerfelds verwandt war, sondern dass es sich um Requisiten einer Theateraufführung meiner Schwester handelte.

Es klingelte erneut. Diesmal erhob sich Linda zu fix. Immerhin war ich jedoch zumindest so auf Zack, selbst hochzuschnellen, Linda von hinten zu umarmen, an mich zu pressen und sie dann in tänzerisch-schieberischen Bewegungen vom Tisch wegzudirigieren. Dabei verbalisierte ich mit südamerikanischem Akzent: „’abe isch dir eigentlisch erzählt, dass isch mit dir eine Kurse in Walumbo besuchen möschte?“

 

Wir kamen jedoch nicht bis in den Flur, da sich die Tür von Leifs Zimmer öffnete. „Walhalla! Ich geh schon“, grüßte der Typ, der mir dunkel bekannt vorkam.

Ich blickte mich zu Leif um, der leicht orange anlief und leise sagte: „Ihr erinnert euch an Fjord-Ken?“

„Was soll die Scheiße denn jetzt wieder, Leif?“, kochte Daniela hoch, „war dein Privat-Stripper ausgebucht?“

„Easy“, grinste der Typ.

„Fresse, ich bin immer easy!“, hielt Daniela dagegen. 

„Ey, Dany, ich erinner mich, er heißt Easy und ist an dem Abend hiergewesen, als Dykmann mit seinem Ken&Barbie Projekt um die Ecke gekommen ist.“

„Kannst du Öfen reparieren?“, erkundigte sich Linda, als es zum dritten Mal schellte.

 

„Ich räume ein, es war mein Fehler, euch nicht auf Augenhöhe mitzunehmen!“, zwängte sich Dykmann an Easy, Linda und mir im Flur vorbei. „Aber ich hab dieses Foto in der Zeitung gesehen“, rief er und schlug dabei mit der Hand gegen das Papier, „verloren auf Asche.“

„Und Raider heißt jetzt Twix! Verpiss dich, du Idiot!“, gewitterte Daniela zurück.

„Du siehst schlecht aus, Dycky“, löste sich Linda von mir, was ich zuließ, da Dykmanns Anblick mich simultan hatte schrumpfen lassen, „hast du schon gefrühstückt? Ich mach dir schnell ein paar Arme Ritter!“

„Ich würd mich anschließen, könnte aber auch mit Low Carb Wikingern leben“, bemerkte Easy. 

„Was soll das denn sein?“, hakte Linda nach.

„Knäckebrot und Ölsardinen in eine heiße Pfanne gebröselt. Ist der Ofen im Keller?“

 

So scheiße Dykmann auch ist, eins muss man ihm lassen, er versteht es, Leute mit seiner Grütze zu beschäftigen. So auch diesmal, außer vielleicht Dany, die irgendwie mit der Mimik der Brüheinheit kämpfte.

„Seht euch diesen Mann an“ – Dykmann tippte erneut auf das Foto in der Zeitung, das wohl einen Amerikaner irgendwo auf einem veraschten Feld zeigte- „er leidet, aber wie ist die Story dazu?“ 

„Komm zum Punkt, Dykmann“, sagte ich, was mir einen bösen Blick von Linda einbrachte. 

„Der Punkt, Paul, ist, dass mir dieser Mann ein Feedback gespiegelt hat. Ich bin er. Das ist mir klargeworden.“

„Ach komm, Dykmann, 1. ein Feedback zu spiegeln ist eine Redundanz, 2. du warst weder in Vietnam oder noch hast du 3. Ähnlichkeit mit Richard Widmark in die Feuerspringer von Montana …“, warf ich ein.

Linda stand auf und holte geräuschvoller als notwendig die Pfanne hervor. Okay, sie stand auf Peace&Harmonie, aber wenn unsere wenige Tage frische Beziehung – wenn es überhaupt eine war – eine Chance haben sollte, dann musste sie auch mal unbequeme Entscheidungen treffen. Wie z.B. Dykmann sich nicht wieder bei uns einscheißen zu lassen.

„Ich bin zu euch gekommen, und hatte dieses Konzept, dass wir unsere Gefühle und Wünsche total offen über die Barbie Puppen kommunizieren. Ich habe versucht, euch etwas überzustülpen, für das ihr noch nicht bereit wart. Daher verneige ich mich heute in Demut vor euch und bitte euch untertänigst um Entschuldigung.“

„Das ist wirklich mutig von dir“, lächelte Linda, „ich nehme deine Entschuldigung gerne an.“

„Hast du auch eine Meinung dazu, Dany?“, fragte ich in Richtung Kaffeemaschine.

„Wenn Schlumpfine die Entschuldigung annimmt, ziehst du doch sowieso gleich, was soll ich also dazu für ’ne Meinung haben?“

„So ein Dummfuck! Ich kann schon für mich selbst denken, Dany!“

„Dummfuck, Paul, du sagst es“, gab Daniela zurück und schaute zu Linda. Linda ihrerseits erwartete wohl, dass ich einen Gegenkommentar platzierte, und ich kam mir irgendwie schäbig vor, weil ich schwieg. Aber im Prinzip hatte Daniela nicht unrecht, das war mir latent klar. Daher wäre es auch nicht richtig gewesen, etwas zu sagen. Als Linda merkte, dass nichts von mir kam, begann sie demonstrativ, Eier ins heiße Fett zu schlagen. „Ach was, Arme Ritter, Spiegeleier werden dir guttun, Dicky.“

Ich hätte platzen können.

Gleichzeitig vermied ich es, zu Dykmann rüberzugucken, weil ich mir sein überhebliches Grinsen vorstellen konnte, darüber, wie er aus dem Fokus geriet und wir uns gegenseitig an die Gurgeln gingen.

„Hey, Leute, ich sag nur so viel, der Ofen ist fertig, Bruch und Dallas, aber so richtig“, verkündete der aus dem Keller zurückgekehrte Easy und fuchtelte dabei mit seinen Kohlenhänden in der Luft rum. 

„Packst du irgendwas in dieser Bude an, was weiß ist, bist du sowas von tot!“, kam es von Daniela. 

Die Situation war definitiv nicht mehr rettbar, trotzdem unternahm ich einen Versuch und sagte: „Das ganze Leben ist wie eine von diesen Klobrillen bei Sanifair, die beim Selbstreinigen rotieren. Und wir anderen warten ab, bis sie wieder stillstehen, du Dykmann hingegen pisst los, wann es dir passt. Logo, dass du dabei den Rand triffst.“ Ich ließ mein Bild ein Moment im Raum stehen, ehe ich fortfuhr: „Guck dir Leif an, er übernimmt Verantwortung und hat sein Studium geschmissen, um in einem Getränkemarkt zu arbeiten. Da sage ich ganz laut Respekt!“

„Da arbeite ich nicht mehr.“

„Hä, wieso das nicht?“, stutzte Daniela. „Ich dachte, das wär deine Erfüllung?“

„Eine Zeitlang schon, aber dann haben mich der Anblick dieser vielen bunten Etiketten so aufgewühlt und scary gemacht und ich wollte lieber etwas Klares, Strukturiertes, Grafisches und seitdem arbeite ich als Fahrbahnmarkierer.“

Aus dem Badezimmer drangen auf einmal Geräusche. Daniela schlug sich vor die Stirn: „Fuck, wir haben vergessen, dass Clement den Bongo renovieren wollte.“ Clement, der irgendwann mal hier gewohnt hatte, einen Schlüssel besaß, und nach dem ständig irgendwelche Leute fragten. 

„Ah, ihr spielt wieder eins dieser angefahrenen Rollenspiele, geil“, sagte Easy, „was dagegen, wenn ich mir selbst einen Wikinger mache?“

In diesem Monent fing Linda an zu heulen und schleuderte mir einen Wortschwall entgegen, der auf eine einfache Formel gebracht, aussagte, dass sie nicht mit mir zusammen sein könnte. Und dass meine adelige Abstammung aus mir einen vollkommen gefühlskalten Menschen gemacht hätte.

„Komm, ich bring dich in dein Zimmer“, erklärte Dykmann. 

„Ich bin übrigens nicht schwul“, eröffnete uns Leif, bevor Easy und er sich in Leifs Räumlichkeiten zurückzogen. 

„Ach so, ich auch nicht. Ist es okay, wenn wir die Spiegeleier mitnehmen?“

 

„Und … suhlst du dich jetzt etwas in Selbstmitleid?“

„Ey, was willst du, Dany?“, fuhr ich sie an.

Sie schaute mich an, und ich spürte, dass etwas Magisches in der Luft lag. Dann kam der 50 jährige Clement aus dem Bad gestürzt, warf sich auf den Boden, imitierte eine elektrische Gitarre, die nicht dahin gehörte, und sang „I’m a Child of The Universe!“

„Bist du dir sicher, dass wir das bringen können?“, schrie ich gegen Clements Intonation an.

„Es wird sicher nicht ganz unschräg ablaufen, aber Linda wird drüber hinwegkommen.“

Clement war dazu übergegangen, das Drum Solo aus diesem fiesen Phil Collins Song auf den Sofakissen nachzuprügeln, als Linda ihre Zimmertür aufriss und mir zubrüllte: „Und einen Tanz, der Walumbo heißt, gibt es auch nicht, nur dass du es weißt!“