Von Miklos Muhi

Das Piepsen zerschnitt die Stille des Familienschlosses. Paul von Lengenfeld ließ seine Zeitung sinken und horchte kurz, dann nahm er die Lektüre wieder auf. Laura, seine Ehefrau hörte es in ihrem Büro ebenfalls und brach sofort in Tränen aus.

 

Nach etwa zehn Minuten wurde es wieder still. Die geliehene intensivmedizinische Gerätschaft wurde unnötig. Er machte sich eine Notiz in seinem Terminkalender über die Rückgabe in zwei Tagen, dann ging er ins Büro seiner Frau. Sie weinte bitterlich.

»Du hast es auch gehört, nehme ich an«, sagte Paul

»Ja, habe ich. Nun sollte sich alles zum Besseren wenden.«

»In der Tat«, meinte Paul, »Ich werde das Nötige veranlassen.«

»Wir sollten ihn nicht anrühren, denke ich.«

»Gewiss nicht. Wilhelm soll bleiben, wo er ist und wie er ist«, sagte Paul und verließ das Zimmer.

 

Wilhelm von Lengenfeld war das einzige Kind des Ehepaares. Aufgrund von Komplikationen bei seiner Geburt vor zehn Jahren war eine erneute Schwangerschaft ausgeschlossen. Da das Kind ein Junge wurde, endeten Pauls ständige Sorgen um den Fortbestand von Familiennamen und Adelstitel.

 

Wilhelm war mehr als ein Jahr abwesend. Erst vor zwei Wochen kehrte er schwer krank und ohne jegliche Hoffnung wieder nach Hause zurück.

 

*

 

Die ganze Geschichte begann um seinen neunten Geburtstag. Wegen Wilhelms geschwollenen Lymphknoten suchte die Familie den Hausarzt auf. Dieser vermutete eine Infektion und verordnete Bettruhe zur großen Freude des Jungen, denn das bedeutete keine Schule.

 

Wilhelm ging es etwa eine Woche lang gut. Als dann das Fieber kam, sah man die Vermutung bestätigt. Bakterien wurden als Übeltäter ausgemacht, dementsprechend gab es Antibiotika, erst zum Schlucken und später, als es nicht besser wurde, zum Spritzen.

 

Danach ging alles schnell. Er wurde schwach, nahm ab und bekam irgendwelche ungewöhnliche Krankheiten. Eines Tages hatte die Familie genug und brachten ihn ins Krankenhaus. Anstatt das übliche »man nehme diese Pillen dreimal am Tag und komme in einigen Wochen wieder« gab es eine Reihe von Untersuchungen, die mit höchster Dringlichkeit durchgeführt wurden.

 

Die Erklärung des Chefarztes war kurz und schmerzhaft. Das Wort »Blutkrebs« (der Begriff Hodgkin-Lymphom sagte Wilhelms Eltern damals noch nichts) fiel nur gegen Ende des Gespräches, zusammen mit den Begriffen »Bestrahlung«, »Chemotherapie« und »Isolierstation«.

 

Eine grausige Zeit folgte.

 

Wilhelm lag viel in Isolation. Die Chemotherapie zerstörte sein krankes Immunsystem, so wurde jede Erkältung zur tödlichen Bedrohung. Laura vermisste ihr Kind sehr und weinte oft.

 

Nach neun Monaten wurde Wilhelm in den Normalbereich des Krankenhauses verlegt und die Ärzte sprachen von Entlassung. Die Ergebnisse der Abschlussuntersuchung trübte die gute Stimmung jedoch erheblich. Die Krankheit war nicht weg.

 

Weitere Runden Chemotherapie und lange Zeiten der Isolation folgten. Laura vermisste ihr Kind sehr.

 

Eines Tages kam aber der Anruf, den die Familie im Grunde schon erwartet hatte. Man teilte mit, dass bei Wilhelm nichts mehr zu machen wäre. Die Krankheit hätte sich trotz Therapien ausgebreitet und es hätte keinen Sinn, das Kind weiter zu quälen. Man schlug vor, Wilhelm nach Hause zu bringen.

 

Die von Lengenfelds willigten ein.

 

Paul sperrte sich am nächsten Tag in sein Büro und verbrachte die Zeit mit Telefonanrufen. Er kontaktierte jeden seiner zahlreichen Bekannten. Einige haben ihm mitgeteilt, dass er verrückt sei oder einfach aufgelegt. Die meisten wussten keinen Rat und nur wenige hatten eine Ahnung davon, wo er weiter nachfragen konnte. Er bekam letztendlich die richtige Telefonnummer, die nach einer in einem Supermarkt gekauften Prepayed-Karte roch.

 

*

 

Nachdem er das Büro seiner Frau verlassen hat, zog sich Paul zurück. In seinem Kopf hallten die eindringlichen Warnungen wider, die er sich damals, als er die Telefonnummer ausfindig gemacht hatte, anhören musste. Wovor denn eigentlich? Schlimmer konnte es nicht werden. Das einzige Kind, das die Familie je haben würde, war soeben gestorben.

 

Schon nach dem ersten Klingeln ging man ran.

»Was wolle Sie?«, fragte eine wohlklingende Stimme.

»Guten Tag der Herr. Mein Name ist Paul von Lengenfeld und ich hätte eventuell einen todsicheren Auftrag für Sie.«

»Ja, das sagen sie alle«, meinte die Stimme

»Mors nihil finit.«

»Was sie nicht sagen. Und warum sollte mich das beeindrucken?«, fragte der Fremde.

»Saim et hasoch«, las Paul aus seinen Notizen vor.

»So kommen wir ins Geschäft. Wir sind allen offen, aber unsere Dienste sind sehr teuer. Ist Ihnen das klar?«

»Selbstverständlich.«

»Erzählen Sie mal.«

 

Paul erzählte ihm alles und wurde während seiner Ausführung kein einziges Mal unterbrochen.

 

»Wann ist er gestorben?«, fragte der Fremde.

»Heute Vormittag. Wir haben ihn seit dem nicht berührt.«

»Das wäre nur dann von Belang, wenn sie ihn zerstückelt hätten.«

»Haben wir aber nicht. Nennen Sie den Preis.«

Der Fremde nannte eine Zahl und eine Kontonummer. Paul sagte zu und das Gespräch war damit beendet. Dann telefoniert er mit seiner Bank, wo ein Berater, der keine Fragen stellte, zu jeder Tages- und Nachtzeit zu seiner Verfügung stand.

 

Der Fremde rief nach der Transaktionsbestätigung zurück.

»Danke Herr von Lengenfeld. Es war ein Vergnügen, mit Ihnen Geschäfte zu machen.«

»Gern geschehen. Ich gehe davon aus, dass Sie Ihren Teil erfüllen werden.«

»Natürlich werden wir das. Über uns wird vieles erzählt, aber sie sollten kein Wort davon glauben. Bei uns hat jeder, der seinen Teil der Vereinbarung erfüllt, einen Wunsch frei. Sehen Sie, Herr von Lengenfeld, wenn man unsere Dienste in Anspruch nimmt und nachher die versprochene Gegenleistung nicht erbringen will oder kann, hat das naturgemäß Konsequenzen für alle Betroffenen. Man sollte aber die böswillige Nichterfüllung des Vertrages und alles, was daraus resultieren mag, nicht mit unseren Geschäftspraktiken verwechseln.«

»Ich würde nicht einmal im Traum daran denken«, meinte Paul und gab sich große Mühe überzeugend zu klingen, »möchte aber wissen, wann wir mit der Erfüllung Ihres Teils rechnen können.«

»Morgen früh. Ich wünsche Ihnen alles Gute«, sagte der Fremde und legte auf.

 

Sie wurden erst recht spät am nächsten Morgen geweckt, als Wilhelm an ihrer Schlafzimmertür klopfte, eintrat und kundgab, dass er Hunger hatte und frühstücken wollte.

 

Paul lächelte zufrieden. Laura war außer sich vor Freude und verbrachte den Tag damit, ihrem Sohn in der Küche alles zu kochen und zu backen, was er haben wollte.

 

*

 

Nach einigen Tagen grenzenlosen Glückes klingelte Pauls Handy. Am Display erschien die Perpayed-Nummer. Paul nahm den Anruf mit einem unguten Gefühl entgegen.

»Habe ich zu viel versprochen?«, fragte der Fremde.

»Durchaus nicht. Wir sind mit Ihren Diensten zufrieden. Was möchten Sie?«

»Betrachten Sie diesen Anruf als eine Art von Bonus. Wir bekommen viele Aufträge und, wie gesagt, alle werden bedient. Ein ganz interessanter ist gestern bei uns eingegangen. Jemand, den ich nicht nennen darf, hat sich gewünscht, dass Sie und Ihre Frau in zwei Wochen sterben.«

»Was wollen Sie damit sagen? Ist das Ihr Verständnis vom Humor? Soll das ein Witz sein?«

»Bei der erbrachten Gegenleistung des Auftraggebers wäre dieser Ausdruck unangebracht. Wie Sie wissen, diskriminieren wir nicht. Kunde ist Kunde und Auftrag ist Auftrag. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit. Genießen Sie es, denn viel davon haben Sie nicht mehr.«

 

Version 2