Von Juliane Soain

Jose zeigt auf etwas im Fenster. „Mari, siehst du den Punkt hier?“

Mari schaut genervt Jose an. „Jeden Morgen zeigst du mir irgendeinen Punkt da draußen. Ich glaube gestern war er auf der rechten Seite und vorgestern links.“

Jose dreht sich von Mari weg und atmet tief durch. Traurig schaut er auf den Computer. Für einige Minuten herrscht Stille zwischen den Beiden. 

Mari bekommt dann doch ein schlechtes Gewissen, dass sie Jose so angefahren hat. „Es tut mir leid. Ich weiß, dass du mich nur aufmuntern wolltest.“ 

Die beiden konnten nie lange aufeinander böse sein, aber in den letzten Jahren waren sie immer schneller reizbar. Die Ausbrüche wurden intensiver.

„Ich glaube der Auftrag hat uns stark verändert.“ Nachdem Mari es ausgesprochen hat, schwelgt sie in Erinnerungen, wie es früher war. Wie sie sich getroffen haben.

Jose fängt an etwas an seinen Fingern abzuzählen. „Es sind auch schon fast 20 Jahre, in denen wir zusammen arbeiten.“

„Erinnerst du dich, an damals?“, Mari macht eine kurze Pause. „Damals, als wir uns kennengelernt haben. Es war ein schöner Sommertag.“

Jose erinnert sich: „Der Wind spielte mit deinen Haaren.“

Mari lächelt und denkt an die schöne Zeit zurück. „Damals, als sie noch schön lang waren.“

„Und du noch 20 Jahre jünger“, streckt Jose ihr die Zunge raus.

„Boah, du kleiner Stinkstiefel“, boxt Mari Jose auf die Schulter und schaut ihn mit einem empörten Blick an, der zu einem bösen wird.

„Eigentlich sollte der Auftrag nicht so lange gehen, aber Steve der Idiot musste damals unbedingt Kaffee in die Maschine kippen“, schimpft Jose.

„Ach ja, Steve. Das bekam ihm nicht gut.“

Steve. Dieser Name weckt düstere Erinnerungen an den Tag. Schweigend senken die beiden ihren Kopf und widmen sich wieder ihren Computern.

Mari schaut aus dem Fenster und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Eigentlich müsste sie den defekten Radiator reparieren. Seit Tagen steigt die Temperatur an. Viel Zeit lassen sollte sie sich nicht mehr. 

Verärgert blickt Mari aus dem Fenster. „Jose, dein scheiß Punkt. Er ist immer noch bloß ein Punkt“, schreit sie ihm zu.

Jose ignoriert sie.

„Jose“, ruft sie ihn und richtet ihren Blick auf seinen Rücken.

Er dreht sich genervt um. „Was ist…“

Der Rest bleibt ihm im Halse stecken.

„Du bist einfach nur irre. WAS SOLL DER SCHEIß?“, schreit er sie an, während er in den Lauf ihrer Waffe blickt. Er weiß genau, dass es kein Spiel ist und sie schießen wird. Beim letzten Mal hatte Jose diverse Streifschüsse abbekommen und sich den Zeh gebrochen, weil er beim Ausweichen gestolpert ist. Daraufhin hat er sich eine Waffe unter seinem Schreibtisch befestigt.

Ok, folgende Strategie. Hechtsprung zum Tisch. Waffe ziehen und zur Seite rollen, bis ich hinter dem Tresen verschwinde.

Jose springt. Mari schießt. 

„Du bist völlig durchgeknallt. Du hast mich am Fuß erwischt“, ruft er ihr zu.

Mari feuert auf den Tresen. „Das sagt der Richtige. Ich muss dich, die ganze Zeit, ertragen.“

Jose hält die Waffe über den Tresen und schießt blind in die Richtung, wo er Mari vermutet.

„Autsch.“ 

„Ist alles in Ordnung bei dir?“, fragt Jose nach. Er hofft nicht, dass er sie ernsthaft erwischt hat, denn dann wäre er alleine.

Ich will nicht alleine sein.

Er schaut am Tresen vorbei, um nach ihr zu sehen. Plötzlich hört er neben sich Schritte. Jose dreht sich um, doch es ist zu spät. Ein Schlag ins Gesicht. Er geht zu Boden.

Erschöpft schaut er sie an. „Du kleine Schlampe.“

Erschrocken blickt er zum Computer. „Hat sie gerade eine Warnmeldung ausgegeben?“

Sie ist für einen kurzen Augenblick abgelenkt.

Haha Dummkopf!

An Maris Kopf prallt die Pistole, die Jose noch in der Hand hielt. Etwas überrascht kniet sie sich hin, um ihn den nächsten Schlag zu verpassen. Woraufhin er ihr, im passenden Moment, mit voller Kraft in die Niere tritt. Mari geht ebenfalls zu Boden und japst nach Luft. Den Schlag bekommt er trotzdem ab.

Die Beiden liegen Kopf an Kopf am Boden und stöhnen vor Schmerzen.

„Ist dir eigentlich aufgefallen wie viele Brandlöcher, von den Schießereien, sich hier bereits befinden?“

Mari bekommt immer noch schwer Luft. „Nein, noch nicht so recht, aber jetzt wo du es sagst, könnten die Wände einen neuen Anstrich vertragen.“

Plötzlich werden die beiden durchgeschüttelt.

„Achtung. Kurskorrektur wird eingeleitet“, ertönt es aus den Lautsprechern. 

Mari und Jose quälen sich hoch. Nun muss es schnell gehen. 

Sie ist etwas schockiert, als sie sein blutiges Gesicht erblickt. „Man, siehst du scheiße aus.“

„Du bist im Moment auch keine Augenweide.“

Sie setzen sich auf die Pilotensitze und schnallen sich an. Eine Kurskorrektur bei der Geschwindigkeit setzt hohe Kräfte frei. Die werden durch die Lebenserhaltungssysteme zwar abgefangen, aber Vorschrift ist Vorschrift. Niemand will im Störungsfall an der Wand kleben.

Die beiden schauen gespannt aus dem Fenster, während das Raumschiff anfängt sich langsam auszurichten.

„Ich hab es dir doch gesagt. Es ist nicht dein dämlicher Punkt“, brummelt Mari vor sich hin.

Das alte Raumschiff ächzt und stöhnt unter der Belastung. Kurze Zeit später ist die Kurskorrektur abgeschlossen.

„Wir befinden uns nun auf Abfangkurs. Zielobjekt Voraus. Ankunft in 4 Stunden“, ertönt es wieder aus den Lautsprechern.

„Kannst dich wieder abschnallen, du Angsthase“, spottet Mari.

Die Schlösser der Gurte klacken. Mari und Jose stehen auf und schauen sich mit ernsten Blicken an. Der Auftrag. Bis eben war er noch nicht greifbar. Nun wird er real.

„Los geht’s. Wir haben viel zu erledigen.“

Sie nickt.

Jose verteilt die Aufgaben. „Du überprüfst den Materiewandler. Danach den Sprungantrieb. Ich kümmere mich um die Spannungswandler und Relais.“

Sie drehen sich zu ihren Konsolen und beginnen mit ihrer Arbeit. Ihnen bleibt nicht mehr viel Zeit. Falls etwas nicht funktioniert, muss es instandgesetzt werden. Das ist nicht so einfach mit zwei Leuten in einem Raumschiff, das so groß wie ein Mehrfamilienhaus ist.

Gehetzt laufen die beiden, von Konsole zu Konsole, durch das Raumschiff.

„Einleitung des Bremsmanövers steht bevor.“ Warnt die Stimme aus dem Lautsprecher. Das ist das Zeichen für die Beiden sich in der Brücke einzufinden.

Erschrocken blickt Mari Jose an. „Was, die Zeit ist schon um?“

„Hast du alle prüfen können?“, fragt sie ihn, während sie sich anschnallt.

„Es waren zu viele, aber alle Defekten sind getauscht. Wie schaut es bei dir aus?“

Mari schaut leicht Arrogant. „Alles einwandfrei.“

Jose zwinkert Mari zu. „Du bist halt ein super Ingenieur.“

Beide spüren, wie sich das Raumschiff dreht. Ein paar Korrekturen des Kurses und auf der Konsole fängt eine Warnlampe an zu blinken.

„Mari“, er macht eine kurze Pause und legt seine Hand auf die Konsole, „Das ist der Moment auf den wir hingearbeitet haben.“

Jose wartet, bis die Anzeige im Toleranzbereich liegt. Anfangs waren es viele Raumschiffe, die losgeflogen sind. Nach und nach haben sie Signal für Signal verloren. Für die Beiden vergeht die Zeit gerade quälend langsam, denn sie warten auf das gefährlichste Manöver dieses Flugs. Mari fürchtet sich vor diesem Augenblick.

Was, wenn die anderen Raumschiffe, beim Bremsen, zerschellt sind?

Dann kommt der Moment. Ein Signal ertönt. Die Anzeige schaltet auf Grün. Jose bestätigt. Die Triebwerke fahren hoch. Mari und Jose werden in die Sitze gepresst.

Das sind die längsten zehn Minuten ihres Lebens. Auch die schmerzvollsten.

Man hat uns drauf vorbereitet. Erzählt dass die Bremsung schmerzhaft wird. 

Maris Gedanken werden langsam. Insbesondere wenn der… An was dachte ich gerade? Aber… das… hier…

Beide werden ohnmächtig.

„Wir befinden uns im Orbit des Zielplaneten“, ertönt es aus den Lautsprechern.

Als Jose die Augen öffnet, sieht er ihn. Den Planeten, zu dem sie seit 20 Jahren unterwegs waren. Er wackelt an Maris Sitz. „Mari, sieh dir das an. Ist er nicht wunderschön? So blau. So friedlich.“

Noch ganz benommen antwortet sie: „Ja, blau. Sieht gut aus.“

„Ich werde gleich mal das Teleskop anwerfen.“ Jose hat schon die Hand auf der Konsole, als Mari plötzlich hellwach, ihn an der Hand packt.

„Nein. Es ist verboten!“

Jose schüttelt ihre Hand ab. „Nerv nicht. Ein Blick wird nicht schaden.“

„Schau, wie wunderschön. Berge, Flüsse und Wälder. Da ist eine Insel. Wie herrlich der Strand aussieht.“

Jose wird von Melancholie erfasst. „Lass uns hierbleiben. Das Signal verstummen lassen.“

Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Die verstummten Signale. Standen die Anderen etwa vor dem gleichen Problem? Sind sie geblieben?

„Er ist sogar bewohnt. Da sind Lebewesen drauf. Tiere auf vier Beinen.“

Jose drückt seinen Finger auf den Bildschirm. „Die auf zwei Beinen, sehen uns ähnlich.“

„Ob ihre Sprache schwer zu lernen ist?“, fragt er sie voller Faszination.

Mari schlägt ihre Faust auf die Konsole, sodass Jose erschrocken zurückweicht. „Deswegen ist dieser Scheiß verboten.“

Sie ist aufgebracht und gleichzeitig verwirrt. Hat Mühe zu sprechen. Mari zeigt auf den Bildschirm. „Genau das ist der Grund.“

 

Die Ideale Zusammensetzung eines Planeten. Das war alles Schwachsinn, was sie uns erzählt haben. Naive vierzehnjährige, die an Ruhm und Wohlstand glaubten. Das ist also die Wahrheit.

Maris Blick wird ernst. „Wir erfüllen den Auftrag.“

Sie legt ihre Hand auf die Konsole.

„Tu es!“, schreit sie ihn an.

Zögerlich legt er seine Hand auf die Konsole.

Unser Volk braucht Energie. Wir können sie nicht im Stich lassen. Wir haben es schon immer so gemacht. 

Nachdenklich steht Jose vor der schwersten Entscheidung seines Lebens.

20 Jahre. Wir können nicht einfach 20 Jahre wegwerfen.

„Autorisation bestätigt. Initialisiere Kompression.“ Sämtliche Materie wird, innerhalb eines Augenblicks, auseinandergerissen und im Nächsten, in den Energiezylinder gepresst. Zurück bleibt nur kosmischer Staub, als wäre nie etwas anderes dort gewesen.

Als er aus dem Fenster schaut, sieht er wieder seine Heimatwelt. Der Sprungantrieb hat sie hergebracht. Trostlos. Kein blau. Er wäre lieber dort geblieben.

Jose hält den, vor Energie pulsierenden, Zylinder in seiner Hand. Traurig sagt er. „100 Jahre Frieden stecken in dir, aber war es Mord?“


Version 2