Von Raina Bodyk

Klein-Peter spürt sofort, dass im Wald etwas nicht stimmt. Heute schwingen die Bäume ihre Äste irgendwie anders, nicht im Takt mit dem Wind, sondern als ob sie sich gegen etwas sträuben würden. Die Tiere sind ganz aufgeregt, wie kopflos. Selbst die scheuen Rehe und Hirsche zeigen sich am helllichten Tag.

Als Peter abends seinem Vater, dem Förster, davon erzählt, nickt der nachdenklich und erzählt dem Jungen, wie Tiere Gefahren lange vor den Menschen erspüren und flüchten, so schnell sie können. Vielleicht wittern sie ja heute etwas Ungewöhnliches.

Plötzlich unterbricht er sich: „Oh sieh mal, Peterle, im Fernsehen zeigen sie gerade, dass ein Komet ganz nahe an der Erde vorbeifliegen wird. Morgen Nacht soll er zu sehen sein. Da müssen wir unbedingt wach bleiben!“

Sein Sohn ist begeistert. „Wir nehmen dein Fernglas mit raus, dann können wir ihn noch viel besser beobachten.“

Dann fragt er mit gerunzelter Stirn nachdenklich: „Meinst du, deshalb ist die Stimmung im Wald so seltsam?“

„Wer weiß, vielleicht spürt die Natur die Schwankungen in der Atmosphäre.“

 

In der Nacht hat Peter einen furchterregenden Traum. Ein Komet mit einem riesigen, feurigen Schweif rast mit wahnsinniger Geschwindigkeit auf die Erde zu. Der Junge spürt im Traum die drohende, tödliche Katastrophe. Schreiend und schweißnass wacht er auf.

Vater Sepp hat ihn gehört und eilt sofort zu ihm. Der Kleine schluchzt herzzerreißend: „Papi, jetzt weiß ich, warum die Tiere und Bäume heute so seltsam waren. Im Traum habe ich erlebt, dass der Komet auf die Erde stürzen wird. Er ist riesengroß, Er wird alles zerstören, auch uns. Ich habe solche Angst.“

Vater Sepp versucht, ihn zu beschwichtigen und tröstet: „Aber Peter. Es wird bestimmt nichts passieren! Du hast nur geträumt.“

„Papi, ich habe ganz, ganz doll gespürt, dass das passieren wird. Wir werden alle sterben.“

Der Vater spürt die Panik in der Stimme seines Sprösslings und will ihn beruhigen: „Junge, es kann gar nichts geschehen. Das weiß ich genau. Du musst nämlich wissen, es gibt einen Ausweg aus dieser Not, aber den kennen nur ganz wenige.“

„Wirklich? Können wir etwas tun?“ Peter wirkt schon merklich erleichtert.

„Verrat es aber nicht, sonst können schlimme Kräfte geweckt werden, die niemand beherrschen kann. Du hast doch schon Regenbögen gesehen. An deren Ende…“

„Ich weiß, da steht ein Kessel voll mit Gold!“

Sepp senkt seine Stimme zu einem geheimnisvollen Flüstern: „Oh nein. Dieses Märchen wurde nur aus Sicherheitsgründen erfunden. In Wahrheit wohnen dort die Geister der Natur. Sie streiten sich immer, jeder will den anderen übertreffen. Aber wenn sie sich einmal zusammentun, kann keine Macht der Welt sie aufhalten. Sie können sogar Kometen Einhalt gebieten.“

Klein-Peter bleibt vor Staunen der Mund offenstehen. Nachdem er seinen Vater noch mit vielen Fragen gelöchert hat, schläft er endlich beruhigt wieder ein.

 

Am nächsten Morgen wacht der Junge auf, als ihn ein Strahl der Sonne an der Nase kitzelt. Er läuft ans Fenster. Er sieht seinen Vater gerade im Wald verschwinden. Heute ist er besonders früh zu seinem Revier unterwegs.

Ist der Komet schon zu sehen? Nein! Peter wendet sich enttäuscht vom Fenster ab. Nachts muss es geregnet haben, denn ein Regenbogen leuchtet mit seinen leuchtenden Farben direkt in sein Zimmer.

Aha! Es ist also an der Zeit! Er packt seinen Rucksack, steckt Proviant, eine Flasche Wasser und das Taschenmesser, das sein Vater ihm geschenkt hat, ein. Mit ruhigen, gleichmäßigen Schritten, wie er es beim Wandern gelernt hat, folgt er dem Regenbogen.

Er wandert Stunde um Stunde. Er ist so furchtbar erschöpft, dass er am liebsten aufgeben würde. Aber das Schicksal der Erde ruht auf seinen Schultern! Er muss weiter!

Fuß setzt er vor Fuß. Er läuft mittlerweile wie ein Roboter, ganz mechanisch, ohne zu denken. Die Gegend wird ihm immer unbekannter. Fast will ihn der Mut verlassen. Da bemerkt er, dass der Regenbogen nicht mehr im Zenit über ihm steht. Er nähert sich anscheinend langsam seinem Ende. Das Stück wird er auch noch schaffen! Mit neuer Kraft geht es vorwärts.

 

Plötzlich bleibt er mit einem Ruck stehen. Direkt vor ihm hinter einer Biegung trifft der Regenbogen auf die Erde. Es herrscht ein seltsames Zwielicht. Auf einer Seite des bunten Bogens ist es stürmisch und düster, auf der anderen Seite sonnig, nur ein sanftes Lüftchen weht.

Auf der dunklen Seite stehen plötzlich drei riesige Gestalten vor ihm. Sie machen keinen sehr gemütlichen Eindruck. „Wer bist du denn?“, dröhnt einer.

„Ich bin der Peter und muss die Erde retten. Ihr sollt mir dabei helfen!“

„Hohohoho! Leute, habt ihr das gehört? Er braucht Hilfe, muss die Erde retten. Hohoho!“

Aber Peter ist so weit gekommen, er wird sich jetzt ganz bestimmt nicht entmutigen lassen. Nicht von denen da! Er schluckt entschlossen und erklärt – anfangs mit zittriger Stimme, dann immer entschiedener – „Ihr müsst mir helfen! Mein Papa hat gesagt, dass ihr das könnt. Er hat auch gesagt, dass ihr nur aufhören müsst, euch zu streiten, dann seid ihr mächtiger, als man sich vorstellen kann.“

Die drei Herren fühlen sich sichtlich geschmeichelt und kichern Der erste mit den zerzausten Haaren und dem wehenden Mantel stellt sich mit tiefer, dröhnender Stimme vor: „Ich bin der Sturm. Ich heule und sause und poltere.“

Der zweite grollt aus einem Mund, der fast von einem Ohr zum andern reicht: „Ich krrrrache und wüte und grrrrolle. Ich bin der Donnerrrrr.“ und rollt einschüchternd das „r“.

Der Letzte hat eine hohe, spitze Stimme, die Peter in den Ohren weh tut: „Ich bin der Blitz. Ich knistere und zische und zacke. Du Knirps, wo drückt denn der Schuh?“

Peter fühlt sich ganz klein bei so viel geballter Kraft: „Ein Komet wird auf die Erde stürzen und alles zerstören. Nur ihr könnt das verhindern.“

„Woher willst du denn wissen, dass so eine Katastrophe bevorsteht?“, dröhnt der Sturm.

„Ich habe es geträumt und die Tiere und Bäume im Wald sind so anders als sonst.“

Der Blitz nickt zackig wie ein Soldat: „Ja, verstehe. Der Traum ist das Tor zur anderen, rätselhaften Seite unseres Seins, in der vieles klar wird, was wir im Wachen nicht erkennen. Klug, wer sie zu deuten weiß!“ Sprach da etwa Anerkennung aus seinen Worten?

„Wir würden dir gern beistehen, weil du so tapfer bist und uns nicht fürchtest. Aber wir brauchen die Unterstützung von denen da drüben, den ‚Damen‘, die immer sooo zart besaitet und empfindsam sind! Hahaha.“, zeigt der Donner nach drüben.

Die Riesen erklären dem Jungen: „Es gibt nur die eine Möglichkeit. Du musst auf die helle Seite des Regenbogens gehen und mit unserer Konkurrenz, hihi, sprechen, der Sonne, dem Frühlingswind, der Flora und der Fauna.“

Mit frischem Eifer macht sich Peterle sofort auf den Weg. Was für ein Unterschied! Hier weht ein weicher, warmer Wind. Es ist ganz hell und duftet nach Blumen. Vier grazile Gestalten nähern sich. Auch ihnen erklärt er die Notlage und bittet sie, ihm zu helfen.

„Da brauchen wir aber die von drüben!“, säuselt der Frühlingswind mit gekrauster Nase. „Die sind so laut und wild!“ Offensichtlich halten sich die gegenseitigen Sympathien sehr in Grenzen.

„Nein, die sind richtig nett. Die poltern nur. Sie wollen auch helfen.“, korrigiert Peter.

Der Wind fühlt sich pikiert. Er mag es gar nicht, berichtigt zu werden. Aber alles in allem: die Erde muss weiter existieren. Das ist ja auch im eigenen Interesse. Wem soll er sonst um die Nase wehen, wenn es keine Menschen mehr gibt?

Und so geschieht es, dass sich die Mächtigsten der Erde zusammentun. Nach einigen kleineren Scharmützeln einigt man sich und sie tüfteln eine Strategie aus. Alle Kräfte müssen mobilisiert werden, um einen Schutzschirm um den Heimatplaneten zu legen.

 

Der Sturm schlingt sich um rund um die Erdkugel und wütet als Orkan so wuchtig wie noch nie, aber diesmal nach oben ins All. Blitz und Donner begleiten ihn und tun das ihre. Der Sturm will mit riesigem Winddruck aus Richtung Erde jede Annäherung des Kometen verhindern. Das Gewitter plant das gleiche mit seinen blitzenden, elektrischen Entladungen. Dame Flora setzt die ungeheuren Energien der Pflanzen, die diese beim Wachsen, Blühen und Fortpflanzen produzieren, als Druck nach oben ein. Frau Fauna veranlasst alle Tiere an Land und in der Luft, sich mit ihren Stimmen bemerkbar zu machen, zu brüllen, zu kreischen, zu tirilieren, zu bellen, zu miauen, zu muhen. Es sind auch solche Stimmen dabei, die Menschen gar nicht hören können, so wie die Gesänge der Fische. Der wahnsinnige Lärm schickt immense Schallwellen ins All. Die Sonne sendet am laufenden Band Hitzestrahlungen Richtung Komet.

 

Gegen all diese vereinten, mächtigen Kräften kann sich der Komet nicht mehr auf seiner Laufbahn halten. Der Druck, die Energiestrahlen und die Wutausbrüche der Sonne zwingen ihn zur Änderung seiner Bahn.

 

Klein-Peter, die nur scheinbar so zerbrechlichen Damen und die bärbeißigen Riesen jubeln und lachen, springen vor Freude in die Luft. Sie haben es geschafft! Die Katastrophe ist an ihnen vorüber gegangen!

Vor Begeisterung vergessen die mächtigen Herrschaften sogar zu streiten. Aber die Einigkeit hält nicht lange. Und so wetteifern sie in kürzester Zeit schon wieder, wer von ihnen am meisten zum glücklichen Ende beigetragen hat.

Peter schüttelt den Kopf. Ihm scheinen diese Herren und Damen trotz ihrer unendlichen Kräfte nicht besonders klug.

 

Die Sonne bietet dem Jungen an, ihn auf einem ihrer Strahlen nach Hause zu schicken.

So kommt es, dass der Junge schlafend zuhause im Bett liegt, als ihn Vater Sepp am nächsten Morgen wecken will.

„Peterle, es ist Zeit aufzustehen. Die Schule wartet nicht. Von dem gewaltigen Sturm und Gewitter letzte Nacht hast du sicher nichts mitbekommen. Sogar die Tiere haben geschrien, so wild und ungezähmt war die Nacht. Aber du hast schon so tief und fest geschlafen, als ich nach Hause kam, dass ich dich nicht wecken wollte. Übrigens brauchst du keine Angst mehr vor dem Kometen haben. In der Zeitung steht, er hat seinen Kurs geändert.“

„Ich weiß!“, gähnt der Junge. Er ist sooo müde.