Von Martina Zimmermann
„Was für ein Mistwetter!“ Nass bis auf die Haut betrat Tom die Bar. Durch sein helles Oberhemd schimmerte sein muskulöser Oberkörper hindurch.
„Du bringst aber auch wieder ein Wetter mit“, tadelte ihn der Wirt, während er nach hinten in die Küche ging, um ein Handtuch zu holen.
„Danke, gute Idee, das kann ich gebrauchen“, sagte Tom und nahm es dankbar entgegen. Er trocknete sich, so gut es ging, ab und setzte sich an die Bar. Außer ihm und dem Wirt war zu dieser Zeit niemand dort.
„Bei dem Wetter traut sich kein Mensch vor die Tür“, meinte Ole.
„Das glaube ich auch, ich hatte in der Stadt zu tun, wichtige Geschäfte“, sagte Tom grinsend.
„Gib mir bitte erst einmal einen Schnaps zum Aufwärmen.“Ole holte die Flasche, stellte zwei Pinnchen auf die Theke und goss beide voll.
„Ich kann auch einen vertragen“, beschloss er. Beide erhoben die Gläser und prosteten sich zu. Mit einem großen Schluck schütteten sie den Inhalt hinunter.
„Das tat gut, gib noch einen.“ Auch der Zweite ging runter wie Öl.
„Was haben wir hier schon alles erlebt!“, schwelgte Tom andächtig durch die Bar sehend in Erinnerung. „Über etliche Jahre hinweg haben wir hier die besten Partys gefeiert und viel gelacht und getrunken.“
„Das stimmt wohl. Aber es gab eine Situation, wo alle schockiert waren, obwohl jeder damit gerechnet hatte. Weißt du, was ich meine?“
Tom kratzte sich am Bart und überlegte. „Du meinst Charly, mein alter Freund. Er fehlt mir sehr. Er war immer für eine Überraschung gut.“
„Genau wie sein Ende. Es war tragisch, aber jeder ahnte, dass er keinen normalen Tod sterben würde und so kam es auch. Als die Polizei die Akte als Selbstmord geschlossen hatte, wussten alle, die ihn kannten, das es nicht wahr sein konnte.“
„Es war eine seiner Gespielinnen, da würde ich Gift drauf nehmen.“
„Das weiß jeder, aber was willst du jetzt noch machen? Es ist vorbei. Charly ist mausetot. Aber er hat sein Leben gelebt und das war kein schlechtes Leben.“
„Da gebe ich dir recht. Er hat die Frauen ausgenutzt. Wie oft haben wir ihn gewarnt, aber er wollte nicht hören.”
Ich mache mein Ding, hatte er immer gesagt und dabei gegrinst.
„Ach, der Charly war schon in Ordnung, und ich kann mich noch an so manche Erlebnisse erinnern, wo wir Tränen gelacht haben, weil er wieder einmal aufgefallen war.“
Der Wirt stimmte zu. „Das kannst du wohl sagen. Für Unterhaltung hat er immer gesorgt. Ihm war es nicht peinlich, von seinen Missgeschicken zu erzählen. Dieser Typ konnte über sich selbst lachen und das machte ihn aus.“
„Weißt du noch, wie er hier im Sommer, bei 35 Grad, mit einem Wintermantel in die Bar kam? Splitterfasernackt darunter. Alles schaute zu ihm rüber und er setzte sich lässig, wie er so war, an die Bar und bestellte erst mal einen Whisky. Dann schaute er in die Runde und lächelte.
Habt ihr noch nie einen Mann im Mantel gesehen?, fragte er. Alle lachten und als er dann den Mantel einen Spalt weit geöffnet hatte und sie sehen konnten, dass er nackt darunter war, gab es kein Halten mehr. Alle grölten und Charly lachte mit.
„Was war das für ein Kerl, er konnte aus einer Situation wie dieser noch eine Show machen und er genoss immer seinen Auftritt.“
„Wie war das damals noch? Kannst du dich erinnern?“
Tom nickte. „Charly hatte in dieser Zeit wieder zwei Freundinnen gleichzeitig, wie üblich. Aber dieses Mal waren es gestandene Frauen, die nichts durchgehen ließen. Charly ließ sich wie gewohnt aushalten und für seinen Lebensunterhalt war gut gesorgt. Aber er musste vorsichtig sein. Keine der Damen durfte von der Existenz der anderen erfahren.“
Der Wirt nickte. „Ich weiß noch, wie er manchmal durcheinander kam. Er tat mir schon fast leid. Dann musste er sich schnell was einfallen lassen.“
„Genau“, bestätigte Tom. „Aber im Großen und Ganzen hatte er alles im Griff, bis auf diesen Tag.
Es war heiß und Charly hatte gesundheitliche Probleme. So etwas kannte er eigentlich nicht. Sein Kreislauf spielte bei dem Wetter verrückt und er konnte nicht mehr klar denken. Anstatt sich zurückzuziehen, sagte er seiner Verabredung zu. Charly wohnte in diesem Penthouse, sehr stilvoll. Seine damalige Chantal zahlte dieses. Dann gab es noch Petra, die er bei Laune halten musste. Sie hatte Geld wie Heu, hatte Charly immer erzählt.“
„Genau, aber sie verlangte auch einiges von ihm.“
„Was für ein Leben“, lachte Tom. „Aber vereinzelt hatte er nichts zu lachen. Genau wie an diesem Tag.“
„Charly hatte hier am Tresen gesessen, als er den Anruf von Petra bekam. Ihr Ehemann war auf einer Geschäftsreise, und somit wollte sie ihre freie Zeit mit Charly verbringen. Charly erklärte, er wäre nicht gut zurecht, aber davon wollte Petra nichts wissen. Sie erinnerte ihn daran, dass sie diejenige war, die zu seinem Lebensunterhalt beitrug und dieses auch wieder lassen könnte. Daraufhin willigte Charly ein. Er schlug vor, dass sie zu ihm in die Wohnung kommen sollte. Es wäre ihm lieber, weil er sich nicht so wohlfühlte.“
„Dieses Frauenzimmer, sie hatte ihn in der Hand“, bestätigte Tom.
Der Wirt stimmte zu und erzählte weiter. „Auf jeden Fall zahlte Charly und verließ darauf die Bar. Als Petra bei ihm aufgetaucht war, musste Charly alles geben, was sie von ihm verlangte. Im Großen und Ganzen gefiel es ihm auch. Aber an diesem Tag war alles anders. Als er splitterfasernackt vor Petra stand, bemerkte er, dass die Wohnungstür aufgeschlossen wurde und Chantal eingetreten war. Er hatte ihre Verabredung schlichtweg vergessen. Ihr Lächeln war gefroren, und als sie die Situation erkannt hatte, schrie sie ihn an. Blind vor Wut und Enttäuschung.“
„Ich bezahle dir hier die teure Wohnung und du nimmst andere Frauen mit hierher. Wie kannst du mir das antun? Das wirst du bereuen.“ Wie im Wahn hatte sie ein Messer ergriffen und war damit auf Charly losgestürmt. Während Chantal ihren Charly durch die gesamte Wohnung gehetzt hatte, war es Petra gelungen zu entkommen. Charly konnte im letzten Moment seinen Wintermantel von der Garderobe reißen, um ihn überzuwerfen und aus der Wohnung zu flüchten. Danach tauchte er hier in der Bar auf und kurze Zeit später war er wieder der Charly, den wir kannten. Er spielte den coolen Typen und alles war wieder gut.
„Weißt du noch, wie es weiter ging mit Charly, Chantal und Petra?“
„Ich weiß nur noch, dass er Chantal und Petra wieder einmal um den Finger gewickelt hatte. Sie hatten sich beruhigt und alles war wieder gut gewesen, für dieses Mal.“
„Genau, danach hatte er nicht so viel Glück. Angeblich hatte er sich damals in seinem Penthouse vom Balkon gestürzt. Angeblich …“
„Das Maß war voll. Schade … er war ein netter Kerl.“
„Prost, auf Charly.“
„Prost.“
V3
Angelehnt an meine Geschichte vom Juli 2022, sterblich verliebt, unter dem Motto, wie Charly zu Tode kam.
Sterblich verliebt – Schreiblust-Verlag