von Aurora Lenz
Ganz ehrlich, habe ich bis zum heutigen Tage über den Begriff „heilig“ nie nachgedacht.
In den Weihnachstliedern meiner heimischen Kindheit und den Erzählungen meiner seligen Oma kam die Herrlichkeit der Weihnacht durch ihre religiöse Entstehunggeschichte mit dem Begriff der Heiligkeit versetzt ständig nur mit auf religiösem Hintergrund basierender Lebensform durch.
Meine Oma selbst ist nie übertrieben religiös gewesen. Sie hatte ihren eigenen und überzeugten Glauben von Geburt, Tod und Wiedergeburt in Verbindung mit dem religiösen, der in vereinfachtem Deutsch von eben diesem spricht, den verbissene Christen von heute als „verteufelte Esoterik“ abtun. Oma Margarete war die gelebte Liebe in Person gewesen und schrieb den Text des Weihnachtsstückes „Der Liebe Erdenfahrt“, das von ihrem Mann, unserem Opa, Hugo Klebs, vetont und in Ulan-Bator welturaufgeführt wurde. In der Bergener Marienkirche, in der mein Opa (Musiklehrer des örtlichen Gymnasiums) Kantor war, spielte seinerzeit meine Mama eins der kleinen Engelchen.
Meine Gedanken und Erinnerungen an meine Oma betrachte ich seit ihrem Tod 1972 als ebenso „heilig“ wie sie als Person selbst. Diese ehemalige Lehrerin wohnte die meiste Zeit meines Lebens im elterlichen Haushalt mit und ersetzte uns Kindern und Heranwachsenden die sozialistische Erziehung in Kinderkrippen, -gärten und Schulhorten durch sehr gutes Allgemeinwissen, gärtnerische und bastlerische Fähigkeiten. Sie übersetzte viele sozialistische, den westdeutschen Bürgern und somit natürlich den meisten meiner Familienangehörigen gegenüber feindliche Aussagen der Lehrer ins Familiendeutsch.
In den DDR-Schul- und Kindereinrichtungen gab es den alten, bärtigen Weihnachtsmann ebenso wie den Nikolaus am 6. Dezember, der natürlich unheilig Ruten an ungezogene Kinder in Stiefel steckte, während der Weihnachtsmann mit seiner Rute Kinder bedrohte, die nicht artig gewesen waren, obwohl das Schlagen in den DDR-Schul- und Kindereinrichtungen untersagt war.
In Weihnachtsliedern und -gedichten war weder etwas heilig noch kamen Engelchen oder gar der Heilige Christ darin vor.
Leise rieselte zwar auch der Schnee, doch „freue dich, Weihnacht kommt bald“, klang durch das Klassenzimmer. Wenn Oma dieses romatnische Lied sang, freute ich mich auf das lustige, geflügelte Wesen mit seinem Kindergesichtchen, das auf meinem Adventskalender um den Tannenbaum schwebte : „’s Christkind kommt bald“.
Heiligen Glanz und Schönheit in der Natur, Gottes Schöpfung in Fauna und Flora und alles, was das Leben lebenswerter macht, lehrte uns Oma. All das passte in unserem heimischen, kniggemäßigen, völlig DDR-untypischen Familienleben im märchenhaften „Schlaraffenland“, das uns Opa, Oma und deren Schwester, unsere Tata, unser gehörloses Gretchen sowie weitere Haushaltsangestellte und unsere Eltern alltäglich bescherten.
Gretchen hat mit bisher über 94 Jahren alle überlebt, ist eine heilige, bei Personal und Bewohnern eines Gehörlosenheimes geschätzte und beliebte Person, die sich rührend um Mitmenschen bemüht, denen es schlecht geht.
Der Heilige Franziskus, Franz von Assisi, ein Italiener, Begründer des Ordens der Minderen Brüder, und die Selige, Heilige Ordensfrau Mutter Teresa, aus Albanien stammend, die die Nächstenliebe tatsächlich lebte, Menschen aus aller Welt, die aus christlicher Nächstenliebe Besonderes leisteten, ein bisschen Heil und Heilung in Herzen brachten, wurden seit dem frühen Mittelalter verehrt und gewürdigt, indem sie heilig gesprochen wurden.
Zurück zur Heiligen Nacht…. der BESONDEREN NACHT, in der eine Jungfrau, ein Zustand, den das Volk von unverheirateten Frauen erwartet, hochschwanger auf einem Esel ritt, der von Joseph geführt wurde.
An jenem Abend, der für die Welt zur Weihnacht wurde, wurde in der Stadt Bethlehem im Westjordanland, das zu den Palästinensischen Autonomiegebieten zwischen Mittelmeer und dem Jordan (Grenze des Königreichs Israel) gehörte, das Jesuskindchen geboren.
Wieviele unverheiratete Mütter gibt es heutzutage, die unverheiratet Kinder haben. Doch wie lange dauerte es oder wird es noch dauern, bis in Formularen nicht mehr nach ehelichen und unehelichen Kindern unterschieden wird?
Vielleicht war Maria aus ihrem Elternhaus verstoßen worden, weil sie Schande über ihre Familie durch eine uneheliche Schwangerschaft gebracht hatte? Unter einem friedlichen Stern standen ihr und ihrem vertrauten Joseph Menschen und Tiere zur Seite. Die Kraft der Liebe strömte in ihre Herzen durch dieses wundersame Ereignis, vor dem sie sich erhrwürdig verneigten. Das kleine Wesen – Herrscher des Guten in der Welt, geboren, die Menschheit zu erlösen vom Bösen.
Was ist heutzutage übrig von dem Heiligen, dem Besonderen? Es ist beschämend.
Vor wenigen Jahren las ich in einer Zeitung, dass Bettlern in dem frisch renovierten Dom von Münster in eisiger Nacht kein Einlass gewährt wurde, um eventuelle Verunreinigungen zu umgehen.
Flüchtlinge aus Notländern überwinden schutzsuchend lebensbedrohliche Hindernisse und werden von vielen Menschenherzen abgelehnt. Das Misstrauen steigt, weil auch Menschen mit ihnen kommen, denen keine Gefahr in ihrem Land droht. Sie wünschen in Norwegen und Deutschland ein sozialeres Leben zu führen. Angeblich versprachen Amerikaner in Deutschland eine Wohnung und ein Auto zur Begrüßung.
Terroristische Anschläge verwandeln Misstrauen zum Teil in Hass.
Was ist los in dieser Welt?
Wenn wir heute in der Heiligen Nacht im Lichterglanz sitzen, sollten wir dankbar sein, dass es uns gut geht, gut in dem Sinne, dass uns niemand bedroht, dass wir nicht Schutz vor Bombardements suchen müssen. Es hat alles schon gegeben. Meine Oma, mein Opa, meine Tata, unser Gretchen erzählten von ihren schockierenden Erlebnissen im erstem und zweitem Weltkrieg.. Auch sie mussten ihre Heimat verlassen.
Der Friede in unseren Leben sollte in unsere Herzen mehr Heiliges Licht strahlen lassen, das besondere Licht der Nächstenliebe.
Nur wo Liebe lebt… lebt Besonderheit, Heiligkeit….
(Aurora Lenz – 16.12.2016)