Von Irmi Feldman

Hätte man Frau Gruber gefragt, ob sie sich als gute Seele bezeichnete, so hätte sie mit einem überzeugten, ja, fast beleidigten, JA! Das wäre ja noch schöner! geantwortet. Obwohl sie den Dorfbewohnern gegenüber kein Blatt vor den Mund nahm und es des Öfteren zu kleinen Unstimmigkeiten gekommen war, fühlte sich Frau Gruber durchaus anerkannt in ihrer Gemeinde. Und sieht man mal von den paar Vorfällen ab, wo man sie – fälschlicherweise, wie sie standhaft behauptete – als Milchpanscherin verdächtigt hatte, sah sie sich doch als rechtschaffenes Mitglied ihrer Pfarrgemeinde. 

Frau Gruber führte seit dem Tod ihres Mannes ein bescheidenes Leben auf dem Bauernhof. Die paar Kühe, die ihr nach dem Verkauf der Felder als einzige Einnahmequelle geblieben waren, gestatteten ihr ein mehr oder weniger angenehmes Leben. Und obwohl Frau Gruber größeren Geldsegen nicht gescheut hätte, hatte sie doch ein gutes Auskommen mit ihrem Einkommen. 

Es war an dem Tag, als Hans Witz, der Nachbarsjunge, der schon immer einen ausgeprägten Sinn für Humor gehabt hatte, auf die glorreiche Idee kam, der alten Kuh von Frau Gruber, die schon lange keine Milch mehr gab, – die Kuh, nicht Frau Gruber – eine mit Wein gefüllte Schweinsblase, um den Bauch zu binden. 

Frau Gruber, die jeden Abend um dieselbe Zeit zum Melken in den Stall kam, wäre auch schnurstracks an der mageren Carolin vorbeimarschiert, hätte nicht Hans Witz sie auf deren pralles Euter aufmerksam gemacht. 

Hätte Frau Gruber ihre Brille getragen, hätte sie, wenn schon nicht auf den ersten, dann doch wenigstens auf den dritten Blick erkannt, dass es sich bei diesem prallen Euter auf gar keinen Fall um ein Milcheuter handeln konnte. 

Da Frau Gruber sich vor Hans Witz wegen ihrer mangelnden Sehstärke keine Blöße geben wollte, bewunderte auch sie das pralle Euter. Umso erstaunter war sie, als ihr schon beim ersten Ziehen ein dunkelroter Strahl entgegenspritzte. War das Blut? Frau Gruber tauchte zwecks besserer Sicht den Zeigefinger in die rote Brühe und roch daran. Und dann ging ihr ein Licht auf! Das war nicht Blut, das war Wein, stellte sie mit einem einzigen Fingerlecken fest. Und gar nicht mal so schlechter!

Ein Wunder war geschehen! Endlich! Lange hatte sie darauf gewartet. Und nun war es passiert! Noch dazu in ihrem Kuhstall! Sie hatte immer gewusst, dass es eines Tages so weit sein würde. Insgeheim sah sie sich schon als Verwalterin der heiligen Kuh. Diese Erkenntnis haute sie glatt vom Melkschemel. 

Reporter würden kommen und sie nach ihrem Leben ausfragen. Am besten überlegte sie sich gleich mal ihren Lebenslauf. Ja und dann das Fernsehen! Die werden auch kommen. Die sind ja immer da, wo es was zu gaffen gibt. Aber wo sollen die denn nur hin mit all ihrem Zeug? In ihrer Küche ist kein Platz, das sagt sie denen gleich. 

Mit zittrigen Fingern zapfte Frau Gruber der Kuh den restlichen Wein ab. Sie musste sofort zum Herrn Pfarrer. Der musste als erster davon erfahren. Schließlich war das Wunder in seiner Pfarrei geschehen. 

Hans Witz, der Frau Grubers Sturz vom Melkschemel beobachtet hatte, wurde die Sache zu brenzlig. Sobald Frau Gruber sich zum Dorf aufgemacht hatte, entfernte er Carolins Weineuter und machte sich auf und davon. 

Weil der Pfarrer nicht beim Beten im Pfarrhaus, sondern beim Trinken im Wirtshaus war, wurden auch gleich der Bürgermeister und der Erste Gemeinderat in das Wunder mit eingeweiht. Der Pfarrer trommelte daraufhin eilig seine Ministranten zusammen, legte sein Messgewand an und bemühte sich gesetzten Schrittes zum Stall der Frau Gruber. Jeder, der sich auch nur halbwegs auf den Beinen halten konnte, rannte hinterher. So eine Gaudi konnte man sich nicht entgehen lassen. Zum Glück trafen sie unterwegs gleich noch den Gemeindeschreiber, damit das Wunder auch amtlich festgehalten werden konnte.

Atemlos erzählte Frau Gruber wie sie auf das Wunder der Weinkuh aufmerksam geworden war. Ein helles Strahlen sei von ihrer Carolin ausgegangen. Nur wegen des Strahlens sei sie zur alten Kuh hinübergegangen und habe das pralle Weineuter entdeckt. Von Hans Witz war nicht mehr die Rede. Diese nichtsnutzige Rotznase passte nicht in ihr Wunder. Je öfter Frau Gruber ihre Leuchtversion erzählte, desto besser konnte sie sich an die Einzelheiten erinnern. 

Vor der Stalltür hielt der Pfarrer sein Gefolge an. Zutritt hätte vorerst nur auserwähltes Personal. Später, wenn mal alle Umstände geklärt seien, würde der Stall auch für die Allgemeinheit ein paar Stunden am Tag geöffnet werden. 

Nach kurzer Absprache mit dem Bürgermeister entschied er, dass nur vier Personen den Stall betreten sollten. Nach ihm und dem Bürgermeister, blieben also nur noch der Erste Gemeinderat und der Gemeindeschreiber übrig. Aufgebracht fuhr Frau Gruber dazwischen. Was denn, was denn? So einfach lasse sie sich nicht aus dem Wunder drängen. Das wäre ja noch schöner! Es sei schließlich ihre Kuh. Nein! Entweder sie kommt mit rein, oder alle bleiben draußen. Notgedrungen stimmte der Pfarrer zu. 

Suchend blickte er sich um. Wo war denn nun die Kuh, die Wein gab? Stolz wies ihm Frau Gruber den Weg zur Carolin. Interessiert inspizierte der Pfarrer das Euter, das ihm auf den ersten Blick einen mageren, ja sogar ausgetrockneten Eindruck machte. Soviel er von der Sache verstand, sah dieses Euter nicht nach einem fruchtbaren aus. 

Frau Gruber drängelte sich nach vorn. Was denn, was denn? Die Herren haben eben keine Ahnung von der Landwirtschaft. Professionell schnallte sie sich ihren Melkschemel um den Bauch und zog sich einen Eimer heran. Mit Kennerblick unterzog sie Carolins Euter einer eingehenden Untersuchung und musste auch zugeben, dass dieses etwas geschrumpft war. 

Gespannt verfolgte der Pfarrer ihre Bewegungen. Eine Kuh, die Wein gab, konnte er in seiner Pfarrei gut gebrauchen. Nicht nur, weil er selbst gern geistigen Getränken frönte, sondern auch um seine in letzter Zeit etwas ungläubig gewordenen Pfarrkinder wieder auf den rechten Glaubenspfad zu führen. Was sei da besser als eine heilige Kuh? Sonntags nach der Messe würde die ganze Gemeinde zum Kuhstall pilgern. Dort würde er dann vor aller Augen die Kuh segnen und den heiligen Wein verteilen. 

Oder sollte er sonntags die Kuh vielleicht in die Kirche bringen lassen? Das wäre zu überlegen. Er befürchtete nämlich, dass viele seiner Pfarrkinder zwar bei der Kuhsegnung anwesend sein würden, schon allein wegen des Freiweines, aber der Heiligen Messe würden trotzdem viele fernbleiben. Nein, nein, da hatte er schon lieber das Rindvieh und seine Schafe in der Kirche beisammen. 

Nachdem Frau Gruber Carolins eingetrocknetes Euter untersucht hatte und zugeben musste, dass von dieser alten Kuh kein Weinsegen zu erwarten war, pilgerte sie zur nächsten Kuh. Vielleicht hatte sie sich vorhin in der Aufregung getäuscht. Aber auch die Zenzi daneben wollte sich nicht in den Weinhandel hineinziehen lassen. Frau Gruber hangelte sich beleidigt zur nächsten Kuh. Die ist es! Die Stasi! Jetzt sei sie ganz sicher. Doch auch die Stasi war es nicht. In weniger als einer halben Stunde, so schnell war sie sonst nie, melkte Frau Gruber alle Rindviecher. 

Des Pfarrers Gesichtsfarbe hatte sich mit jeder nichtsnutzigen Kuh dunkler verfärbt, bis sie bei der letzten Kuh dunkelrot stehenblieb. Er schäumte vor Wut. Die alte Bäuerin, die sowieso nie in die Kirche ging, hatte ihn an der Nase herumgeführt. Gedacht habe er es sich ja gleich! Die Gruber war berüchtigt für ihre Lügen. Und überhaupt: eine Kuh, die Wein gibt! Wo gibt’s denn sowas? 

Ungeschoren sollte die Bäuerin nicht davonkommen, überlegte der Pfarrer und freute sich auf die Predigt am nächsten Sonntag. Und nicht nur er! Denn als er am darauffolgenden Sonntag zur Kanzel hinaufstieg, war die gesamte Pfarrgemeinde versammelt. Keiner wollte sich die Strafpredigt für die Gruber entgehen lassen.

Frau Gruber, die über ihre Wichtigkeit, um nicht zu sagen Berühmtheit an diesem Sonntag hochbeglückt war, hatte sich für diesen Anlass besonders schick gemacht. Sogar gebadet hatte sie am Vortag. 

Der Pfarrer war begeistert. So voll war die Kirche schon lange nicht mehr. Wenn er auch keine Weinkuh mehr hatte, so hatte dieses Rindvieh doch immerhin dafür gesorgt, dass die Kirche voll war. Dies würde sich vor allem auch auf den Klingelbeutel auswirken. Er hatte dem Messdiener extra eingeschärft, diesen schon während der Predigt herumgehen zu lassen, weil er so genau sehen konnte, wer echte Münzen oder nur Hosenknöpfe hineinwarf. 

Seine Predigt hatte er gut vorbereitet. Wahrer Glaube bedürfe keiner Wunder, prasselte es auf die Menge herab. Ein echter Christ brauche keine Kuh, die Wein gibt. Nur ein vom Satan Besessener würde so einen Unsinn glauben. Und er hoffe inbrünstig, dass es in seiner Gemeinde kein so dummes und leichtgläubiges Pfarrkind gebe. Strafend blickte er auf Frau Gruber hinab. 

Reumütig zog sie den Kopf ein. Und es war doch ein Wunder, wenn es auch nur ein einmaliges war. Aber ein Wunder war es! Das ließ sie sich nicht nehmen! Das wär ja noch schöner! Aber irgendwie gemein war das schon. Sie hatte ihren alten Bauernhof schon als Pilgerstätte gesehen. Den Stall hätte sie gut als Café herrichten können, denn die Leute haben nach so viel Heiligkeit schließlich Lust auf Kaffee und Kuchen. Und die Andenken hätte sie in ihrer Küche verkauft.

Frau Gruber machte sich auf den Heimweg. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass der Weinsegen vorbei war. Nun würde sie erst einmal den Wein genauer unter die Lupe nehmen. Lange schnüffelte sie daran. Der Wein schien in Ordnung zu sein. Vielleicht könnte sie ihn mit Wasser vermischen und in kleine Fläschchen abfüllen? Dann würde er länger herhalten. Frau Gruber genehmigte sich ein kleines Schlückchen. Nicht schlecht. 

Und den Heustadel konnte sie immer noch ausräumen und in ein Café verwandeln, indem sie Heiligenbildchen und den gepanschten Wein verkaufte. Vielleicht auch T-Shirts mit der Kuh darauf. Und natürlich Kuhglocken. Die Leute waren heutzutage ganz wild auf Kuhglocken. ‘Zur Weinkuh’ würde sie ihr Café nennen. 

Der Pfarrer war ein Dummkopf, wenn der sich so eine einmalige Gelegenheit entgehen ließ. Wütend nahm sie einen tiefen Zug aus der Flasche. Der Wein ist gut, da gab es keinen Zweifel. Nun, wenn der Pfarrer so dumm ist, dass er das Geschäft nicht riecht, dann mach ich den ganzen Profit eben allein. Prost! Und wenn der Wein aus ist, kauf ich eben neuen. Prost! Den billigen, den sie beim Krämer immer haben! Das merkt sowieso keiner! Prost!

Der ungewohnte Weingenuss machte Frau Gruber schläfrig. Mit einem Handstreich schob sie die leere Weinflasche zur Seite und bettete ihren Kopf auf die Tischplatte. Gleich morgen früh würde sie in die Stadt fahren und einen Anwalt aufsuchen, um dieses Geschäft mit ihm zu besprechen. Diese wundersame Gelegenheit würde sie sich nicht entgehen lassen. Oh, nein! Sie nicht! Das wäre ja noch schöner!

 

V1