Von Karl Kieser

Badenixen-Investigation

von Karl Kieser

 

In unserem Dorf, am Rande des Spessarts gelegen, ist die Welt noch in Ordnung. Überlieferte Strukturen sind zum Teil noch in Betrieb, andere haben ihre Funktion verloren, werden aber weiterhin liebevoll gepflegt.
So geht es auch dem ehemaligen Löschteich, der in den flacheren Uferbereichen von Seerosen bewachsen ist.
Im Sommer ist das ein schönes Bild. Meine morgendlichen Spaziergänge lege ich immer so, dass die Sonne schon hoch am Himmel steht, wenn ich den Teich besuche. Dann sind alle strahlend weißen Blüten weit geöffnet und protzen mit ihren ebenso strahlend gelben Stempeln. Jeden Morgen zieht dann ein kosmischer Friede in mein Gemüt, gibt mir Kraft und Lebensfreude.

Heute strebe ich dem Anblick mit besonderer Erwartung entgegen, aber ich treffe nicht auf das gewohnt friedliche Bild. Am Ufer steht eine Gruppe von Leuten beieinander und diskutiert offensichtlich über eine außergewöhnliche Szene: Mitten im Teich stehen vier junge Frauen bis zu den Schultern im Wasser. Sie stehen Auge in Auge einander gegenüber. Alle haben Badekappen übergezogen und auf ihren nackten Schultern kann man die Träger der Badeanzüge sehen. Zwischen ihnen schwimmt ein Tisch, darauf ein Trinkglas für jede von ihnen.

An diesen heißen Sommertagen ist das ein Bild, das sofort Sehnsüchte weckt. Ich wäre selbst gerne zwischen ihnen im kühlen Wasser. Leider weiß ich, dass ich mich niemals öffentlich derart präsentieren würde.
Doch etwas an dem Bild stimmt nicht. Das Wasser ist wie ein Spiegel. Die vier Badenden müssen daher völlig bewegungslos verharren. Sie starren ihr Gegenüber nur stumm an.

Im Näherkommen wird klar, dass es sich um Schaufensterpuppen handeln muss. Sie sind völlig identisch, unterscheiden sich nur durch ihren uneinheitlichen Badedress.
Ich kann mir gut vorstellen, dass sich jedermann sofort fragt, wer sich das ausgedacht hat und warum bisher von diesem Vorhaben noch nichts bekannt war.
Ich denke sofort an die überdimensionale „Badende“ in der Hamburger Binnenalster, die vor Jahren große Aufmerksamkeit erregt hat. Das hier ist doch eine ebenso brillante Idee, mit dem Potential, den Tourismus anzukurbeln.
In der diskutierenden Gruppe erkenne ich auch den Bürgermeister. Daher gehe ich hinüber, um ihm zu der gelungenen Überraschung zu gratulieren.
„Das ist mal eine originelle Idee, Herr Bürgermeister.“

Doch der reagiert ungehalten. Erst jetzt bemerke ich, dass sein Gesicht vor Zorn gerötet ist.
„Originelle Idee? Das ist eine Zumutung! Unseren schönen Seerosenteich so zu missbrauchen. Und wer räumt das wieder weg? Ich will wissen, wer das war, damit ich ihm die Rechnung für die Entsorgung präsentieren kann.“

Ich bin etwas betreten. Warum regt er sich so auf? Vielleicht, weil es nicht seine eigene Idee war? Oder ist ihm gar jemand mit diesem kreativen Einfall zuvorgekommen? Ich kann es mir nicht anders erklären und versuche, seinen Zorn zu beschwichtigen.

„Also hören Sie mal, Herr Bürgermeister, das ist doch nun wirklich ein erfrischendes Bild. Die Idee könnte direkt von Ihnen sein. Ich bin mir sicher, dass viele Leute sich das in den nächsten Wochen ansehen möchten. Es bedarf nur noch eines entsprechenden Artikels in der Presse.“

Der Dorfchef ist nachdenklich geworden. Auch seine Gesichtsfarbe normalisiert sich wieder. Man kann direkt sehen, wie es in ihm arbeitet. Lässt sich aus diesem Streich vielleicht doch noch Positives herausholen?
Schließlich kommt er zu einem Entschluss, der seinem Naturell entspricht. Er nimmt mich ein Stück beiseite und schlägt einen vertraulichen Ton an: „Sie haben da ja nicht unrecht. Das könnte für die Gemeinde doch von Vorteil sein. Ich werde gleich eine entsprechende Pressemitteilung in die Wege leiten. Aber was anderes, Sie kennen doch hier jedermann und als ehemaliger Kriminalbeamter wird es Ihnen nicht schwerfallen, die Urheber dieses Schabernacks herauszufinden. Nur für alle Fälle …“

Ich stimme ihm schnell zu, damit er nicht auf die Idee kommt, noch andere mit peinlichen Nachforschungen zu beauftragen. Für mich ist aber jetzt schon klar, dass bei dieser Untersuchung absolut gar nichts herauskommen wird.

Schon am nächsten Tag erscheint der folgende Artikel in der Zeitung, zusammen mit einem schönen Bild der vier Grazien, die ein Dauerbad inmitten blühender Seerosen nehmen:

  • Gestern Morgen rieben sich die Anwohner des Dorfweihers in Breitenborn verblüfft die Augen. Vier hübsche junge Frauen veranstalteten ein Picknick mitten im See. Nach der tropischen Nacht hätten es ihnen sicher viele liebend gern gleichgetan.
    Erst beim zweiten Hinsehen stellte sich heraus, dass die Damen nicht aus Fleisch und Blut sind.

    Das Auftauchen dieses reizvollen Ensembles ist geheimnisumwoben. Von allen unbemerkt, scheint es in der Nacht in dem Seerosenteich gelandet zu sein. Ist bei der Gemeindeverwaltung wirklich niemand informiert? Der Bürgermeister tut geheimnisvoll.
    In Breitenborn hat man sich jedenfalls auf den unverhofften Besucherstrom schon eingestellt. Der Metzger hat am Weiher seine mobile Grillstation aufgebaut gleich neben dem Eiswagen vom Eiscafé Capri.

Bei meinen Recherchen lasse ich vorbeugend durchblicken, dass sich die Initiatoren dieser Posse wegen möglicher Folgekosten besser im Hintergrund halten sollten. Das als Rückversicherung dafür, dass ich nicht selber in Verdacht gerate, weil ich nichts finden werde.

Für die Gemeinde aber sind die vier Badenden ein schöner Erfolg. Sie bewirken tatsächlich einen sanften Besucherstrom, der auch bei den übrigen Geschäften im Ort einen spürbaren Umsatzanstieg hinterlässt.
Dieses Dorf mit seinen gepflegten Fachwerkbauten hat ja auch einiges zu bieten und die reizvolle Umgebung lädt zum Wandern ein. Der sanft abfallende Talgrund mit den gestuft angelegten Fischteichen und dem munteren Bach, der sowohl die Fischteiche als auch den Löschteich durchfließt, ist beinahe zu schön, um real zu sein.

Bald kursiert das Gerücht, der Bürgermeister sei es gewesen, der die Idee für diese geniale Funktionserweiterung des ehemaligen Löschteiches gehabt habe. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass er selbst der Urheber dieses Gerüchtes ist.
Die Honoratioren der Gemeinde feiern ihn für diese kreative Idee. Er streitet seine Urheberschaft offiziell zwar ab, aber immer mit einem Augenzwinkern. Sicher nur deshalb, weil er nicht erklären könnte, wie das hübsche Ensemble in den Teich gekommen ist, woher die notwendigen Utensilien stammen und warum die ganze Aktion ein so großes Geheimnis umgibt.

Dieses Geheimnis ist auch der eigentliche Magnet für die Besucher, die bald nicht nur aus den umliegenden Ortschaften nach Breitenborn pilgern.
Im Verlauf des Sommers gibt es immer wieder Zeitungsartikel, die über das rätselhafte Auftauchen der Badegruppe spekulieren. Alle Blätter der regionalen Presse nehmen sich des Themas an.
Bald gibt es sogar eine Kolumne unter dem Titel: „Badenixen-Investigation“. Nahezu wöchentlich wird die Leserschaft mit neuen Theorien beglückt, denn immer wieder gehen bei der Zeitung anonyme Hypothesen über das geheimnisvolle Auftauchen der Badegruppe ein. Ich kann nur heimlich stolz darauf sein, dass die allesamt von mir sind.

Seitdem ein Hobbytaucher festgestellt hat, dass die vier Grazien nur mit Kopf, Rumpf und Armen existieren, miteinander auf einem Alurahmen montiert sind, der wiederum fest im Seegrund verankert ist, werden sogar nachempfundene Konstruktionspläne veröffentlicht.

Mein schöner Heimatort ist nun weit über die Kreisgrenzen hinaus bekannt. Endlich hat dieses Kleinod die Aufmerksamkeit, die es verdient. Mich macht das glücklich.

Die Wahrheit über das Mirakel der vier Badenixen wird niemals bekanntwerden. Das Geheimnis soll zur Legende werden und meinem Heimatort eine herausragende Stellung verleihen.
Alle Spuren sind gründlich beseitigt. Ich weiß, wie man das macht. Nur die Kiste mit den vier Beinpaaren könnte mich verraten. Aber in meinem Garten wird niemand nach Schätzen graben.

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