Von Björn Neumann

Guillaume de Nogaret saß gedankenversunken an seinem Schreibtisch. Er studierte gerade ein Pergament, als die Wache an seine Tür klopfte und Besuch ankündigte. „Ah, de Bresse! Führt ihn herein“ befahl er und straffte sich. Der ganz in Schwarz gekleidete Hofbeamte wirkte verloren hinter dem großen, aus Eiche gefertigten Tisch, doch sein durchdringender Blick strahlte eine Autorität aus, die die ganze Macht des engsten Ratgebers des Königs auszeichnete. Er war es gewohnt, Befehle zu geben und dass die Menschen Ehrfurcht, wenn nicht sogar Angst, vor ihm hatten.  

Ein Mann betrat das Arbeitszimmer. Zwar war seine Kleidung die eines Edelmannes, zahlreiche Flicken und ausgebesserte Stellen zeugten jedoch von einem Grad der Verwahrlosung, der von einem Leben auf der Schattenseite sprach.

„Reginald de Bress“, sprach Nogaret mehr zu sich selbst, als zu seinem Besucher. „Ihr wart Templer so weit ich weiß?“

„So ist es“, antwortete dieser knapp, wobei sich seine Miene verfinsterte. „Welche Rolle spielt das, wenn ich fragen darf?“

„Man berichtete mir, dass Euer Austritt nicht ganz – sagen wir mal – freiwillig von statten ging?“ Nogaret verfügte über zahlreiche Quellen und Spione, die sich wie ein Spinnennetz über das Land erstreckten. So entging nichts, was in Frankreich vor sich ging, dem Berater des Königs.

„Es war ein Komplott gegen mich! Eingefädelt von diesem Flamen.“

„Jean d’Oetingen. Und dieses Komplott…“, Nogaret schmunzelte und schaute in sein Pergament, „war eine gewisse Leila. Eine Ungläubige, die Ihr gegen ihren Willen… nun, ja…“ De Bress erbleichte. „Ihr seht, mir bleibt nichts verborgen. Sei es drum. Das ist nicht das Thema. Mich interessiert, was hinter den Mauern des Tempels vor sich geht. Der König ist besorgt um den Ruf der Kirche.“

„Man kann über die Brüder sagen, was man will, aber ich habe nie gottesfürchtigere Männer gesehen. Jeder würde ohne zu zögern sein Leben für das Kreuz opfern.“

„Ist das so?“ Nogaret faltete die Hände und fixierte den Ritter. „Wie geht es Euch seit Eurem Austritt? Habt Ihr Land, Vermögen?“, fragte er beiläufig.

„Ihr wisst, dass ich ein Zweitgeborener bin, wenn Ihr doch so wohl informiert seid.“

„Bedauerlich. Ihr standet so lange im Dienste der Kirche und steht jetzt vor dem Nichts.“

Reginald senkte den Blick. „Ich komme zurecht.“

„Davon bin ich überzeugt. Nun gut, lasst uns das Gespräch hier beenden.“ Nogaret erhob sich und legte seinen Arm freundschaftlich um den Ritter, um ihn aus dem Raum zu führen. „Wusstet ihr, dass ich noch einen Hauptmann für meine Wache brauche?“

***

Nogaret machte sich am nächsten Morgen freudestrahlend auf den Weg zum Palast. In einer ledernen Tasche trug er ein Pergament mit der Aussage des ehemaligen Tempelritters Reginald de Bress bei sich. Die Palastwachen erkannten den sonst griesgrämigen Beamten kaum wieder. Als er in den Audienzsaal des Königs kam, sank er auf die Knie. „Mein König, ich komme mit guten Neuigkeiten.“

„Erhebt Euch, Guillaume. Was habt Ihr für Nachrichten?“

„Wie würde es Euch gefallen, die Staatsverschuldung zu entlasten und dem Papst gleichzeitig einen Schlag zu versetzen, Sire?“

„Als nächstes versprecht Ihr mir noch, dass mein Cousin Edward mir die Krone Englands andient? Aber fahrt fort.“

„Wir haben die Aussage eines ehemaligen Tempelritters, der den Orden schwer belastet. Diese Beschuldigungen sind so schwerwiegend, dass es nur zur Auflösung des Ordens führen kann. Damit wären nicht nur Frankreichs Schulden getilgt, wenn wir das Verfahren unter weltliche Gerichtsbarkeit stellen, können wir sogar das ganze Vermögen des Orden konfiszieren. Und wie Ihr wisst, soll sich der legendäre Templer-Schatz direkt hier in Paris befinden.“

Phillip zog eine Augenbraue hoch. „Und dieser Ritter ist vertrauenswürdig?“

„Nun ja, Sire …“

„Ja?“, unterbrach ihn der König unwirsch.

„Die Aussage ist ein Mosaikstein. Ich werde durch gezielte Gerüchte diese Aussagen untermauern. Bald wird in jeder Schänke, auf jedem Markt die Häresie des Templerordens das Thema Nummer eins sein.“

„Ich hoffe, Ihr irrt Euch nicht. Ein Debakel wie in Anagni wollen Wir nicht wieder erleben!“

Nogarets Miene verfinsterte sich. Das gescheiterte Attentat auf den Papst war ein dunkler Fleck auf seinem blütenweißen Hemd. Aber Könige sehen nur die Flecken und er durfte sich keinen Schnitzer mehr erlauben. „Sire, ich verspreche …“

Philip hob abwehrend eine Hand. „Ich will keine Ausflüchte hören, mein lieber Nogaret. Lasset Taten sprechen. Ich denke, Ihr habt zu tun!“

Nogaret entfernte sich in tiefer Verbeugung mit einem untertänigen „Sire.“

***

In den folgenden Wochen verbreiteten sich Gerüchte über die Templer wie ein Lauffeuer. Nogarets Spione träufelten Verleumdungen über die erhabenen Ritter in die Ohren der Menschen.

„Hast du gehört? Die spucken aufs Kreuz.“

„Sie beten den Teufel an.“

„Man hat gesehen, wie zwei der Frevler beieinander lagen!“

Erst flüsternd, am Ende offen ausgesprochen, schlug den Templern in der Bevölkerung unverholener Hass entgegen. Die Saat war gelegt und Nogaret wartete darauf, die Früchte zu ernten.

***

Es war Freitag, der 13. Oktober 1307. Die Nacht war ungewöhnlich kalt und Nebelschwaden zogen kurz vor Sonnenaufgang durch die Pariser Straßen. Guillaume de Nogaret ritt mit einer Eskorte von 100 bewaffneten Soldaten durch die Straßen der Stadt. Das Ziel war das Örtchen „La Ville Neuve du Temple“, der Sitz der Templer vor den Toren der Stadt. Köpfe lugten aus den Fenstern und neugierige Bürger tuschelten hinter vorgehaltener Hand. Es war offensichtlich, dass an diesem Morgen etwas Schicksalhaftes passieren würde.

„Im Namen des Königs! Öffnet die Tore!“ Nogaret hämmerte mit der Faust gegen das große Portal des Tempels. Langsam öffnete sich unter ächzendem Quietschen das Tor. Nogaret nickte de Bress kurz zu, der mit zehn seiner Soldaten das Tor aufstieß. Nogaret folgte ihnen auf dem Fuß in den Innenhof. Ihm stockte der Atem, als er ungefähr hundert Templern in Kampfformation gegenüber trat. Ein Meer aus den berüchtigten roten Templerkreuzen, die weiße Mäntel und Schilde zierten und allein dessen Anblick schon Armeen in Angst und Schrecken versetzten. Kurz straffte er sich und entrollte ein Pergament, dass aus dem Ärmel seines Mantels zog.

„Im Namen seiner Majestät König Philip, vierter seines Namens, von Frankreich …“

Nogaret stoppte abrupt, als die Tür des Hauptgebäudes aufflog. Auf den steinernen Treppenabsatz trat ein Mann mit langen weißen Haaren und weißem Bart, gleich einem Moses aus dem alten Testament, der im Begriff war das Rote Meer zu teilen. Es war Jaques de Molay. Der Großmeister des Templerordens.

„Nogaret! Wer sonst?“ Die Stimme des alten Ritters dröhnte wie Donnerhall verächtlich über den Hof der Festung.

„Jacques de Molay. Ihr und eure Ritter seid angeklagt der Häresie, der Ketzerei und Sodomie! Legt die Waffen nieder und ergebt euch! Des Weiteren übergebt uns euer sämtliches Vermögen. Es wird im Namen der Krone konfisziert.“

De Molay brach in schallendes Gelächter aus. Dann hielt er kurz inne. Die Wolkendecke brach einen Spalt weit auf und ein einzelner Sonnenstrahl schien wie eine Botschaft des Himmels auf den Großmeister.

„Ihr sucht hier nach Gold? Nach einem Schatz? Ihr werdet nicht finden, wonach Ihr sucht. Wisst Ihr, was der Schatz der Templer ist, den wir im Heiligen Land geborgen haben? Ich will es Euch sagen. Erkenntnis. Die Erkenntnis, dass Gottes Kinder von Königen und Päpsten in einen Krieg getrieben wurden, der nicht der ihre war. Nur aus der Verblendung, man sei im Besitz der alleinigen Wahrheit und Gott stände auf seiner, der richtigen Seite. Dabei ist es der Gott aller Kinder Abrahams – egal ob Christen, Juden oder auch Moslems. Es ist die Erkenntnis, dass weder Ihr, noch ein König, ja nicht einmal der Heilige Stuhl über uns richten kann. Allein Gott wird uns richten. Es ist die Erkenntnis, egal welche Lügen und Gerüchte verbreitet werden, Gott die Wahrheit kennt. Und nicht zuletzt die Erkenntnis, dass der Tag kommen wird, an dem die Herrscher dieser Welt sich vor dem Herrn zu verantworten haben und ebenso von diesem gerichtet werden. Die Erkenntnis, dass dies sowohl heute, wie auch morgen, so wie auch in tausend Jahren gültig sein wird. Kein Herrscher steht über Gott. Non nobis Domine, non nobis, sed nomini tuo da gloriam. Nicht uns, o Herr, nicht uns, sondern Deinem Namen gib Ehre.“

Mit den letzten Worten riss de Molay sein Schwert aus der Scheide, reckte es in die Höhe und warf es mit einer weit ausholenden Bewegung Nogaret vor die Füße. Die Tempelritter im Hof folgten seinem Beispiel. Konsterniert blickte Nogaret auf über hundert Schwerter, die ihm zu Füßen lagen. Wie auf Befehl sanken der Großmeister und seine Ritter auf die Knie und falteten die Hände zum Gebet.

„Pater Noster, qui es in caelis, sanctificetur nomen tuum.“

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