Von Jochen Ruscheweyh

Wir ziehen durch die Altstadt.

Ich halte mich dicht hinter Julia und Tarek, die pausenlos SMS versenden.

Die Vernetzung funktioniert wie ein lebendiger Organismus.

Seit zwei Monaten bin ich Teil davon.

Marschiere, pöble, hetze, pfeife, schreie, stachele an.

 

 

 

Nachbesprechung bei Julia.

An der Wand ein Che-Poster links daneben Göbbels, rechts Sylvester Stallone.

Ergibt so wenig Sinn, wie die Floskeln die Julia vorplappert.

Oder was Tarek von sich gibt.

Ein illegal eingewanderter Pakistani, der einer Minderheitenreligion angehört und Juden für alles verantwortlich macht, von Umweltverschmutzung bis zur verlorenen WM.

Wohnt schräg über Julia im Haus der deutschen Emotionen.

Manchmal kocht er für uns, scharfe Linsengerichte mit Fladenbrot.

Er nennt es Kanackenfraß.

Ein Running Gag, der immer gut ankommt.

Deswegen benutzt er ihn inflationär.

 

Als es um ein neues Plakat geht, werfe ich als Vorschlag ein: Der Deutsche hält die Klappe, der Ausländer die Knarre.

Kein Glanzlicht der Rhetorik, aber Tarek findet es brillant.

Auch Julia fährt sofort darauf ab.

Armin, Ladenleiter eines EDEKA-Marktes, klopft mir auf den Rücken.

Sie nennen mich Rudi, Rudi Lutschke. In Anspielung auf Rudi Dutschke, was noch viel weniger Sinn ergibt.

Tarek fängt wieder an, über seine Connection nach Pakistan zu sprechen, dass schon bald jemand rüberkommt, der Pläne und Material für Bomben mitbringt. Julia, Armin, Betti, Andreas und ich bestärken ihn, an der Sache dran zu bleiben. Nach zwei Stunden sind alle weg und ich der Letzte, der mit Julia dasitzt.

 

Noch eine Viertelstunde später ist der streng geflochtene Zopf passé, Julia liegt in H&M Shirt und Nike-Leggins neben mir und wir knutschen, wie jeden Abend seit drei Wochen.

Nur Knutschen.

Julia hat keinen Sex vor der Ehe.

Sagt sie.

Im Hintergrund läuft der Ami-HipHop, den Julia so mag, wo Typen davon singen, in wen sie ihre schwarzen Schwänze als nächstes stecken.

Sie kichert wie ein Teenie, als ich die Pfeife aus meiner Tasche hole.

Ein paar Züge später ist sie weggedämmert.

Soviel THC Blocker, wie ich intus habe, könnte ich wahrscheinlich halb Jamaica wegrauchen, aber meine Mission ist eine andere.

Ich decke Julia zu und klappe ihren Laptop auf.

 

 

 

Diesmal bin ich weiter vorne und rufe dem rotgesichtigen Rentner, der Merkel aus- und Nahles einweisen lassen will, zu, dass er Recht hat.

Ermuntere seine Frau, sich aktiv in unseren Volkszorn-Ausbruch einzubringen und helfe ihr, die wahrscheinlich erste Biotonne ihres Lebens umzuwerfen.

Sie giftet, dass die pädophilen Grünen ihren Scheiß selbst wegmachen können.

Ich zeige ihr Daumen hoch und laufe mit der Menge weiter.

 

Man findet, dass ich mich heute selbst übertroffen habe.

Ich stapele tief, dass jeder von uns einen verdammt guten Job gemacht hat. Und dass ich denke, dass wir bald das nächste Level anstreben sollen.

Was ich damit meine, will Andreas wissen.

Ich deute an, etwas richtig Großes.

Er pfeift durch die Zähne und lässt durchblicken, er ist dabei.

Tarek bekräftigt, er erst recht.

Ich vergewissere mich, ob auch dann noch, wenn er dabei über seine eigenen Grenzen gehen muss.

Er meint er, er hat den Hindukusch überquert, ich soll ihm nichts von Grenzen erzählen.

Dann rücke ich mit dem Plan heraus, dass – wir nur für einen begrenzten Zeitraum und nur um neue Geldquellen zu erschließen – ernsthaft darüber nachdenken sollten, Drogen zu verkaufen.

 

Julia lässt mich zwischen zwei Küssen wissen, dass ich Führungsqualitäten besitze und die Drogensache ein guter Ansatz ist. Ich antworte, dass mich das ehrt und hole das Piece hervor.

Aber sie hält mich davon ab, die Pfeife vorzubereiten, streift stattdessen ihre Leggins ab.

 

In der Toilette schlage ich mir mit der Faust gegen den Schädel, bis sich alles um mich dreht.

Kira und ich werden reden müssen.

 

Julia fragt, was ist, als ich wieder ins Bett komme.

Ich krieche ganz nah an sie heran, lüge, dass das mit uns beiden so tief geht, dass ich gar nicht weiß, was das mit mir macht.

 

Ich breche einen Menschen und verletze, die, die ich liebe.

Und nehme beides bewusst in Kauf.

 

 

 

Ich lehne mich gegen die Hauswand.

Durchatmen.

Ich habe die Kontrolle verloren.

Zugeschlagen.

Was mir Angst macht: Es ist wie ein Rausch gewesen.

Die Grenze zwischen Rolle und Mission verschwimmt.

Gestern sind Julia und ich spazieren gegangen, wie ein normales Paar.

Irgendwie gibt es doch vieles, was ich an ihr mag.

Kein Mensch ist nur schlecht.

Wer hat das noch gesagt?

Der kleine Prinz? Oder Heiner Geissler?

Kira wickelt Tobi, während ich in der Gasse hier stehe und diese Gedanken habe.

 

Tarek stellt sich zu mir. Wir rauchen.

Er wertschätzt, ich wäre abgegangen wie die GSG 9 auf Koks.

Ich umarme ihn.

Und fühle mich beschissen, weil dieser Adrenalin-Push im Flow mir mehr gefallen hat als mir lieb ist.

Ich stecke Tarek ein kleines Beutelchen zu und sage, wenn er mal relaxen will.

Er wirkt irritiert, betastet das weiße in Folie eingeschweißte Pulver mit Daumen und Zeigefinger.

Ich zerstreue seine Bedenken.

Ein erfolgreicher Verkäufer muss seine Ware auch mal probieren, damit er weiß, was er veräußert.

 

 

 

Ich sehe dem Wegwerf-Handy von der Brücke aus zu, wie es ins Wasser eintaucht. Eigentlich wollte ich an diesem Wochenende heim, habe Kira aber erklärt, dass ich so kurz davor bin, den Job abzuschließen, dass es kontraproduktiv wäre, nach Hause zu kommen.

Kira denkt immer noch, dass ich für die Polizei arbeite.

Daher stellt sie keine Fragen.

Interna.

Das muss der Partner akzeptieren.

 

 

 

Vor drei Stunden haben wir eine Mittags-Demo gegen Hartz 4 und GEZ Gebühren übernommen und in einen wütenden Mob verwandelt.

Die Strategie wie immer: Mit einer kleinen Gruppe ins Gespräch kommen, den Gruppenführer identifizieren, auf seine Seite ziehen und zu Aktion A, B oder C motivieren.

Jetzt wollen Julia und ich zum See.

Schwimmen.

Als ich die Räder im Flur klarmache, kommt Tarek die Treppe runter, druckst ein bisschen rum und ich lasse ihn zappeln, bevor ich ihm das mittlerweile siebte Päckchen seit neulich in der Gasse zustecke.

Er nickt und verschwindet nach oben.

 

Wir finden eine kleine Bucht am See.

Es ist das erste Mal, dass ich beginne, Julia zu küssen.

Ich denke, es ist an der Zeit dazu.

Dann fragt sie mich völlig unvermittelt, ob ich auch manchmal darüber nachdenke, aufzuhören.

Ich gebe vor, nicht zu verstehen.

Sie meint, es gibt so viel Negatives um uns herum, aber sie will sich eigentlich lieber auf das Positive fokussieren.

Ich frage, was das ist.

Sie sagt, wir beide und was von Kindern und Bauernhof.

Ob sie denn schon konkrete Pläne hat, will ich wissen.

Sie antwortet, dass sie ausreichend Geld im Keller versteckt hat, dass wir uns irgendwohin absetzen können.

Ich weiß, dass meine Entscheidung völlig irrational ist, und dass der Umstand, dass es zwischen mir und Kira nicht so gut läuft, eine Sache ist, an der man arbeiten könnte, dass ich nie das Sorgerecht für Tobi bekomme, dass sich in seine Zielperson zu verlieben kein Stockholm- sondern ein Rotkäppchen-Syndrom ist, ich mich aber trotzdem nicht dagegen wehren kann.

Ich nehme Julias Hand und erkläre ihr, dass ihre Aktionen und die vieler anderer Gruppen Früchte getragen haben.

Dass sich das politische Klima geändert hat.

Dass die, die diese Änderung wollten, jetzt übernehmen, aber nicht mit einem pöbelnden Mob in Verbindung gebracht werden möchten.

Und dass das ein Problem ist.

Und dass ich derjenige bin, der es löst.

Sie schaut erleichtert, dankbar und verliebt, als ich ihr eröffne, dass ich sie von Anfang an außen vor gesehen habe und sie zu keinem Zeitpunkt etwas zu befürchten gehabt hat.

Wir küssen uns.

Sie will wissen, wie ich vorgehe.

Ich sage, dass ich mich an Bewährtes halte, und dass, was damals in Kreuzberg geklappt habe, auch heute noch funktioniert, dass man jeden Kiez in seiner politischen Dynamik lähmen kann, wenn man Drogen hineinbringt und dass Tarek bereits drauf ist.

Sie steht auf und zieht mich mit, meint, wir sollten es sofort tun, also abtauchen.

Auf dem Rückweg fällt Julia an der Hauptstraße ein, dass sie noch dringend ein paar Sachen von ihren Eltern braucht und ich inzwischen das Geld aus dem Haus der Deutschen Emotionen holen soll.

 

Ich schließe die Haustür auf, als mir jemand auf die Schulter klopft.

Armin.

Er meint, es ist schon mächtig was los, oben, irgendein Sonderding und er könnte sich vorstellen, dass vielleicht Tareks Connection da ist.

Ich habe Julia unterschätzt, das wird mir mit der Wucht eines Tornados klar.

Ich muss nachdenken – verdammt, keine Zeit – erkläre Armin, dass ich etwas in dem Café vergessen habe, wo ich gerade – okay, nicht glaubwürdig – er legt seinen Arm auf meine Schulter, und sagt, dass ich das auch später – sie hat mich auffliegen lassen, hatte nie vor, mit mir – und dass er bereit ist für das nächste Level. Oben im Treppenhaus beugt sich ein tätowiertes Gesicht über das Geländer – ich habe nur eine Chance – grinst und spuckt unter. Armin raunt mir zu, dass er bei Lutschke eigentlich gleich hätte drauf kommen – und Go! – Griff in die Genitalien, er krümmt sich, mein Knie gegen sein Gesicht, kommt wieder hoch, Blut schießt aus Nase, ramme ihm zwei Finger in die Augen, haste die Treppe runter.

Kein Geld im Keller, aber Sprengsatz, den ich deponiert habe.

Aktiviert.

Durch Kelleraußentür in Hof, über die Mauer, suche Schutz dahinter.

Auf den Boden.

Gigantische Druckwelle.

 

 

***

 

 

Wir gehen die Route durch.

Sarah erklärt, wo uns der 3,5 Tonner absetzt.

Ihre Anweisungen, klar und präzise, hat die Gruppe gut in Griff.

Noch sechs Wochen bis zum Weltwirtschaftsgipfel.

Zeit genug, um sie zu knacken.

Wie zufällig berühre ich ihre Hand, als ich auf die Karte deute.

Sie lächelt.

Ich mag ihre Haare, die mich ein wenig an Kira erinnern, mit der es immer noch nicht gut läuft.

Draußen sagt Sarah mir, dass sie mich interessant findet und das Gefühl hat, dass uns etwas verbindet.

Ich antworte mit einem Lenin-Zitat und streichle ihr Gesicht.

Sie ahnt nicht, dass dieser LKW nicht fahren wird, als sie ihre Hand auf meine legt.

 

Ich bin die Nutte der Lobbyisten.