Von Anne Mation

Mit seinem beschmiertem Unterarm, wischte sich der hünenhafte Frank, über die schweißnasse Stirn.

„Hallo Frieda.“ begrüßte er freundlich die dicke Nashorndame. Ihr junges Kalb tollte glücklich, unter ihren wachenden Augen, umher.

„Hach, so eins hätte ich auch gerne, meine Schöne.“ seufzte er und stellte die Mistgabel beiseite. Frieda schnaubte.

„Keine Sorge. Ich meine doch ein Menschenbaby.“ Frank zwinkerte der Mama zu und begann die Futterration für die Dickhäuter einzuteilen.

„Aber Lisa meint, es geht nicht.“ Er schnitt den tropfenden Salat zurecht.

„Sie meint, wir haben zu wenig Geld…“ Dazu gab er einige Nashornkräcker. Frieda liebte das.

„Recht hat sie ja. Wie sollen eine schöne Bäckerin und ein schmutziger Tierpfleger eine Familie ernähren?“

Ihre Worte klangen noch immer in seinen Ohren. Wir haben doch uns.

Das war wie ein Weckruf, ein Hilfeschrei. Lisa hatte den Wecker gestellt und Frank hörte es klingeln. Er musste etwas tun! 

Frank mischte alles zusammen, in den großen Nashorntrog.

„Da hat mich doch gestern der Tim angerufen.“ Frank hievte die Futterluke nach oben und schob den Nashörnern ihr Futter hin. Gierig stürzten sich beide darauf.

„Er hat mir einen Job angeboten. Ich meine nur einen kleinen, so für zwischendurch. Aber das ist eine blöde Idee. Ach keine Sorge Frieda, natürlich bleibe ich bei dir.“

Lange beobachtete Frank noch die kleine Familie durch die beschmierte Panzerglasscheibe. Er dachte an Tim, den er seit seiner Kindheit kannte. Im letzten Jahr kam er frei, nachdem er fünf Jahre, wegen des Überfalls auf ein Waffengeschäft, im Gefängnis gesessen hatte.

Er dachte daran, wie liebevoll Lisa ihre kleine Nichte, auf den Arm genommen hatte und wie süß ihre Sommersprossen doch, auf ihrem eigenen Baby, aussehen würden.

Noch am selben Abend, traf Frank sich mit seinem Freund in ihrer Lieblingskneipe, dem Push Out.

 

Tim verspätete sich. Er erzählte von seiner Zeit im Knast. Er lachte, bei den Gedanken an das Schwimmbad, den vielen Büchern und dem Fitnessraum.

So schön Tim es auch beschrieb, eingesperrt zu sein würde Frank seinem Familientraum nicht näher bringen.

„Im Krankenhaus isses Essen schlechter. Kannste glauben!“ beteuerte er stolz.

„Los nimm mal nen Schnappes mein Guter! Du bist ja steifer als meine alte Liege.“

Nach vier Tequila, konnte nun auch Frank richtig mitlachen. Die einnehmende Art seines Freundes, hatte ihn schon immer fasziniert. Es war, als nehme ihm Tim alle Grenzen.

Wer sagt denn, das man sie schnappt?

Um zweiundzwanzig Uhr, torkelte Frank, an Tims Seite, lachend die Straße entlang. An der ersten Ecke, direkt vor der Polizei, hielten sie sich feixend mit lauten Pssts zum Schweigen an.

„Pah! Die merkn doch eh nixs!“ Ein halbes Dutzend Kurze, hatten den Mut in Frank geweckt.

Tim hingegen blieb bewusst nüchtern. In dieser Nacht, wollte er keinen Fehler begehen. Seine grünen Augen blitzten. Ein Raub war wie Pokern. Zu vierzig Prozent Glück, zu sechzig Prozent gutes Spiel. Doch wenn man ein gezinktes Ass dabei hatte, erhöhten sich die Chancen.

 

Den Tag nach dem Bruch, meldete sich Frank krank.

Dafür schaufelte er sich zu Hause, einen nashorngroßen Haufen Gedanken zusammen.

Gestern Abend, hatte ihn der Alkohol verzaubert. Heute spürte er, dass es ein Fluch war. Mit einem Eimer auf dem Schoß, saß er vor dem Fliesentisch. Darauf lag eine Discountertasche, mit einem Häufchen Schmuck.

Gegen das wahnsinnige Kopf- und Herz-pochen, kippte Frank einen ordentlichen Schluck Whisky.

Vor seinen Augen verschwamm die Realität mit den gestrigen Bildern. Immer wieder, blitzte ein gierig grinsender Tim vor ihm auf. Er hob seinen schwarzen Rucksack vor Franks Nase.

Noch ein Schluck Whisky.

Dann zog Tim aus dem Rucksack zwei schwarze Skimasken.

Das Glas war leer. 

Schnell rieb Frank sich die Augen und zwang sich, an etwas anderes zu denken.

Es half nicht. Wieder und wieder holte der verzerrte Tim in seinen Gedanken den Revolver hervor. Frank sah ihn die Tür aufbrechen und in den Laden stürmen.

Noch ein Glas.

Niemals mehr würde er den überraschten Blick des Goldschmieds vergessen, der aus dem Hinterzimmer gelaufen kam. Nur Tim schien auf diese Situation vorbereitet zu sein.

Er hatte den Mann gefesselt und soviel Schmuck wie möglich, in Einkaufstüte und Rucksack gestopft.

Der fünfte Whisky war zu viel.

Vor dem reuevollem Riesen drehte sich alles. Er konnte gerade noch den Eimer beiseite stellen, dann übermannte ihn der Alkohol völlig.

Eine Stunde später klackte das Türschloss. Lisa sah im Wohnzimmer den großen Mann hilflos im eigenen Erbrochenen auf der Couch liegen.

Sie kümmerte sich um ihn, mit stechendem Herzen und nassen Waschlappen.

Als Frank wieder wach wurde, lag er seitlich auf einer Luftmatratze, neben der Couch. Sein Schädel brummte, seine Schulter schmerzte. Er stank.

Mit einer dampfenden Tasse und einer Decke auf dem Schoß, saß Lisa in ihrem Sessel. Tränen rollten ihr geschwollenes Gesicht hinunter.

„Pack deine Sachen und nimm diese Tasche mit, wenn es das ist, was du brauchst. Aber dieses Leben will ich nicht.“

 

Eine Woche später saß Frank in seinem neuen Zimmer, bei Tim.

„Mein Leben ist ein Hamsterkäfig.“ seufzte er.

Tim schüttelte den Kopf. „Sorry Bro. Aber ich habe fünf Jahre in einem Hamsterkäfig zu gebracht. Das hier ist keiner. Immerhin hast du keine Gitter an den Fenstern.“

Frank zwang sich zu einem Lächeln.

„Jedenfalls noch nicht.“ setzte Tim nach. Er starrte seinem Freund direkt in die Augen.

„Deine liebe Lisa konnte nicht mit einem Räuber zusammenleben und bald kann sie es nicht mehr mit ihrem Wissen.“

„Blödsinn.“ brummte Frank.

„So habe ich auch gedacht. Bis mich Josephine damals verraten hatte. Sie wollte unbedingt, dass ich eine Selbstanzeige mache.“ Er schnaubte. „Hätte mir zwei Jahre erspart!“

Um weiteren Fragen aus dem Weg zu gehen, stand Tim von dem abgesessen Ledersofa seines Opas auf. „Tu dir den Gefallen und halt Lisa davon ab, dir das Gleiche anzutun.“ Matt legte er dem Hünen im Vorbeigehen eine Hand auf die Schulter.

„Ach, und zieh mich nicht mit rein. Alles klar? Du weißt schon, Räuberehre.“ zwinkerte er und schaltete den Fernseher an.

 

Nur eine halbe Stunde später, stand Frank vor seiner alten Haustür. Hier wo er die letzten fünf Jahre lang gewohnt hatte. Arm, aber glücklich.  

Sein Kopf rauschte bei dem Gedanken, gleich mit ihr zu reden. In fünf Minuten, musste Lisa das Haus verlassen.

Der hohe Altbau sah von außen stark zerfressen aus. Die Zeit hatte an ihm genagt und kein Mensch sich darum gekümmert. Nur die Wohnung im Inneren hatte Frank schön saniert.

Das war sein großes Projekt.

Wehmütig sah er zu Lisas rotgestreiftem Fahrrad, mit dem sie immer zur Arbeit fuhr.
Seine Handyuhr zeigte, 14:05 an. Lisa war schon vier Minuten über der Zeit. Unpünktlichkeit passte nicht zu ihr.

Ob die Kollegen von der Arbeit schon wussten…? Egal! Die Sorge in ihm war stärker als die Pein. Er rief an.

„Hallo? Regina? Ja, hier ist Frank. Ich mache mir Sorgen um Lisa. Ist sie heute nicht auf Arbeit?“

„Ja, ich meine nein. Ähm, hör mal, ich weiß nicht, was ich dir sagen darf. Aber du bist ein Lieber. Lisa hat heute für Mariella die Spätschicht übernommen. Sie wollte etwas in der Franzstraße erledigen, glaube ich. Um äh… viertel nach drei. Ohwei, schon so spät! Du… mach`s gut Frank. Und alles Liebe! Das tut mir echt leid mit euch beiden.“

Frank dachte nach. In der Franzstraße war das Push Out. 

„Aber das öffnet doch erst um fünf…“ überlegte er.

Dann traf es ihn wie ein Schlag: Sie wollte zur Polizei!

Er stürzte zu Lisas Fahrrad und gab im Zahlenschloss ihre übliche Kombination ein.

„23… nein 213 und die 4. Ja!“ Es klickte.

So schnell er konnte, traten seine Beine, in die Pedale des viel zu kleinen Rades.

Die Sonne blendete seine Augen. Der steile Berg, Richtung Innenstadt, wuchs immer höher. Er japste wie ein Büroarbeiter nach einem Marathon.

Wie war Lisa wohl unterwegs? Ihrer beste Freundin fuhr sie bestimmt. Sie brauchte wohl jemanden, der ihr Mut zusprach.

Alle würden es bald erfahren…

Endlich auf dem Berg angekommen, fuhr das Rad fast von alleine.

Dann war er da, in der Franzstraße.

Es war, als wollte er freiwillig seinen Gang zum Henker ohne eine letzte Mahlzeit antreten.

Die Kneipe hatte tatsächlich geschlossen. Auf dem leeren Parkplatz schloss er das Rad seiner Liebsten ab.

Die letzten Meter zum großen Eingangstor lief er.

Lisa war nirgendwo zu sehen.

Er atmete tief durch. „Jetzt oder nie.“

Erhobenen Hauptes ging er zur Tür hinein. Sein Herzschlag war so laut, dass er selbst nicht hören konnte, was er nun sagte: „Ich möchte eine Selbstanzeige machen.“

Die Dame hinter dem Informationsschalter war überrascht, aber zuvorkommend. Sie bat ihn gleich herein. Dort war der Polizist, der ihm seine Rechte verlas. Dann gab es ein Formular und noch eins. Alles lief so ab wie in einem schlechten Film, den er nicht einmal zum Einschlafen schauen wollte.

Am Ende ging er, mit Begleitung, wieder Richtung Eingang. Da sah er Lisa aus einem Taxi steigen. Aufgeregt betrat sie das Revier.

„Es ist zu spät.“ Sagte Frank und lächelte ihr zu. „Ich habe es gemacht.“

Seine Exfreundin sah ihn mit großen Augen an. Das war das erste Mal, dass sie sich seit der Trennung sahen.

„Ich habe mich selbst angezeigt, meine Prinzessin. Vielleicht bist du ja in drei Jahren nicht mehr sauer auf mich.“

Lisa stand der Mund vor Erstaunen offen. Sie schritt auf ihn zu und nahm zitternd seine Hand.

„Aber Frank, warum hast du das getan?“

Mit gerunzelter Stirn versuchte er ihre Gedanken zu lesen. „Na, damit du es nicht machen musst. So ist es leichter für uns beide.“

Lisa schüttelte geschockt den Kopf. „Aber Frank, ich könnte dich doch niemals verraten!“.

„Spiel kein Spiel mit mir. Regina hat mir von deinem Termin erzählt.“

„Nein nicht doch. Das hast du missverstanden! Mein Termin war nicht bei der Polizei, sondern bei Alex. Dem Besitzer vom Push Out! Er hat mir einen Zweitjob angeboten.“

Frank wurde schlecht.

„Ab… aber warum bist du dann hier? “

„Weil jemand mein Fahrrad geklaut hat.“