Von Dagmar Droste

Was hat ihn nur bewogen, eine Verbindung mit ihr einzugehen? Sie ist nun wirklich nicht sein Typ. Nicht schön, nicht mal hübsch. Sie geht ihm mit ihrer Pingeligkeit und Genauigkeit furchtbar auf die Nerven. Eine Spaßbremse, die ständig nach Aufmerksamkeit giert, die sich aufblähen kann, dass ihm sämtliche Fantasien verloren gehen. Er schätzt ihre absolute Loyalität und Zuverlässigkeit, doch der Umgang mit ihr ist schwierig. Mit ihrer Renitenz der Besserwisserei will sie ihn auf ein Maß zurechtstutzen, das er nicht kennt. Er ist ein Phantast. Leidenschaft nennt er das. Sie nennt es Selbstverliebtheit. Er wirft ihr Humorlosigkeit vor, sie hält sich für sinngebend. Sie bewegt sich in engen Bahnen, während er das große Ganze aus allen gesellschaftlichen Bereichen in sich tragen kann.

 

Sie kennen sich eine gefühlte Ewigkeit und ergänzen sich wunderbar. Darüber, ob es denn Liebe sein könnte, lässt sich streiten. Sie leben in einer symbiotischen Beziehung. Er, der Emotionale, der sich in unendliche Weiten bis zur Ekstase verlieren kann; sie, die Intellektuelle, die sich an Regeln und Vorschriften orientiert. Gemeinsam verfolgen sie das Ziel, Projekten zum Durchbruch zu verhelfen. Eine innige Verbundenheit während der gemeinsamen Arbeitsphasen ist bisher nicht zu erkennen gewesen. Meistens gibt es Ärger und Streit. Sie wissen aber auch, dass sie aufeinander angewiesen sind, ohne den Anderen sind sie nichts.

 

Im Laufe ihres Daseins musste sie häufig Veränderungen hinnehmen, und nicht alles, was sie erleiden musste, hat sie liebenswerter und kompletter gemacht. Die Erfüllung ihres Traumes ist es, IHM Gestalt zu verleihen, er soll Bewunderung und Zustimmung erfahren.

 

Leider ist er nicht autark, sondern benötigt immer eine soziale Verbindung mit unterschiedlichen Projektleitern. Diese erarbeiten IHN, dann kommt SIE ins Spiel, meistens jedenfalls. Häufig findet sie ihn elend und ramponiert vor. Wenn es deshalb mal wieder ordentlich ‘geknallt‘ hat, hält sie ihm vor, dass die Bibelübersetzung mit ihrer Hilfe heute eine andere Interpretation zulassen würde. „Größenwahnsinnig“, nennt er sie und meint, wenn sie so weitermachen würde, bestünde auch die Möglichkeit, die anstehenden Projekte außer Haus zu geben.

 

Ein Projektleiter hat wieder eine elende Gestalt aus ihm gemacht. Das Porträt eines Liebespaares mit schwarzer Tusche auf A3 kreiert, inspiriert ihn so sehr, dass er sich in emotionale Höhen aufschwingt, um farbige Wortschöpfungen zu Papier zu bringen.

 

„Hilfe, so hilf mir doch“, hört sie ihn rufen.

 

Er findet sich nicht zurecht, ist verformt, sinnentstellt, doch was ihn besonders zerreißt, ist das aktive Leben im Passiv in verschiedenen Zeiten.

 

Er jammert ihr was vor: „Ich bin so schön, aber niemand kann mich verstehen und fließend lesen.“

 

„Wie soll ich das so schnell ändern?“, fragt sie ihn gereizt und macht ihn darauf aufmerksam, dass sie mit Duden bekleidet schon auf dem Schreibtisch liegt.

 

„Das hilft nicht“, wimmert er, „der Projektleiter benutzt keinen Duden – er weiß alles…“

 

Wie kann er sich so zurichten lassen? Sie ist empört. Auf der Stelle sieht sie nur noch rot. Sie versteht ihn ohnehin nicht immer. Wie sie das hasst, seine Gefühlsduseleien, das sich Bewegen auf unterschiedlichen Ebenen. Sie muss sich mühen, ihn verständlich zu machen. „Dafür habe ich dich ja“, pflegt er zu äußern.

 

Was denkt sich dieser Projektleiter? Warum ist er nicht in der Lage, ihn in eine lesbare Form zu bringen?

 

„Das wird wieder eine lange, heiße Nacht“, nörgelt sie.

 

„Nun mach schnell“, fleht er sie verzweifelt an.

 

„Wenn du mir nicht so wichtig wärest, würde ich nichts mehr für dich tun. Du könntest dir dann eine Professionelle suchen“, schnauzt sie ihn an.

 

Er schluchzt im Imperativ laut auf, was sie sofort wieder auf den Plan bringt. Sie fühlt sich verantwortlich und macht sich an die Arbeit, um seine Verformungen zu richten und ihn aus unterschiedlichen Zeiten und von unterschiedlichen Ebenen zu holen.

 

„Hast du es bald?“, fragt er zaghaft, während sie noch durch den Duden hüpft.

„Du hast immer Recht mit deiner Schreibung“, versucht er, sie zu motivieren.

 

Stunde um Stunde verstreicht, und langsam hat sie ihn soweit hergestellt, dass ein Erkennen möglich wird.

 

„Bin ich nicht schön und von großer Bedeutung?“, fragt er selbstverliebt.

 

„Ja“, grummelt sie erschöpft, „wenn dich denn jemand deuten kann!“

 

 

Genervt entweicht sie dem Duden. Sie schaut ihn an … Er ist schon etwas ganz Besonderes mit ihrer Hilfe geworden. „Was wäre ich ohne dich?“, murmelt er. Mit einem zarten Gefühl der Zuneigung verschwindet sie im Text.