Von Sidhi Amipa
Üppig der Garten des Gesetzes, doch die Gier griff jenseits nach dem Apfel.
„Was … was ist denn? Das Morgengrauen ist noch fern“, murmelte Gaius verschlafen.
Ein dürrer Lakai antwortete: „Verzeiht mein Herr, aber ein Bote Brutus‘ bittet in dringlichster Angelegenheit um Audienz.“
Gaius schnellte aus seinem Diwan empor. „Oh! … von Brutus? … dringlich? – Man gewähre ihm unverzüglich Einlass!“
Der Lakai bedeutete dem wartenden Boten einzutreten. Der hünenhaften Gestalt haftete etwas eigentümlich Schroffes an, das durch das lodernde Fackellicht nur noch sonderbarer hervortrat. Der Bote blickte sich verstohlen um. Der Lakai hatte sich zurückgezogen. Sie waren nun gänzlich allein. Gaius wandte seinen Blick für einen Augenblick von ihm ab, um seine Toga zurecht zu zupfen, da glitt schon die Hand des Boten in dessen Gewand. Er umklammerte etwas fest und zog es nun behutsam hervor. Es blitzte silbern auf im Flammenschein – eine Tontafel, eingefasst in einem eisernen Gehäuse.
Gaius räusperte sich. „Nun, Brutus hat dich zu dieser Stunde entsandt?“
„So ist es. Mein Herr grüßt Euch. Ich komme mit der Kunde vom fürchterlichen Los, das Konsul Cinna ereilt ist.“
„Wie steht es um Cinna?“
„Er ist tot.“
„Er ist tot?!“
„Er wurde erdolcht in seinem Anwesen aufgefunden. Von den Attentätern fehlt jegliche Spur.“
Die Söhne der mächtigsten Geschlechter Roms hatten sich versammelt – der Senat. In seinen Händen lagen die Geschicke der Stadt und somit des Erdkreises. Die herbeigeeilten Senatoren, darunter auch Gaius, unterhielten sich nun lebhaft, denn selten war eine Sondersitzung eilends binnen einer Stunde anberaumt worden. Da erhob sich in ihrer Mitte ein ehrwürdiger Greis, sein Haupt schlohweiß, sein Gesicht tief gefurcht; und die Gespräche verstummten sogleich.
„Senatoren, ich, Konsul Octavius, habe den Senat zu dieser frühen Stunde einberufen, denn es ist meine schwere Pflicht, euch vom Hinschied unseres Konsuls Cinna zu unterrichten. Ein abscheuliches Attentat wurde gegen ihn verübt. Rom hat einen herausragenden Sohn verloren.“ Ein bestürztes Raunen ging durch die Reihen.
Nunmehr kämpferisch fuhr er fort: „Ein Anschlag auf einen Konsul ist ein Anschlag auf die Republik! In Wahrnehmung meiner heiligsten Pflicht, unsere Republik vor Unheil zu schirmen, werde ich, Konsul Octavius, die Aufklärung des Attentats höchstselbst leiten. Die Einberufung der Zenturiatskomitien zur Wahl eines Ersatzkonsuls müssen ausbleiben, solange die Täter nicht gefasst sind, und solange Konspirateure in jenen Gremien nicht vollends ausgeschlossen werden können. Dem Fortbestand unserer Republik muss unsere größte Sorge gelten!“
Die Sitzung wurde ausgesetzt. Es herrschte denn auch helle Aufregung. Die Senatoren strömten aus dem Saal, strömten zu ihren Frauen, in die Tavernen, zum Forum Romanum, um von den unerhörten Ereignissen zu berichten. Indes im Saal wieder die eigentümliche Stille der steinernen Büsten und Bänke einkehrte. Abseits in einer düsteren Nische zwischen zwei mächtigen Säulen fanden sich jedoch zwei betrübte Gestalten – Gaius und Brutus.
„Was für ein Unglück!“, klagte Gaius. „Wie konnte bloß unser Konsul Cinna gemeuchelt werden? Unser Konsul! Der Konsul der Popularen!“
„Unglück?“, warf Brutus ein. „Das ist ein eiskalt geplantes Komplott! Cinna war nicht irgendein Senator oder gar Bürger. Er war Konsul, er war oberster Magistrat des mächtigsten Reichs auf Erden. Immerzu schwirrten ein Dutzend Liktoren um ihn herum. Ein hergelaufener Gauner kann da unmöglich in sein Anwesen eingedrungen sein. Ergo, die Verschwörer müssen ungeheuerlich mächtig sein.“
„Du wirst doch … doch nicht etwa an Octavius und die Optimaten denken?“
„Na klar! Denk doch mal nach; wer profitiert denn? Der Alte regiert jetzt ganz allein an der Spitze des Staates.“
„Es ist wohl wahr, dass Octavius zur alten Schule der Optimaten zählt, aber gerade deshalb hat er sich ja stets den staatsmännischen Tugenden verpflichtet gefühlt.“
„Ei, hast du nicht gehört, was der Alte gerade angekündigt hat? Er entzieht den Fall der ordentlichen Gerichtsbarkeit. So ist er fein raus aus der Anklage.“
„Hehre Justitia! Recht hast du!“ Er blickte Brutus verblüfft an. Die Wülste über den Augen, das breite Kinn mit Grübchen, die untersetzte Statur, all das ließ ihn schroff und stumpfsinnig erscheinen. Doch nicht selten zeugten seine Worte von List und Scharfsinn.
„Und es kommt noch dicker! Mit der Anklage kann er sich nun unliebsamer Geister entledigen.“
„Du wirst doch … doch nicht etwa an eine tödliche Säuberungswelle denken?“
„Na klar! Denk doch mal nach; der Alte lässt ja nicht mal die Zenturiatskomitien einen Ersatzkonsul wählen. Er will zuerst überall die Popularen ausschalten, sie auslöschen. Die Straßen werden voll Leichen und Blut sein!“
„Oh Proserpina verschone uns! Wir müssen unsere Frauen und Kinder aus der Stadt in Sicherheit bringen!“
„Und wir müssen den Alten bekämpfen!“
„Aber wie nur? Die Optimaten sind im Senat in der Überzahl.“
„Richtig. Aber die Volkstribune sind auf der Seite von uns Popularen. Nur sie können ein Veto gegen den Konsul einlegen. Du hast doch einen guten Draht zu ihnen, nicht?“
„In der Tat, das ist unsere Erlösung! Ich werde sie unverzüglich aufsuchen.“
„Ausgezeichnet!“
„Aber sag, wird das reichen? Ein schwaches Schild doch die Gesetzestafel gegen Hiebe des Schwertes ist.“
„Richtig. Die größte Gefahr geht vom Feldherrn Brittanicus aus. Er ist ein reinblütiger Optimat. Wir müssen verhindern, dass er mit seinem Heer aus Germanien nach Rom zieht. Ich werde Sulla in Cisalpina schreiben. Er soll mit seinem Heer nordwärts die Alpenpässe sichern.“
Die Sonne hatte schon beinahe den Zenit erklommen. In den Gemächern des Konsuls fanden sich derweil zwei finster blickende Männer.
„Ihr müsst jetzt handeln!“, beschwor der Stämmige den Greisen.
„Aber es ist kein Gesetzesbruch. Das Veto gründet sich auf römisches Recht.“
„Herrje, hört Ihr die Stimmen denn nicht, die da munkeln, dass Ihr es wart, der Cinna erdolchen ließ.“
„Eine ungeheuerliche Verleumdung!“
„Gewiss, aber die Popularen streuen sie, um das Volk gegen Euch aufzuwiegeln. Sie werden die Anklage dazu nutzen, um Euch zu Fall zu bringen. Deshalb setzt Euer Siegel unter dieses Dekret!“
Als Gaius keuchend im Senat eintraf, war dieser bereits in offenem Aufruhr. Inmitten tumultartiger Szenen erkannte er Brutus und kämpfte sich zu ihm vor.
„Brutus!“, rief er. „Brutus! Was ist vorgefallen?“
„Oh Gaius! Der Senat ist eingeknickt vor dem Alten und hat den Notstand ausgerufen!“
„Den Notstand?!“
„Allerdings! Per Ermächtigungsgesetz waltet der Alte nun mit schrankenloser Macht!“
„Großer Jupiter! Das ist ein Staatsstreich! Sieh, wie laufend Senatoren eintreffen; der Ruf zur Sitzung ging bei uns Popularen gar arg zu spät ein. Was können wir nun noch ausrichten?“
„Der einzige Ausweg ist jetzt der Ruf zu den Waffen! Wir Popularen vereint mit Milizen der Plebs müssen bewaffneten Widerstand leisten!“
Die Sonne hatte schon längst den Zenit durchschritten. Bange Stimmen durchdrangen nun die Gemächer des Konsuls.
„In diesem Moment, da wir sprechen, werden in der Stadt Plebejermilizen ausgehoben!“
„Bei Vesta! Ein blutiger Bürgerkrieg droht! Oh Zeiten, oh Sitten! Was gäbe ich dafür, wenn innerhalb der Gemäuer Roms nur wieder der Hausfriede einkehrte.“
„Es gibt einen letzten Ausweg.“
„Oh nenn ihn mir! Ich beschwöre dich!“
„Die Rückkehr zum Konsulat ist ausgeschlossen. Ein starker Führer ist unerlässlich in der jetzigen Krise. Aber er kann weder ein reiner Popular noch ein Optimat sein, sondern er muss das Ansehen beider Lager genießen. Einer, der unbefleckt ist von den Händel der Stadt. Einer, der jenseits der Stadtmauern stammt. Einer wie Sulla!“
„Sulla? Gut, er ist tatsächlich unverbraucht. Aber steht er nicht den Popularen nahe?“
„Richtig. Und das ist sein Trumpf, denn im Innersten ist er doch Opportunist. Die Zeit hat ihn gestern zu den Popularen verschlagen. Die Zeit lässt ihn morgen zum verdeckten Optimaten werden.“
„Tatsächlich?“
„Ich habe mit ihm bereits korrespondiert. Er würde Euch Immunität und eine stattliche Pension garantieren.“
Die vergehende Abendsonne vermochte nur noch fahles Licht im Saal zu spenden. Gaius zog es diesmal vor, abseits aus sicherer Entfernung den Verhandlungen beizuwohnen, denn die mörderische Anspannung war förmlich mit Händen zu greifen. Da kam Brutus herbeigeeilt. Er sah Gaius nicht, sondern drängte sogleich in die Mitte des Saales und ergriff das Wort.
„Treue Senatoren. Die Ausrufung des Notstandes hat nicht zur erhofften Befriedung unseres Gemeinwesens geführt. Der Republik droht nichts Geringeres als ein blutiger Bürgerkrieg. Konsul Octavius, eingedenk seiner Verantwortung zur Wahrung der äußeren wie inneren Ordnung, hat sich bereiterklärt, sich von seinem Amt entbinden zu lassen, falls der Senat das äußerste verfassungsmäßige Instrument zur Wiederherstellung der Ordnung beschließt: die Diktatur!“
Der Saal brach augenblicklich in heftige Tumulte aus. Senatoren schlugen auf die Bänke, schrien, warfen Pergamentrollen um sich. Octavius wurde lauthals der Tyrannei bezichtigt. Es kam zu Handgemengen zwischen Popularen und Optimaten. Brutus rief nun eilends Liktoren des Konsuls herbei, indes die Ordnung nur schwerlich wiederherzustellen war. Die Unmutsbekundungen brachen nicht ab.
Da rief Brutus schließlich in den Saal hinein: „Senatoren! Senatoren! Konsul Octavius steht für das Amt des Diktators nicht zur Verfügung!“
Die Rufe verstummten augenblicklich. Ein ungläubiges Raunen ging durch den Saal. Wer solle denn Diktator werden. Ob das eine teuflische List sei.
Da stieß eine Hand von hinten gegen Gaius. Erschrocken wandte er sich um. – Es war sein dürrer Lakai.
„Verzeiht mein Herr!“, keuchte er erschöpft.
„Oh! Du – hier? Was führt dich denn zu mir?“
„Verzeiht, ich komme mit einer Eilmeldung.“
„Was ist denn?“
„Sulla … Sulla …“ Er brach luftringend zu Boden.
„Was Sulla? Sprich!“
Er röchelte nun kaum hörbar: „Sulla hat den Rubikon … Rubikon überschritten … mit … mit seinem Heer … Marsch auf Rom!“
Die Gier griff jenseits nach dem Apfel. So ward aus Licht Finsternis.