Von Miklos Muhi
Das harte Training hat Unmengen an Zeit und Anstrengung gekostet. Die Messungen der Trainingsläufe sind vielversprechend. Mir bleibt nichts anderes übrig, als morgen, an einem Sonntag, um Arsch Uhr in der Früh aufzustehen, mit den Öffis quer durch die Stadt zu fahren. Dann heißt es: Starten und 21 km lang alles geben.
Es ist kurz vor Mitternacht, doch der Schlaf lässt auf sich warten. Wenn ich nicht bald einschlafe, wird das Ganze schon wieder in einer Katastrophe enden, wie letztes Mal, als ich mich entschieden habe, mit Fieber und Durchfall teilzunehmen.
*
Der dämliche Wecker hat mich im Stich gelassen, die U-Bahn fährt heute wegen Wartungsarbeiten nicht, die Busse sind voll. Die Straßenbahnen fahren fast leer in eine andere Richtung.
So renne ich los. In so einer Lage ist das Aufwärmen sinnlos.
Nach gefühlten drei Kilometern fällt mir ein, die Sport-App auf meinem Handy aufzurufen.
Das Terrain ist unnachgiebig. Schlamm wechselt sich mit ähnlich rutschigem, steinigem Untergrund und ausgetrockneten, staubigen Strecken ab. Auf den Berg, an dessen Namen ich mich nicht erinnere, zu klettern, raubt mir den letzten Nerv. Aus der erhofften Erholung bergab wird nichts. Der von dicken Baumwurzeln durchwachsene Pfad fordert meine ganze Aufmerksamkeit.
Ein Satz aus den Wettbewerbsbedingungen fällt mir ein: Läufer, die das Rennen nicht auf der vorgeschriebenen und gekennzeichneten Strecke absolvierten, werden vom Wettbewerb ausgeschlossen.
Mist!
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Es ist zwei Uhr in der Früh. Die isotonischen Getränke vom letzten Abend verkürzen weiter die dringend benötigte Bettruhe.
Der Wecker leuchtet ordentlich. Die Batterie scheint in Ordnung zu sein. Ich überprüfe die eingestellte Weckzeit. Drei weitere Stunden Schlaf stehen an.
Die Aufregung hilft dabei nicht.
Die Verkehrsbetriebe melden keine Wartungsarbeiten oder Störungen.
*
Ich stehe bei der Startlinie zusammen mit fast 6000 Menschen. Bald überquere ich die Sensoren, die den Chip in meiner Startnummer auslesen und beweisen, dass ich gestartet und genau die vorgeschriebene Strecke gelaufen bin.
Nach den anfänglichen Schwierigkeiten finde ich meinen Rhythmus. Um Kraft zu sparen, bin ich mit den Überholungen vorsichtig.
Nach zehn Kilometer verdichten sich die Läufer. Irgendetwas ist da vorne los. Es wird lauter.
Die Strecke ist von Demonstranten blockiert.
»Sport ist Mord! Training ist Vergewaltigung! Akzeptiert Fett!«, skandiert man. Jede Person bringt mindestens drei Mal mein Gewicht auf die Waage und ich habe einiges auf den Rippen.
Dafür habe ich trainiert und auf vieles verzichtet? Dämliche Landwale!
»Aus dem Weg!«, brülle ich sie an.
»Hör auf, mich zu vergewaltigen!«, schreit eine blauhaarige Demonstrantin.
Der Ekel, verursacht durch die bildliche Vorstellung des Gesagten, wird von Wut in die Flucht geschlagen. Ich geb dir gleich Gewalt, blöde Kuh! Das Geräusch brechenden Knochen geht in den entsetzten Schreien der Zuschauer unter. Bald ist eine Schneise frei und ich laufe weiter.
Meine Zeit ist ruiniert und bei der Ziellinie werde ich von Freunden und Helfern erwartet.
Mist!
*
Es ist vier Uhr. Mir steht eine weitere Stunde zur Verfügung, um mich auszuruhen.
Zum Glück ist für den Nachmittag ein Besuch im Warmbad geplant. Ausgeschlafen sein ist dafür nicht erforderlich.
*
Die U-Bahn kommt pünktlich. Der Bus der Veranstalter bringt mich zum Informationszentrum. Nach kurzem Warten bekomme ich meine Startnummer, deren Anbringen weniger als eine Minute in Anspruch nimmt.
Ich finde meine Startzone und das Warten fängt an.
Die ersten Kilometer vergehen damit, dem Drang zu widerstehen, das Rennen abzubrechen und nach Hause zurückzukehren. Die Stimme meines inneren Schweinehundes, der sich unbedingt zu wissen wünscht, warum ich so einen Blödsinn veranstalte, wird zunehmend leiser.
Die App auf meinem Handy berichtet mir kilometerweise, darüber, wie ich vorankomme. Die Zahlen klingen vielversprechend.
Mein Durst meldet sich hin und wieder und lässt mich die Erfirschungsstationen aufsuchen, wo es Wasser und Sportgetränke, die wesentlich besser riechen als schmecken, in Plastikbechern gibt.
Ab dem 18. Kilometer wird es schwierig. Der innere Schweinehund ist verstummt, dafür schreien meine Muskeln umso lauter. Das Tempo zu reduzieren, wäre schade.
Ich beschleunige. Die letzte viertel Stunde wird man schon überstehen, im Gegensatz zu den Läufern, die jetzt in der klimatisierten Notaufnahme des nahen Krankenhauses liegen. Bei 35 Grad im Schatten (der entlang der Strecke extrem selten vorkommt) ist das Rennen nichts für Untrainierte.
Ich überquere die Ziellinie und stoppe die Messung auf dem Handy.
Das Ergebnis ist besser als in allen Trainings. Geradezu traumhaft … obwohl diese Bezeichnung nach so einer Nacht eher unangebracht ist.
Das Warmbad liegt einige Ecken entfernt, doch kommt mir der Weg zu Fuß wie ein zweites Rennen vor.
Und heute Nacht wird traumlos geschlafen, verdammt nochmal!
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