Von Eva Fischer

Die Sache mit Heinz ist schon lange her. Ich hatte sie vollkommen vergessen, bis ich heute Nacht aufwachte, weil ich auf seinem Schoß saß. Ich spürte, wie sich seine rotblonden Bartstoppeln in meine Haut bohrten. Ich roch seinen biergeschwängerten Atem. Ich wollte nur weg wie damals schon, als ich ein Kind war.

Heinz ging nie in die Kirche, auch nicht an einem Sonntag, stattdessen suchte er das Wirtshaus auf. Dort wurde er dann von seiner Frau Hedwig nach der Messe abgeholt. Wir waren zu Besuch bei meiner Großtante und wollten auch Heinz Hallo sagen, wenn es sein musste im Wirtshaus. Die Augen von Heinz leuchteten, als er mich sah. „Da ist ja das Madl! Groß bist du geworden!“ Er packte mich und setzte mich auf seinen Schoß. „Komm, gib dem lieben Onkel ein Busserl!“ Das tat ich definitiv nicht, sondern schaute hilfesuchend meine Mutter an. 

Sie zuckte unmerklich mit den Schultern, als wolle sie sagen: „Hab keine Angst. Der beißt nicht.“

„Ich denke, wir gehen mal an die frische Luft, Lenal“, kam mir mein Vater zu Hilfe. Sofort rutschte ich von des Großonkels Knien. Das schien mir hier alles nicht geheuer. Ich war sechs und hatte noch nie ein Wirtshaus von innen gesehen. Ich fand, es roch schlecht. Die Menschen hatten so rote Augen, als ob sie zu lange unter Wasser getaucht hätten. Sie redeten alle durcheinander und lachten laut. Da war mir der Duft von Kerzen und Weihrauch schon angenehmer, der Klang der Orgelmusik. Ich bewunderte die Engel, die mich freundlich vom Altar herab anlächelten. 

 

„Heinz ist kein schlechter Mensch“, erzählte mir meine Mutter später.

Heinz war der Jüngste von drei Brüdern. Im Märchen sind die Jüngsten die wahren Helden. Heinz zählte nicht dazu. Sein ältester Bruder Anton verliebte sich in die schönste Frau des Dorfes. Leider war sie das Dienstmädchen, also nicht standesgemäß. Seine Mutter entließ Charlotte. Das ließ Antons Liebe nicht erlöschen. Er verzichtete auf sein Erbe als Ältester, ging in die Stadt, erlernte ein Handwerk und legte seiner schönen Charlotte die schönsten Schuhe zu Füßen. Von den Frauen des Dorfes wurde er heimlich als Held gefeiert, auch wenn seine Mutter zeit ihres Lebens nichts mehr von ihm wissen wollte.

So erbte der zweite den Hof, Rudolf, mein Großvater. Er trug ein Ziegenbärtchen, das er sorgfältig pflegte, denn es unterstrich seine Stellung im Dorf. Er besaß den größten Hof und kümmerte sich auch um die Angelegenheiten der anderen Dorfbewohner, die ihn gerne um Rat fragten. Rudolf war kultiviert, was schon seine Klavier spielende Frau bewies. Klassische Musiktöne in einem Dorf! Wer hatte davon schon gehört!

Was blieb da noch für Heinz übrig? Er durfte im Schatten seines beliebten Bruders stehen und für ihn auf dem Hof arbeiten. Seine Eltern lebten ebenfalls auf dem Hof und schubsten ihn wie einen dummen Jungen herum. Hatte er in der Taufe den ehrenwerten Namen Heinrich erhalten, so nannte man ihn nur noch Heinz. Heinz komm mal hierher! Heinz kannst du mal eben anpacken! Doch Heinz träumte von seinem eigenen Hof und von einer schönen Frau. Die Nachfolgerin von Charlotte hatte zwar nicht so edle Gesichtszüge, sondern ein rundes Gesicht und einen prallen Körper, der Heinz allerdings durchweg gefiel. Sie hieß Hedwig und war bereit, mit Heinz den Bund der Ehe einzugehen, allerdings nur, wenn er selbst einen Bauernhof erwarb. Wie sollte er das schaffen? Er bekam noch nicht mal einen Lohn für seine Arbeit. Es blieb ihm nichts anders übrig, Heinz musste sein Glück abseits seines Elternhauses suchen. Er verdingte sich auf einem anderen Bauernhof, in einem anderen Dorf. Die Arbeit ist überall gleich, stellte Heinz fest, auch wenn er jetzt einen schmalen Lohn dafür bekam. Die Sonntage verbrachte er im Wirtshaus und so war das mühsam erarbeitete Geld gleich wieder futsch. In einem Hinterzimmer wurden Karten gedroschen. Heinz gesellte sich dazu und brachte sein restliches Geld zum Einsatz. Es geschah das erhoffte Wunder. Heinz konnte seinen Einsatz verdoppeln. Leider war ihm Fortuna nicht immer hold und er machte Schulden. Nachts grübelte er, wie er an mehr Geld kommen konnte, denn er war fest überzeugt, dass ihm eine Glückssträhne bevorstand. Sein Vater lieh sich schon mal Geld vom reichen Gutsherrn. An ihn wollte er sich wenden und sein Glück probieren. Der Name seiner Familie war sein Bürge und er bekam tatsächlich die gewünschte Summe. Was einmal klappt, klappt auch ein zweites Mal, dachte Heinz. Allerdings schien es ihm schlau, die Kreditgeber zu wechseln. Sein Familienname reichte, um überall anschreiben zu lassen. Leider blieb die erwünschte Glückssträhne im Spiel aus. Dafür neigte sich das Jahr dem Ende zu und sein Vater staunte nicht schlecht, als er aufgefordert wurde, die Schulden seines Jüngsten zu begleichen. Zornentbrannt tilgte er zwar die Schulden, ließ aber öffentlich verkünden, dass er seinen nichtsnutzigen Sohn aus der Familie verstoße und in Zukunft nicht mehr für seine Schulden aufkomme.

Eines Tages fand meine Großmutter ihren Schwager am Wegesrand liegen. Heinz war abgemagert, seine Kleidung bestand nur noch aus Lumpen. Sein Körper zeugte davon, dass er verprügelt worden war. Schnell schickte sie nach einem Knecht, der ihn in seinen heimatlichen Hof bringen und nach einem Arzt, der ihn untersuchen sollte. Die Heimkehr des verlorenen Sohnes spielte sich jedoch nicht wie im Neuen Testament ab. Es wurde kein Freudenfest gefeiert, sondern meine Großmutter wurde wegen ihrer Gutmütigkeit, ja Dummheit gescholten.

 „Wollt ihr euren jüngsten Sohn einfach verrecken lassen?“, empörte sie sich lautstark. „Wenn das so ist, dann gehe ich. Mit solchen hartherzigen Menschen kann ich nicht länger unter einem Dach leben!“

Mein Großvater liebte seine Frau und wollte sich keinesfalls von ihr trennen. Er spürte, dass sie es ernst meinte. Also redete er mit Engelszungen auf seine Eltern ein.

Heinz wurde von meiner Großmutter gesund gepflegt. Man besorgte ihm eine Ausbildung zum Maurer. Das war ein krisenfester Job, mit dem er zwar keine großen Sprünge machen konnte, aber Hedwig war ähnlich glücklich wie meine Großmutter über die Rückkehr von Heinz, so dass sie ihn ehelichte. Leider bekam sie zum Bedauern ihres Mannes keine Kinder, was erklärte, warum er mich so gerne abbusseln wollte. Hedwig hielt auch das von Heinz verdiente Geld zusammen. Während sie zur Sonntagsmesse ging, teilte sie ihm so viel Mark zu, wie zwei Bier damals kosteten oder waren es Pfennige?

 

Ich halte das Foto in der Hand, das ich gestern zufällig auf dem Speicher gefunden habe, als ich mich auf die Suche nach Sperrmüll begab.

Meine Urgroßeltern thronen stolz auf ihren Sesseln. Sie sind schwarz gekleidet und betrachten streng den Zuschauer. Links neben ihnen lächelt Anton in die Linse. Charlotte ist natürlich nicht auf dem Bild. Wenn ich ihn anschaue, dann bin ich ergriffen. Er ist allein vom Äußeren genau mein Typ. Na ja, ich bin halt auch eine Romantikerin.

Rechts von seinen Eltern steht Heinz. Er hat das Gesicht abgewandt. Irgendwie erinnert er mich an einen Pumuckl, der gerne Streiche spielt, und doch eine sensible Seele hat. 

Hinter ihren Eltern stehen meine Großeltern. Mein Großvater mit dem Ziegenbärtchen ist fesch gekleidet. Er schaut frech in die Kamera. Seine Frau trägt eine weiße, hochgeschlossene Spitzenbluse. Das Weiß sticht hervor bei den sonst dunklen Farben. Ich habe meine Großeltern nie kennengelernt. Sie starben lange vor meiner Geburt. Die Frau in Weiß erinnert mich daran, dass es nicht nur Engel aus Stein gibt.

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