Von Sabine Rickert

„Schau mir in die Augen, Kleines!“ (Casablanca)

„Mein Name ist Bond. James Bond!“ (Kennt jeder) 

„Mit der Flachen Hand mächtig prächtig ausholen und mit so viel Wumms gegen die Wange kacheln, dass das Gegenüber sich dreht wie ein Brummkreisel!“ (Aus einem Bud-Spencer-Film) 

Ich habe im Laufe der Jahre eine Vielzahl an Spielfilmen, Serien sowie Shows gesehen. Das prägt, da rutscht mir schon mal ein „Houston wir haben ein Problem“ heraus, oder wenn ich meine kleineren Kinder zu neuen Herausforderungen schickte, begleitete sie ein nettes „möge die Macht mit dir sein“. 

Ich bin 60 Jahre alt und fernsehsüchtig, doch ich brauche keine Hilfe. Es wirkt sich nicht dramatisch auf meinen Organismus beziehungsweise Orgasmus aus und nicht negativ auf vorhandene Sozialkontakte oder erlerntes Sozialverhalten. Ich bin nicht dick und treibe Sport. Einen gescheiterten Entzug habe ich hinter mir.

Die Karriere zum Fernsehjunkie kurbelte ich im Alter von 5 Jahren bei meiner Oma an. Es war „Anno 1966“.

Sie hatte den einzigen Fernseher in unserer Familie.

Oma erlaubte mir, einmal in der Woche die Mainzelmännchen zu schauen. Ein lustiges Drei-Sekunden-Glück. Erst in der Schule wurde ich aufgeklärt, denn „Schule macht schlau“. Ein Mitschüler hat es mir verraten. Anton, Berti und ihre Kumpel sah man fast täglich im Fernsehen, nicht nur einmal pro Woche. Die Erwachsenen haben mir nicht die Wahrheit gesagt. Man betrog mich um Tage mit vielen Sekunden. Ab da setzte ich meine Oma beträchtlich unter Druck. Das endete erst, nachdem wir eine eigene Flimmerkiste im Wohnzimmer stehen hatten. Der Fernsehsucht stand jetzt nichts mehr im Wege, ich war ja schon angewöhnt.

Unsere Eltern waren selbständig und hatten dadurch kaum Zeit zum Fernsehen. Sie hatten große Bedenken, dass wir Kinder, mein Bruder und ich, dem Gerät hemmungslos verfallen, wenn wir es erst einmal im Wohnzimmer stehen haben. Sie behielten recht, und in den Griff haben sie es dann nicht mehr bekommen. Dienstags war der freie Tag meiner Eltern und nachmittags, erlaubte mir Mutter, schon mal „ die bezaubernde Jeannie“ zu schauen. Die allererste Serie, die ich leider nie vollständig sah. Abends schaute die ganze Familie meist einen Western. Ich liebte „ High Chaparral“. Uns Kindern wurde eine halbe Stunde zugestanden.

Ich hoffte jeden Dienstag, dass Manolito, in der Zeit auf dem Bildschirm erschien, in der ich konsumierte. 

Meine Fernsehzeit verlängerte sich, nach einer Übergangszeit, in der sich erst einmal alle an das neue Gerät gewöhnten, dann recht zügig auf den täglichen Konsum von einer Stunde, ohne Betreuung.

Ich liebte Tierfilme wie Daktari, Lassie und Flipper. Damit, und mit Naturfilmen, hatte ich den Unterricht in Naturwissenschaft abgedeckt. Das Fernsehen prägte meine Allgemeinbildung, ebenfalls in Geschichte, Musik und Nonsens. 

Horrorfilme aus der eben genannten letzten Rubrik, schaute ich selten, aber wenn, dann nicht alleine. Unter diesem Genre verstanden wir hauptsächlich Vampirfilme. Es gab Chips und Fanta außerdem eine Decke zum Überwerfen, falls es zu gruselig wurde. Mein Bruder gruselte sich nicht so schnell, somit gab er das Startzeichen, wenn die Fernsehluft wieder rein war. Wir lernten, dass Vampire nicht auf Knoblauch stehen, dafür aber auf Blut und junge Frauen. Dieses Wissen benötigten wir im Grunde nur für „Small Talk“ mit unseren Klassenkameraden oder beim „Trivial Pursuit“, dort glänzte ich regelmäßig in der Rubrik „Film“.

Meine Mutter versuchte, mit allen Mitteln gegen die Fernsehsucht ihrer Tochter anzukämpfen.

Ich war dünn, nervös und blass. Man suggerierte mir, dass etwas nicht mit mir stimmte. Mama schickte mich zu vielen Ärzten, Chiropraktiker und Naturheilkundler, bis sie einen fand, der ihr bestätigte, dass der Fernsehkonsum an meinem Zustand schuld war.

„Fernsehen ist schädlich, denn es macht dumm und man bekommt schlechte Augen“. 

Das war in den sechziger Jahren eine weit verbreitete Meinung. Doch mein minderwertiges Sehvermögen wurde durch eine Hornhautverkrümmung verursacht, nicht durch die Glotze. 

Der Arzt riet zum Entzug.

Er gab meiner Mutter genaue Anweisungen, damit der Entzug zum Erfolg führt. Und zwar mit Schallplatten, Bücher und Spiele als Suchtersatz, das sogenanntes Methadon für Fernsehsüchtige.

Ich hatte die Qual der Wahl. Schmökerstoff hatten Oma und Vater reichlich, Spiele waren alle vorhanden. Somit suchte ich mir eine Platte aus. Es war „Der kleine König Kalle Wirsch“.

Der Plan war: 14 Tage gar kein fernsehen, im Anschluss nur einmal pro Woche am Wochenende.

Mit einer Platte war das fast unmöglich. Ich kannte die Fernsehzeitung auswendig und hatte vor Augen, was ich verpasste. Dadurch quengelte ich den Erwachsenen die Ohren voll.

Tablettenentzug wird vorsichtiger gemanagt, langsam ausschleichend.

Es hat nicht funktioniert. Ein Reduzieren und Umstellen auf Schallplatte hätte mehr Erfolg gezeigt. Dafür wären viele Tonträger nötig, selbst damals eine teure Angelegenheit. Zu der Zeit gab es noch keine Kassetten.

Eine Weile sprach und sang ich den kompletten Text mit:

„Tief unter der Erde, da ist es schön. Holladirih, Holladiroh ……….“

Meine Eltern sind eingeknickt. Die beiden fanden mich als „König Kalle Wirsch“ reichlich suspekt, oder mein Quengeln war erfolgreich, ein fernsehsüchtiges Kind war doch das kleinere Übel. Ich erhielt die Erlaubnis, einschleichend wieder fern zu sehen. 

Es gab in meinem Alltag gewiss Fernsehpausen. Ich saß ja nicht rund um die Uhr vor dem Apparat. Ich besuchte die Schule, hatte Hobbys wie das Reiten und Klavierspielen. Es blieb sogar Zeit zum Lesen und Freundinnen treffen. 24 Stunden sind lang.

Meine tägliche Fernsehdosis hatte sich auch nicht weiter erhöht. Für Monumentalfilme über 120 Minuten reichte meine Ausdauer nicht. 

Das schaffte ich nur mit Mühe.

Entzug stellte sich hauptsächlich ein, wenn es mir nicht möglich war, meine aktuelle Serie weiter zu verfolgen. Mittlerweile gibt es für mich Suchterleichterung. Der Sendeschluss wurde abgeschafft, das Fernsehprogramm läuft durch. Wir haben nicht nur drei Programme. Wie haben wir mit der zickigen Zimmerantenne rumgeeiert, um ein klares Bild zu bekommen. Sie wurde ersetzt. Durch Videorecorder, CD-Player und das Internet besteht kein Grund mehr, nervös zu werden. Verpasste Filme werden von mir gestreamt. Somit alles in Ordnung.

Im Jahre 2021 nennt mich niemand „fernsehsüchtig“. 

Die neuen Probleme heißen „Computersucht“ und „Handyabhängigkeit“.

 

  • Da stellt sich mir die Frage, bin ich jetzt „computersüchtig“, weil ich  streame?

 

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