Von Katrin Thelen

„Früher haben wir oft zusammen gekocht“, dachte ich kurz ein wenig wehmütig,  während mein Messer beim Schneiden der Zwiebel die dunklen Schnitte im Holzbrettchen nachzeichnete. „Maus, gibst du mir mal das Salz?“, hörte ich dann jedoch Daniel meine Gedanken unterbrechen. Wortlos und ohne aufzuschauen reichte ich ihm das Gewünschte. „Noch immer ein eingespieltes Team!“ kommentierte er und drehte sich wieder zum Herd. Rücken an Rücken zu ihm hämmerte es in meinem Kopf: „Ich heiße Tanja! Ich hasse es, wenn du mich „Maus“ nennst!“ Zum wiederholten Mal heute fragte ich mich, wie es dazu gekommen war. Dazu, was den aktuellen Zustand unserer erbärmlichen Beziehung darstellte. Und dazu, dass wir heute in unserer Küche standen und ein Menu kochten, wie wir es in unseren besten Zeiten so oft gemeinsam getan hatten.

Es roch bereits verlockend. Die beiläufigen Geräusche waren vertraut und angenehm wie der Lieblingswintermantel aus dem letzten Jahr: Auf dem Herd kochte Wasser in einem Topf, die Dunstabzugshaube surrte ihre Melodie und das Klackern des Schneebesens in Daniels Hand war gleichmäßig und zielstrebig, ein Poet könnte es verheißungsvoll nennen. „Ebenso vielversprechend, wie wir es einmal für einander gewesen sind.“, sagte eine leise Stimme in meinem Kopf. Das kantige Zerhacken von Zwiebel auf meinem Schneidebrett wirkte dazu nahezu disharmonisch. Soll es doch! Schon immer war der Salat meine Aufgabe gewesen. Frisch und vitaminreich, der Einstieg in ein gemeinsames Menu als Auftakt für einen schönen Abend, vielleicht eine aufregende Nacht. So ist es früher gewesen … früher! Ich starrte auf meine Finger, die jetzt automatisch die Radieschen in hauchdünne Scheibchen schnitten. Wann hatte „früher“ eigentlich aufgehört? Wozu sollte das hier gut sein? Beziehungs-Greenwashing? Ein paar frische Zutaten würden nichts mehr daran ändern, dass unsere Beziehung sich totgelaufen hatte. Wollte er uns tatsächlich noch eine Chance geben oder war heute der Abend zum Reinen-Tisch-Machen? War ich dazu bereit? Gedanke und Gefühle, die sich sämig durch meinen Kopf rührten wie drei Tage alte Erbsensuppe. Ich spürte Magengrummeln, weniger aus Hunger, denn aus Unentschlossenheit, und Müdigkeit erfasste mehr meinen Geist als meinen Körper. „Keine Lust auf anstrengende Diskussionen, Vorwürfe und Geheule. Heile Welt für einen Abend, wenigstens heute, bitte schön. Ich breche hier jetzt keine Krise vom Zaun“, dachte ich noch, als ich das letzte Radieschen vom Schneidebrett wischte.

„Es passt nicht mehr.“ Seine Stimme verklang im Raum. Der Backofen hatte die Umlufttemperatur erreicht. Mein Messer verharrte kurz in der Luft. Die Abzugshaube dröhnte lauter als zuvor. Noch immer haftete mein Blick auf den Radieschen. Als hätte jemand den Radiosender gewechselt, hörte ich Daniel unvermittelt weiterhantieren, rühren, gießen. Ich drehte mich nicht um, schaffte es nicht,  machte auch weiter, einfach so. Schnitt Tomaten. Doch meine Hand zitterte. Ich brach ab. „Bitte?“ rau kam das eine Wort mehr als Laut aus meiner Kehle.

Daniel bekam keine Gelegenheit mehr, seinen Mund auch nur zu öffnen, um sich zu erklären. Ich selbst war am meisten überrascht, als ich mich dabei beobachtete, wie meine Schleusen sich schneller öffneten, als mir selbst lieb war. Mit zu großer Macht bahnte sich ohne jede Vorankündigung ein aufgestauter Druck unaufhaltsam seinen Weg an die frische Luft der Realität.

Nichts als Zorn, groß und bebend, war das erste Gefühl, das aufstieg wie kochendes Kartoffelwasser und sich in meine nächsten Sätze ergoss. Die Symphonie in der Küche bekam ein neues Tempo.

„So ist das also?“ zischte meine  Stimme wie Wasserdampf unter einem Topfdeckel. „Nun, wenn wir jetzt hier in dem Akt „ehrliches Küchengespräch“ angelangt sind, hör mir gut zu!“ Mit festem Griff nagelte ich die Gurke auf das Brett und halbierte sie unbarmherzig mit einem Schnitt. „Du glaubst jetzt aber nicht etwa, ich sei glücklich mit unserer Beziehung, oder? Ich würde dich noch immer rosarot anhimmeln und dir jede Dummheit verzeihen? Vergiss es! Das ist lang vorbei.“ Mit geübtem Griff entstielte ich die Paprika und fuhr fort: „Weißt du, so unwiderstehlich und einzigartig wie du glaubst, bist du tatsächlich gar nicht. Bei Tageslicht betrachtet bist du eher der nervige Besserwisser, der sich selbst der größte Bewunderer ist. In deiner Welt ist es wichtig, was DU arbeitest, wohin DU in den Urlaub fahren möchtest und was DU heute essen möchtest. Kannst du dir vorstellen, dass ich auch Bedürfnisse habe? Oder überfordert das deine Schmalspur-Perspektive? Vielleicht bist du dazu auch einfach nur zu kindisch. Zu unerwachsen! Ist das auch der Grund, warum du aufgehört hast, mir Komplimente zu machen?“

Waren die Rührgeräusche verstummt, oder bildete ich mir das nur ein? Egal. Er wollte diesen Abend doch so, oder? Mein Kopf dröhnte in unauslöschlicher Kakophonie mit der Dunstabzugshaube, ein ungleicher Wettstreit von Emotion und Maschine. Ich war mir nicht im entferntesten sicher, ob ich alles oder auch nur die Hälfte so meinte, wie ich es sagte. Was aus meinem Mund platzte, erschreckte mich. Ich hatte ihn geliebt! Wann hatte das aufgehört, ohne dass ich es bemerkt hatte? Hatte es überhaupt aufgehört?

„Auf unsere neue Zukunft!“ hatte Daniel vorhin gesagt, als wir zu Kochen begonnen hatten. Was für ein Hohn, welch Unverschämtheit! durchzuckte es mich schmerzhaft. Eine Zukunft ohne einander hatte er damit gemeint!

Der verlockende Bratenduft aus dem Ofen stieg mir in die Nase. Gleich würde das Roastbeef gar sein.

Noch fehlten dem Salat die Kräuter. Das Stakkato meines Messers glich dem Rhythmus eines MGs als ich begann, Schnittlauch und Petersilie zu einem undefinierbaren Mus zu zerhacken. „Was aus uns geworden ist, Daniel, das würde ich gern fragen, aber es gibt kein UNS mehr, nach dem ich fragen könnte. Jedes UNS hat etwas liebevolles für den anderen. Es ist sensibel für die Bedürfnisse des Gegenübers. Du bist nur empfindsam, wenn es um dich geht.“ Mit einem wuchtigen „Klatsch“ schob das Messer den Kräuterbrei auf den Salathaufen, den, so wurde mir in diesem Moment klar, niemals jemand essen würde. Was für eine Verschwendung! Ich schloss meinen Monolog mit der noch fehlenden Erkenntnis: „Wahrscheinlich hast du mir nicht mal jetzt richtig zugehört!“ Bäm. Das war mein Schlussakkord. Das Wort zum Sonntag. Es war vorbei. Noch vor 10 Minuten hätte ich nicht gedacht, dass ich zu so einer Rede fähig sein würde, und noch immer war ich mir nicht sicher, ob meine Worte wirklich die Wahrheit wiedergaben. Sein Satz war so verletzend gewesen und dazu so überraschend gekommen wie ein hinterhältiger Raketenangriff, dass ich Rhetorik als absolut legitimes und fast nettes Mittel der Gegenwehr betrachtete. So behandelt man keinen Menschen.

Jetzt drehte ich mich zu Daniel um und blickte ihn an. Ohne Zweifel blieb in diesem einen Augenblick die Zeit auf der Welt einfach stehen. Wie eine Art physikalisches Grundgesetz. Umgeben von dieser Masse ausgesprochener und noch immer unausgesprochener Worte und klebriger, siedend heißer Wahrheiten bahnte sich eine schlichte Erkenntnis ihren Weg zu meinen verblüfften Augen und zu meinem Verstand.

Daniel, der völlig unbewegt, vielleicht schreckensstarr, an seinem Teil der Küchenarbeitsplatte stand, halb zu mir gedreht.  Auf der silbernen Platte neben ihm brannte eine Kerze, zwei kristallene Sektschalen waren bis zum Rand gefüllt mit feinster Mousse au Chocolat, unserem Dessert, mit dem einst alles für uns begonnen hatte. In einer Hand hielt er die Teigschüssel und in der andern einen Esslöffel voll mit der noch leicht warmen schokoladigen Köstlichkeit. Wie immer, und, zugegeben früher zu meiner großen Freude, hatte er eine für unsere Dessertschalen zu große Portion zubereitet.

In Zeitlupe rutschte ein großer Tropfen geräuschvoll vom Löffel. Das sprotzende „Plötsch“ war für einen Moment das einzige Geräusch im Universum. Mit tellergroßen Augen starrte er mich an, als er für mich seinen letzten Satz noch einmal wiederholte: „Es passt nicht mehr!“

Die Backofenuhr piepte.

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