Von Hubertus Heidloff

Hat jemand schon mal erlebt, wie es ist, wenn man plötzlich von seinem Thron gestoßen wird, nur weil man seine Eitelkeit heraus stellt?

 

Alwin liebt es, Leute einzuladen und mit ihnen zu essen, zu speisen. Er liebt es auch, von diesen Menschen Anerkennung zu bekommen, wenn sie ihm sagen, wie fantastisch er kochen könne. Alwin genießt dieses Lob und baut deshalb in seinem Keller immer mehr Räume aus, um noch mehr Platz zu haben für seine Kochkünste. Die Menschen, die das Glück haben, seinen Kreativbereich bewundern zu dürfen, werden  zuerst in den Keller geführt, um dort sein Reich zu bestaunen.

 

Lange Zeit kann er sich an diesem Leben erfreuen und mit ihm alle, die zu ihm kommen. Gegeneinladungen nimmt er nur selten an, vielleicht weil er anderen in Sachen Kochen nichts zutraut. Er ist einfach in sein Kochen selbstverliebt, so dass er nicht nur seine Künste bei jeder sich passenden Gelegenheit hervorhebt, sondern sich sogar mit Horst Lichter, Steffen Henssler, Sarah Wiener und Christian Rach auf eine Stufe stellt. Na ja, nicht auf die gleiche, aber nur sehr wenige Stufen darunter.

 

Aber bekanntlich ändern sich die Zeiten manchmal. Alwin, der eine kleine Druckerei besitzt, muss erleben, dass ein Großkunde, der Alwin für einige Monate im Jahr Arbeit beschafft, von heute auf morgen absagt. Er hat einen günstigeren Produzenten für sein Material bekommen. Ersatz für diesen Kunden kann Alwin so schnell nicht finden. 

Zuerst entlässt er in Folge seines verringerten Auftragsvolumens zwei Mitarbeiter. Nach einem Jahr erhält  er       auch keine   Überbrückungskredite mehr.   Er versucht gleichzeitig, dieses, wie er es ausdrückt „Missgeschick“, vor seinen Bekannten zu verheimlichen.

 

Es gibt sie, diese Momente im Leben, in denen alles verdammt weit weg erscheint. Ob es Trauer ist, Einsamkeit, Verlustängste, die Angst in der Nacht ins Bett zu gehen und nicht mehr aufzustehen. Das Missgeschick umfasst all das. Alwin erlebt die Situation in der gesamten Breite der Introvertiertheit. Er versetzt sich in einen Traum, vielleicht in Ekstase. In dieser Form zeigt er sich nach außen stark und sicher, innerlich zerfrisst ihn die Unruhe.

Was er gebraucht hätte, wäre eine sehr starke Person gewesen, jemand der ihn hochzieht, wie im Song „ you raise me up“ Er hätte spüren müssen, nicht allein zu sein. Aber seine nach innen gerichtete Denk- und Handlungsweise lässt eine solche Hilfe nicht zu. Stattdessen kommt es immer wieder zu alten Verhaltensmustern.

Seine Einladungen gehen weiter.

Zu seiner „Spezialität“ gehört das Schnitzel aus der Oberschale. Seine Gäste loben ihn für seine Kreation in höchsten Tönen. Keiner schneidet das Thema Insolvenz an. „Wie herrlich ist dir doch dieses Essen wieder einmal gelungen.“

Andere meinen, ihm noch mehr Ehre erweisen zu müssen: „Ein königliches Mahl, mit nichts vergleichbar.“ „Wie zart das Fleisch ist, wie großartig ist die Sauce!“

Die Stadt mit ihren 70.000 Einwohnern ist in Wirklichkeit ein großes Dorf.  Neuigkeiten verbreiten sich schnell. Es hat einer erfahren, dass eine Insolvenz angemeldet ist, schon weiß es das ganze Großdorf. Rasend schnell hat sich die Neuigkeit herum gesprochen. Nur Alwin hat noch nichts von dem „Gerücht“ gehört. Seine Einladungen laufen weiter, obwohl es ihm ständig schwerer fällt,  das Geld für das Essen auf zu bringen. Seine Ehre verbietet es ihm, ein Sparschwein für Münzen und Scheine bereitzustellen.

Seine Frau hat ihn gebeten: „Alwin, lass das doch. Wir haben kaum Geld für private Bedürfnisse und du holst immer wieder Leute ins Haus.“ Alwin reagiert nicht. Er ignoriert seine private wie berufliche Situation. Seine besten Freunde haben nicht den Mut, ihm zu erklären, dass die ganze Stadt über seine Notlage Bescheid weiß.

Wieder einmal hat Alwin eingeladen. Diesmal ist auch ein  Steuerberater dabei.

Das Essen verläuft wie immer.

„Alwin, da hast du wieder einmal ein Meisterwerk geschaffen. Großartig!“

 

Da platzt der neue Gast mit einer Bombe heraus: „Alwin, wie machen Sie das, mit der Insolvenz zu leben und zu solchen Feiern einzuladen?“

Im selben Moment verstummen sämtliche Gespräche, peinlich berührt schaut jeder nach unten.

Am meisten betroffen ist natürlich Alwin. Er läuft puterrot an, eine Träne rennt augenblicklich über seine Wange. Er  steht auf und verlässt den Raum. Seine Frau versucht die Situation zu retten und bringt die schwache Erklärung: „Alwin braucht das.“

Alle Gäste finden erst langsam ihre Sprache wieder. Alle wissen von Alwins Schwierigkeiten. Einige verlassen spontan den Raum, peinlich berührt.

Der neue Besucher bleibt zum Schluss mit nur ganz wenigen Gästen zurück. „Warum seid ihr so scheinheilig gewesen und habt geschwiegen, anstatt nach einer Lösung zu suchen?“ fragt er die Verbliebenen. Diese schweigen auch jetzt.

Erst vereinzelt, dann in Grüppchen beginnen die Menschen zu tuscheln. Vielleicht überlegen sie jetzt, was falsch gelaufen ist.

 

 

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