Von Barbara Hennermann

„Es ist die Sonne.

Sie frisst sich wie eine Fräse weiter und weiter in die Böden.

Wer weiß, wie lange es noch dauern wird, bis sie mit dem Magma im Erdinneren verschmilzt und die Erde in einem Feuerball untergeht.“

 

Erschöpft hält der Redner inne.

Er hat einen Auftrag zu erfüllen. Deswegen steht er hier oben.

 

Er blickt von der Tribüne hinunter in das riesige Festzelt.

Jeder Platz ist besetzt.

Die Personen sind nicht unterscheidbar nach Geschlechtern, da alle gleich gekleidet sind in lange, weiße Gewänder, wie man es von den Nomaden her kannte.  Ihre Gesichter verbergen sich hinter Mundschutztüchern, denn selbst bis in das Zelt hinein verteilt sich der feine Staub, der die Theresienwiese seit langem einhüllt.

Die imposante Figur der Bavaria, Stolz jeden Münchners, wirkt armselig und gebrechlich unter ebensolcher Staubschicht.

Über dem Festplatz, über den Türmen der Frauenkirche, dem Marienplatz, dem englischen Garten – über der Stadt, dem Umland, dem Land – steht sie, die gleißende Sonne. Unerbittlich, täglich, das Weiß-Blau der Bayern, gefeiert in ihrer alten Hymne, mutiert in ein immerwährendes Stahlblau. Sie sendet die sengenden Strahlen nieder auf´s Festzelt, den surrenden, solarbetriebenen Ventilatoren zum trotzigen Ansporn.

Ein Kampf ist´s, zwischen den Kräften der gepeinigten Natur und dem Kraftanspruch der Menschheit.

 

Dies alles geht dem Redner durch den Kopf, als er auf die versammelten Menschen schaut.

 

„Einige von euch können sich gewiss noch an die Zeit erinnern, als man hier  große Ereignisse und Feste feierte. Als das so benannte Oktoberfest die Menschen hierher auf die Wiesn lockte. Oja, damals waren die Reihen auch so gut gefüllt wie heute! Doch der Anlass war ein freudiger. Gefeiert wurde hier und der viel gelobte Gerstensaft floss in Strömen.“

 

Ein Aufstöhnen läuft durch das Zelt. Offenbar gibt es doch noch einige Veteranen aus vergangener Zeit. Menschen, die eigene Erinnerungen haben.

Die den Hopfen wachsen sahen an langen Stangen, die Dolden prall und voll. Die das Geklapper der Mähdrescher hörten, wenn die Gerste erntereif am Feld stand. Die aus sprudelnden Quellen kristallklares Wasser schöpften, wenn sie im Gebirge wanderten.

Wie alt mochten sie wohl sein, diese Menschen? Hundertfünfzig, gar schon zweihundert Jahre? Der medizinische Fortschritt weicht die Grenzen auf.

 

Mit einer Handbewegung wischt der Redner die Erinnerungen zur Seite.

Sein Auftrag! Er muss seinen Auftrag erfüllen …. verd …

 

„Froh könnt ihr sein um das Glas reinen Wassers, das ihr vor euch stehen habt!“

 

Die Menge im Zelt klatscht und trampelt.

 

„Wir, an der Spitze der Partei, der Führung eures geliebten München und des ganzen Bayernlandes, wir haben dafür gesorgt, dass die Quellen nicht völlig versiegen, das Wachstum nicht komplett darnieder liegt!“

 

In den hinteren Reihen des Zeltes reißt sich eine Person den Mundschutz vom Gesicht.  Es handelt sich eindeutig um eine alte Frau. Ihre Stimme überschlägt sich fast, als sie ruft:

„Ihr an der Spitze? Wofür habt ihr euch denn eingesetzt, als es nötig gewesen wäre? Als das Wetter anfing, sich zu verändern? Als Hochwasser und Stürme sich abwechselten mit Trockenheit und Dürre? Als die Flüsse und Seen austrockneten und Brände den Schutzwald vernichteten?

Komm DU mir nicht mit solchen Sprüchen! IHR habt es doch zugelassen, dass Profitgier und Gewinnsucht  …“

 

Weiter kommt sie nicht. Drei kräftige Gestalten zerren sie aus dem Zelt, während sie weiterzetert:

 

„… nicht nur unser schönes Bayern, sondern die gesamte Welt …“

 

Die Zeltwände schließen sich wieder.

Doch im Zelt selbst herrscht nun Unruhe.

Aus dem allgemeinen Gemurmel schälen sich Wortfetzen.

 

„Die Frau hat Recht. Da gab´s Skandale!“

„Genau. Diesel oder so was, Luftverpestung.“
„Braunkohle.“

„Plastik.“

„Atomkraftwerke.“ „Ne, kannste nicht sagen, da wäre ja jetzt alles verseucht.“

„Na, isses doch auch! Schau mal nach Polen, nach Belgien, nach Frankreich!“ „Ja, schon, aber ist ja immer nur punktuell …“

„Ach so. geht uns dann nix an, oder?“

„Naja, ist doch nicht schlimm, wenn wir unser Gemüse nur aus´m Treibhaus beziehen.“

„Hä, welches Gemüse?“

„Ja, ok, seit das Grundwasser auch so knapp geworden ist …“

 

Der Redner auf der Tribüne versucht, sich im Tumult verständlich zu machen.

 

„Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger …“

 

„Ja, und überhaupt, man hat doch schon vor Jahrzehnten versprochen, dass die da oben das Menetekel erkannt haben! Dass endlich was unternommen wird!“

„Da hast du auch wieder Recht. Gerede, nichts als Gerede!

Buuuuuu!“

 

„Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!“

 

Der Redner hebt die Stimme, seine Hand rudert in der Luft.

„Beruhigen Sie sich! Wir sind doch hier zusammengekommen, um unsere Probleme zu lösen!“

 

Langsam kehrt im Zelt Ruhe ein.

 

„Da bin ich aber echt gespannt …. Was is´n jetzt das schon wieder?“

 

Die Zeltwände blähen sich auf.

Von der Theresienwiese dringen knatternde Geräusche ins Innere des Festzeltes.

 

Eine weibliche Stimme ruft:

„O mein Gott! Ein Tornado!“

 

Tumult bricht auf.

 

Der Redner bietet seine gesamte Stimmkraft auf.

„RUHE! Bewahrt Ruhe!

Das ist keine Naturgewalt!

Das ist ein Vermächtnis!“

 

Schlagartig verstummt das Geraune, es wird totenstill.

Wie? Ein Vermächtnis? Was soll das bedeuten?

 

Der Redner wischt sich den Schweiß von der Stirn.

 

„Wählerinnen und Wäää ….

Mitbürgerinnen und Mitbürger!

Ich erinnere euch an unseren Ministerpräsidenten Markus Söder,

Gott hab ihn selig.

Verlacht hat man ihn, verspottet.

Doch was ihm beschieden war, war eine lange Voraussicht.

Gab es doch damals so viele Möglichkeiten der Entscheidung nicht – entweder die Wirtschaft retten oder die Welt.

Das war die Alternative.

Die Wirtschaft war bekannt.

Die Welt groß , weit und auch weit weg.

Es ging doch um Bayern, es ging doch IMMER um Bayern.

Also, um die Wirtschaft …. ää … den Wohlstand … für´s Volk … eure Vorfahren ….“

 

Im Zelt erhebt sich wieder Geraune, aus einigen Ecken ertönt Gelächter. Es klingt höhnisch ….

 

Jetzt wird die Stimme des Redners fast bittend:

 

„Doch, gewiss, für eure Vorfahren. Haben sie euch nicht Wohlstand und Reichtum hinterlassen? Also … ää … zumindest vielen von euch?“


Rasch spricht er weiter, bevor sich der Widerspruch Bahn brechen kann:

 

„Wie auch immer.

Er hat uns, der Nachwelt, die Möglichkeit hinterlassen, eigene Wege zu gehen. Wir, seine Nachfolger, haben diese Möglichkeit genutzt,  erforscht und umgesetzt.

 

BAVARIA ONE

 

Eben ist das Raumschiff vor dem Zelt gelandet.

Es ist ausgebaut für tausend Personen und mit dem größtmöglichen Komfort versehen.

Weitere werden folgen.

Jeder, der möchte, wird an Bord gehen können. Aufbrechen zu einem neuen blauen Planeten.

Unsere Forschungen haben ergeben, dass der Uranus beziehungsweise einer seiner Unterplaneten geeignet sein dürfte. Frisch und fruchtbar.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

wir, eure Parteivorstände,  haben alles daran gesetzt, euch zufriedenzustellen.

Bavaria one gehört euch!  

Nutzt die Gelegenheit!“

 

Die Menge hört nicht mehr zu, stürmt ins Freie.

Tatsächlich, in der gleißenden Sonne steht eine riesige Weltraumschüssel, blank geputzt und mit offen stehenden Türen!

Die ersten drängen sich hinein.

O- und A- Rufe dringen aus dem Inneren nach draußen.

Magisch angezogen wird der Andrang größer und größer.

Plötzlich schließen sich automatisch die Türen.

Eine mechanische Stimme quäkt:

„Die Kapazitäten sind erfüllt. Bitte zurückbleiben.“

Unter den ungläubigen Blicken der Zurückgebliebenen verschwindet das Raumschiff im gleißenden Licht.

 

Der Redner steht noch immer auf der Tribüne.

Er wischt sich den Schweiß von der Stirn, diesmal erleichtert.

Sein Chef, der amtierende MP, wird zufrieden sein.

Heißt doch die Devise: „ Schaff Schwierigkeiten aus der Welt, so weit wie möglich und egal, um welchen Preis.“

Das Problem ist gelöst, vorerst.

Später wird man weiter sehen.

 

Der Redner zuckt zusammen, als ihn jemand sacht am Gewand zupft.

Es ist die alte Frau, die er vorhin aus dem Zelt hat entfernen lassen.

Treuherzig blickt sie ihn mit ihren hellen Augen an.

„Wohin bringt das Raumschiff unsere Mitbürger?“

Es ist diese blöde Frage, der er aus dem Weg gehen wollte.

Ja, woher soll er das denn wissen?

Dies war weder sein Auftrag noch liegt es in seiner Kompetenz.

Dass die Alte aber auch nicht mit eingestiegen ist ….

 

hb 12/18 V1