Von Miklos Muhi

Emmerich wurde vor vier Monaten mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet, für »Tapferkeit vor dem Feind«. Das war kurz nach dem das Unternehmen Barbarossa losging. Er war damals der Meinung, dass keine besondere Tapferkeit erforderte, einen Schlafsaal voll überrumpelter und aus dem Schlaf gerissenen russischen Soldaten gefangenzunehmen, aber niemand hörte auf ihn. Man brauchte die neuen Helden.

 

Anfangs trug er es mit Stolz. Als Träger wurde viel von ihm erwartet, unter anderen, dass er sich für die Sondereinsätze meldete. Nach allen, was ihm erzählt wurde, bedeutete das einige Stunden Einsatz und frei für den Rest des Tages. Schnaps gab es auch dafür, in Hülle und Fülle. Das klang nicht schlecht.

 

Sie fuhren ins nächste Dorf und sammelten Juden auf LKW-s auf. Es hieß, jetzt würde Lebensraum für deutsche Siedler geschaffen, deswegen müssten die Juden umgesiedelt werden. Die Offiziere grinsten immer so komisch, wenn sie das sagten.

 

Auf einem Waldweg bei einer Lichtung hielten sie an und alle stiegen aus. Den Juden wurden Spaten ausgehändigt. Ein Offizier befahl ihnen ein großes Loch zu graben. Bald war das Loch groß und tief genug. Emmerich sah erschrocken zu, wie die Menschen ins Loch steigen mussten. Weitere Befehle ertönten. Der letzte hieß »Feuer!« Er schoss mit.

 

An mehr konnte er von dem Tag nicht erinnern, denn er betrank sich bis zum Filmriss schon auf dem Rückweg.

 

Für den nächsten Einsatz wollte er sich nicht melden. Eine Wahl hatte er aber nicht, denn ein Träger des Eisernen Kreuzes war kein Feigling, der seine Kameraden im Stich ließ. So führte er die Befehle wie eine schlecht geölte Maschine aus und strengte sich besonderes an, nicht nachzudenken. Der Schnaps danach half zu vergessen. Selbst der Kater war besser, als sich zu erinnern.

 

Beim letzten »Sondereinsatz« war er unaufmerksam. Das Ganze verlief, wie von den Vorgesetzten erwartet, nur für ihn ging alles endgültig schief.

 

Unter den aufgesammelten Menschen befand sich ein alter Mann, mit langem, weißen Bart. Aus dem Umgang der anderen mit ihm vermutete Emmerich, dass er der Rabbiner der Gemeinde war. Der Mann schaute ihm zweimal in die Augen und er ließ es zu.

 

Das erste Mal passierte es, als der Greis vom LKW gestiegen war. In seinem Blick lag die Gewissheit des eigenen Schicksals, aber kein Bisschen Groll oder Hass.

 

Das zweite Mal war kurz vor dem Tod des Rabbiners. Er hob, im Loch stehend, seinen Blick und lächelte Emmerich an. Emmerich zielte auf seinen Kopf, um bei seinen Kameraden Eindruck zu machen oder damit der Alte nicht unnötig leiden musste. Ganz sicher wusste er es nicht mehr.

 

Ab dem Moment wurde das Gewicht des Eisernen Kreuzes unerträglich. Als gestern Abend wieder Menschen zusammengetrieben, ins Lager gebracht und Freiwillige für den Sondereinsatz am nächsten Tag gesucht wurden, konnte und wollte er das Gewicht nicht länger tragen.

 

Die Gefangenen waren für die Nacht auf einem mit Stacheldraht umzäunten Feld zusammengepfercht, ohne Schutz gegen Regen und Kälte. Emmerich übernahm den Wachdienst.

 

Der Einsatz war für fünf Uhr Morgens geplant. Um drei öffnete er die Tore. Mit Gesten und den paar Brocken Russisch, die er aufgeschnappt hatte, ließ er die Gefangenen wissen, dass sie in aller Stille abhauen sollten. Die Männer nahmen vor ihm den Hut ab und manche Frauen küssten ihm die Hand. Um halb vier waren alle in der Nacht verschwunden.

 

Nun musste Emmerich handeln, bevor die anderen merkten, was los war, und die Suchtrupps aufgestellt und losgeschickt wurden.

 

Zuerst ging er zum Hintereingang des Munitionslagers. Im Schatten wartete er, bis die Wachsoldaten vorbeigingen und brach die Tür lautlos auf.

 

Er nahm ein Paket Plastiksprengstoff, steckte einen Zünder hinein und biss auf den herausragenden Aluminiumstift. Das leise Krachen verriet ihm, dass die Glasampulle im Inneren zerbrochen war. Er legte das Paket mit dem Zünder zu den anderen. Als er das Munitionslager verließ, schloss er die Tür nicht. In drei Minuten würde sich niemand um die Tür scheren.

 

Er eilte zum Haus, wo der Ortskommandant wohnte. Leutnant Josef Stark war ebenfalls Träger des Eisernen Kreuzes und des goldenen Parteiabzeichens der NSDAP, ein überzeugter Nazi und ein lausiger Soldat. Er holte eine Handgranate vom Gurt, zog den Stift und trat die Tür ein.

 

Leutnant Stark schrak auf und öffnete die Augen. Er war noch benommen von der gestrigen Sauferei mit den anderen Offiziere und versuchte das Ganze zu begreifen.

 

Emmerich lächelte beim sehr hellen Blitz, dem die ewige Dunkelheit folgte.

 

Version 2