Von Kornelia Kirchhof

Wahrscheinlich trifft jeder irgendwann auf die eine Person, die nie wieder in das Dunkel der Vergangenheit abtauchen wird. Die uns immer wieder fragen lässt „Wie wäre mein Leben verlaufen, hätten wir uns nicht getrennt?“ Kaum jemand hat jedoch die Kraft, mit dieser Person zusammen zu bleiben. Es ist eine Liebe, die sich nicht festhalten lässt. Sie ist unberechenbar und kompromisslos. Sie ist ungeeignet für Steuervorteile und Bausparverträge.

 

Als sie auf ihn traf, war jede Beziehung vor ihm wie ausgelöscht. Wie hatte sie nur so viele Jahre glauben können, dass der lauwarme Abklatsch mit unbedeutenden Menschen auch nur das Geringste mit Intimität oder sogar Liebe zu tun hätte. Die farblosen Kontakte, die vorgegaukelte Nähe und das ständige Gefühl, sich verleugnen zu müssen. Erst mit ihm wusste sie, was ihr bei den anderen fehlte. Was da so grundlegend falsch gelaufen war. Mit ihm wäre, sie nie auf die Idee gekommen Sex-Toys oder „aufregende“ Orte für den Kick nötig zu haben und sich gegenseitig zu benutzen, als wären, sie Pornodarsteller – der ganze pseudoaufgeklärte Kommerzramsch und die vorgetäuschte sexuelle Freizügigkeit. Beide kannten sie den schalen Nachgeschmack, wenn sie sich mit anderen in eine der verlogenen Rollen gefügt hatten. In ihm fand sie den Verbündeten, mit dem sie diesem Trauerspiel entfliehen konnte. Als sie sich kennenlernten, wussten sie sofort, dass sie sich berühren und küssen werden. Nichts anderes wäre infrage gekommen, sie wollten einander. Sie fühlten sich wie ein Körper, der zusammengehörte. Sich einander nackt zeigen, sich betrachten, sich begehren, mit ihm gab es nichts Aufgesetztes, keine Krampferotik. Es war wie das sprichwörtliche nach Hause kommen. Sie schlossen die Tür hinter sich und für Tage gab es nur noch sie beide. Ihre Hand auf seinen Augen, tiefes Ausatmen. Sie kamen einander gefährlich nah und wie die meisten waren sie dem nicht gewachsen. Das Verschwimmen der persönlichen Grenzen wurde mit jedem Zusammentreffen unbeherrschbarer. Wie Magneten zogen sie sich an, aber stießen sich auch genauso unerbittlich voneinander ab. Mit irrationaler, angstgeschwängerter Wut versuchten sie den anderen zu vertreiben. So oft und so heftig, dass sie die Verletzungsgefahren kaum noch erkannten. Um nicht miteinander abzustürzen, mussten sie die Reißleine ziehen und sich ihr Scheitern eingestehen. Sie lösten sich voneinander, kamen zurück auf den Boden der Tatsachen. Und sie hofften, ohne den anderen das eigene Leben wieder kontrollieren zu können.  

 

Sie lernte mit den flüchtigen Momenten zu leben, in denen sie glaubte, ihn in einem vorbeifahrenden Auto zu sehen. Mit den Nächten, in denen sie seine Hand auf ihrem Körper spürte oder sie im Alltagstrott vergaß, dass er nicht mehr an ihrer Seite war. Sie lernte damit zu leben, inmitten fröhlicher, ausgelassener Situationen plötzlich und unerwartet in den Abgrund völliger losgelöster Vereinzelung zu blicken.

Ihre Freundinnen hörten ihr zwar zu, warteten jedoch nur darauf, dass sie endlich verstummte und mit dem chaotischen Kapitel abschließen konnte. Immer wieder wurde sie von ihnen ermahnt, nicht zu vergessen, dass die Zeit mit ihm toxisch war. Sie erinnerten sie an seinen Egoismus und die Kämpfe, die sie mit ihm ausgetragen hatte. Sie rieten ihr an sich zu denken, ihre Ziele nicht aus den Augen zu verlieren und sich eine reife, gesunde Beziehung zu suchen. Lange zweifelte sie noch, ob sie auf diesem Weg nur resigniert aufgeben und sich feige anpassen würde. Doch dann traf sie auf Tobias Hoffmann. Er war es, der ihre Zweifel zum Schweigen brachte und den Entschluss festigte, kontrolliert und vernünftig zu werden.

 

Sie genoss das warme Spätsommerwetter und war nach der Arbeit in die Eisdiele gegangen. Tobias – groß und selbstsicher. Er kam an ihren Tisch und fragte sie, ob er sich zu ihr setzen darf. Er war höflich, vertrauenswürdig und charmant. Es war sehr leicht, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Er drängte sich nicht in den Vordergrund, gab trotzdem einiges von sich preis und hörte ihr aufmerksam zu. Es imponierte ihr, wie locker er wirkte und wie er mögliche Unsicherheiten weglächelte. Sie gingen miteinander aus. Er meisterte wie ein guter Schachspieler jeden weiteren Zug ihres Kennenlernens. Er bedrängt sie nicht, aber zeigte ihr immer, dass er ihre Nähe suchte. Ihre Freundinnen wollten Tobias begutachten, sie trafen sich im Club und er nahm auch diese Hürde mit Bravour. Endlich ein Mann, auf den sie bauen konnte, mit dem sie eine gemeinsame Zukunft planen würde. Er sprach sogar offen über seinen Kinderwunsch. In seiner Gegenwart hörte sie zum ersten Mal ihre biologische Uhr, die bislang nur leise im Hintergrund tickte.

 

Tobias wusste genau, wann es an der Zeit war, den nächsten Schritt zu gehen. Er lud sie zu einem Wellnesswochenende ein, mit allem Chichi und einem edlen Doppelzimmer. Sie wollte sich darauf einlassen, bereitete sich sorgfältig vor. Sie schreckte auch nicht vor den notwendigen Investitionen zurück. Professionelles Waxing, lackierte Nägel, dezent erotische Unterwäsche. Nach dem romantischen Abendessen, bei dem sich Tobias wie immer als geistreicher Gesprächspartner zeigte, nahm er noch am Tisch ihre Hand. Er streichelte sanft ihren Unterarm hinauf und freute sich unmerklich, wenn er damit bei ihr eine Gänsehaut erzeugte. Er beobachtete das Spiel ihrer beider Hände, um dann langsam den Blick zu heben und ihr tief in die Augen zu sehen. Dann fragte er. “Wollen wir nach oben gehen?“ Oder war es mehr eine Feststellung? Im Fahrstuhl griff er sanft in ihren Nacken und beugte sich zu ihr herunter. Er küsste sie auf den Mund, auf ihre Wange, dann zurück zu ihrem Mund. Glitt vorsichtig mit der Zunge über ihre Lippen. Erst als er spürte, dass auch sie mehr wollte, küsste er sie leidenschaftlicher. Er drängte sich stärker an sie heran und schob sein Bein zwischen ihre Beine. Der Fahrstuhl fuhr ohne Zwischenstopp auf ihre Etage, zum Glück war niemand zugestiegen. Während sie auf die Zimmertür zugingen, legte er den Arm um sie, bereitwillig schmiegte sie sich an. Von diesem Moment an blieb er in unterbrochenen Körperkontakt mit ihr. Küssend schob er sie bis zum Bett, er setzte sich auf die Kante, platzierte sie vor sich zwischen seinen Beinen. Langsam und ruhig öffnete er die Knöpfe ihrer Bluse, ließ sie hinuntergleiten. Souverän meisterte er auch die Haken ihres neuen BHs. Er bewunderte ihre Brüste, küsste sie. Seine Hände wanderten ihre Hüften hinauf, rechts und links von ihrer Wirbelsäule den Rücken wieder hinunter. Am Hintern wurde sein Griff fester und fordernder. Er wusste genau, wann er Tempo rausnehmen musste, wie ein Rennfahrer vor der Kurve und wann es nötig war, Gas zu geben, um im Feld zu bleiben. Auch sie konnte leicht feststellen, wann sie an der Reihe war. Sie schlüpfte aus Rock und Slip, streifte ihre Pumps ab. Vor ihm kniend zog sie ihm seine Schuhe und Socken aus. Langsam öffnete, sie den Gürtel und Reißverschluss seiner Hose. Er knöpfte sein Hemd auf, legte seine breite, gut definierte Männerbrust frei, ihre Finger umkreisten seine Brustwarzen. Er streckte sich, ließ sich zurückfallen und rutsche weiter ins Bett hinein. Auf allen vieren pirschte sie ihm nach. Sie biss leicht in seinen Hals, arbeitete sich küssend wieder hinunter. Sein Penis mittlerweile groß, hart gegen ihren Bauch, zwischen ihren Brüsten. Er öffnete die Verpackung eines Kondoms. Wo kam das denn plötzlich her? Er rollte es über sein Glied, so selbstverständlich, so geübt. Sie setzte sich mit gespreizten Beinen auf ihn, er drang problemlos in sie ein. Sie begann ihr Becken zu bewegen, mal kreisend, mal stoßend – sehr gekonnt. Plötzlich formten sich in ihr Wörter, fügten sich zusammen und flossen aus Untiefen herauf. Sie bemühte sich, sie wieder hinab zuschicken, sie zu unterdrücken. Doch schon hatte sich der erste Satz in ihrem Kopf festgekrallt. Sie versuchte ihn zurückzuhalten. Wollte verhindern, dass er in das elegante King-Size-Bett plumpste. „Sei still!“ Aber sie begann bereits zu grinsen. Während er sich gekonnt lustvoll in ihr bewegte, versuchte sie sich zu beherrschen. „Halt deinen Mund!“ Doch prustend platzte es aus ihr heraus „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind“ Sie konnte sich kaum oben halten vor Lachen. Sie setzte noch mal an. „Wer reitet…“ Nach Luft schnappend rollte, sie von ihm herunter. Sein Glied erschreckt, irritiert, schlaff in einem zu groß gewordenen Latexmäntelchen.

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