Von Hans-Günter Falter

„Mir geht es genauso, ich kann es nicht mehr hören: Brexit, Brexit, Brexit. Dreimal verschoben und ob er jetzt kommt? … keiner weiß es. Hatten doch immer eine Extrawurst in der EU, diese Briten. Aber diese ganz besonders große Extrawurst, die, die sie sich selbst bestellt haben, die wollen sie jetzt irgendwie doch nicht fressen.“

„Fressen ist aber kein sehr passendes Wort Herbert, nennen wir´s doch lieber mal `Suppe auslöffeln`, einverstanden?“

„Ja, meinetwegen, aber Suppe mit Extrawurst. Was ist eigentlich aus diesem BSE-Zeugs geworden?, diesem ganzen Rinderwahnsinn. Das kam doch auch alles von den Briten. Davon hab ich schon ewig nichts mehr gehört?“

„Ich auch nicht, scheint wohl ausgestorben zu sein. Was hatten wir für ne Angst damals vor britischem Fleisch, weißt du noch? … gab´s hier bei uns eigentlich auch britische Rindswürstchen?“

„Keine Ahnung!“

„Edgar, machst du uns noch zwei Bier und für mich ne Kartoffelsuppe mit Rindswurst?“
„Für mich auch eine Wurst, ohne Suppe, aber mit viel Senf, Edgar, hörst du?“

„Ist gebongt, ich muss aber erst noch mal in den Keller, um eine neue Kohlensäureflasche an den Zapfhahn anzuschließen, damit das Bier wieder fließt. Die alte gibt gerade ihren Geist auf.“

„Ist okay, Edgar, lass dir Zeit.“

 

„Manchmal wünschte ich, meine Alte würde auch den Geist aufgeben.“
„Mensch Herbert, sag doch sowas nicht, deine Helga ist doch eine ganz patente Frau. Sieht sogar noch ganz passabel aus, naja, jedenfalls für ihr Alter, … und sie kocht doch auch ganz gut.“

„Da sagt du was, `kocht ganz gut`, und wie die kochen kann, nicht nur in der Küche, auch mit ihrem überschiessenden Temperament, sobald was nicht nach ihrer Pfeife geht. Ich sage dir, … wenn die überkocht.“

„Kann ich mir gar nicht vorstellen, bei deiner Helga“.

„Na, wenn du bei uns bist, ist sie ja auch ganz manierlich. Aber alles nur Schein. Ich glaube fast, sie hat auch so was wie Rinderwahnsinn.“

„Mann oh mann Herbert, du bist aber geladen. … obwohl, der Rinderwahnsinn kann sich ja auch auf Menschen übertragen, wenn ich mich recht erinnere. Deshalb war doch damals der ganze Hype, oder?“

 

„Jetzt wird mir so einiges klar.“

„Was wird dir klar?“

„Na, kannst du es denn nicht erkennen?“

„Los Herbert, raus mit der Sprache, was soll mir klar sein?“

„Das mit dem Brexit.“

„Herbert, wir treffen uns schon seit fast 20 Jahren jeden zweiten Donnerstag hier in der Kneipe bei Edgar, und wir kennen uns doch nun wirklich gut, oder?“
„Ja, aber warum fragst du das jetzt so in dramatischer Akzentuierung?“

„Weil ich trotz dieser langen Zeit noch immer nicht deine Gedanken lesen kann, und weil deine Gedankengänge sowieso manchmal nicht so ganz einfach nachzuvollziehen sind, selbst wenn du sie mir erklärst. Also was hat der Brexit mit deiner Helga zu tun? Du sprichst für mich in Rätseln.“

„Aha, du findest meine Gedanken also verschroben?“

„Hab ich so nicht gesagt.“

„Hab ich aber so verstanden.“

„Ach, Herbert!“

 

„Na, kleiner Disput unter Freunden? Hier ist schon mal euer Bier, die Würste dauern noch etwas, ich bin heute nämlich alleine und muss die Küche auch selbst machen. Ist ja aber zum Glück nicht so viel los.“

„Wo ist denn deine Anneliese heute, hast du ihr freigegeben?“

„Da brauchst du gar nicht so zu grinsen, Anneliese muss ich nicht freigeben, sie nimmt sich frei, wenn sie´s braucht und zwar schon so lange, wie wir ein Paar sind und diese Kneippe zusammen führen.“

„Stimmt, ihr seid ja gar nicht verheiratet sondern nur ein Paar, … hatte ich fast vergessen.“

„Wie jetzt, vergessen?“

„Ihr wirkt einfach nicht so, wie ich mir ein Paar vorstelle.“

„Nein, wie wirken wir denn?“
„Na wie ein uraltes Ehepaar, das Bammel vor der Trennung hat.“

„Mensch Herbert, … tut mir leid Edgar, ich muss mich für Herbert entschuldigen, er hat Zoff mit seiner Helga.“

„Ich geh dann mal in die Küche und mach euch die Suppe und die Würste fertig.“

 

„Herbert sei froh, dass er nur die Würste in der Küche fertig macht und nicht dich, du Würstchen! Bist doch manchmal ein echter Idiot. Dass Anneliese einen Anderen hat, weiß doch inzwischen jeder, reden doch alle davon, und das ist für Edgar doch schon schlimm genug. Ihn auch noch damit zu reizen ist echt daneben.“

„Was erwartest du von einem mit verschrobenen Gedankengängen? Etwa Einfühlungsvermögen?“

„Mensch Herbert, sei doch nicht immer so schnell eingeschnappt.“

„Ach so, jetzt bin ich also auch noch eingeschnappt. Ich glaube ich gehe jetzt besser.“

„Quatsch, du bleibst und erklärst mir das mit deiner Helga und dem Brexit.“

 

„Was? … ach so. Na, mir sind halt einige Zusammenhänge klargeworden.“

„Ah ha!“

„Die Briten waren doch immer sehr unabhängig, ein riesiges Reich, davon ist jetzt aber nicht mehr viel übrig, außer in deren Köpfen, stimmts?“

„Ja, seh ich auch so.“

„Noch ein bisschen Pomp und abblätternder Glanz ist auch noch da, aber sonst? Dann sind sie in die EU gekommen, aber immer unglücklich gewesen, weil sie es aus ihrer Geschichte ja anders gewohnt waren. Kannst du mir noch folgen?“

„Ja Herbert, klar.“

„Helga und ich haben doch damals auch nur geheiratet, weil der Clemens schon unterwegs war.“

„Weil ihr keine Ahnung von Verhütung hattet und Helga wirklich ein scharfer Feger war, ich kann mich noch gut erinnern, wie sie … .“ 

„Ja, ja, ja, ich bin heute auch sehr froh darüber, so im Nachhinein, … auch wenns mit dem Clemens ja nicht immer so ganz leicht war, … er ist doch ein super Junge. Aber jedenfalls, … wenn er nicht gekommen wäre, hätten Helga und ich uns bestimmt wieder getrennt. Glaub ich wenigstens.“

„Echt, dabei hab ich immer gedacht, ihr seid das ideale Gespann.“

„Wir haben uns arrangiert, aber es gab immer wieder schlimme Auseinandersetzungen und wir haben uns nur wegen Clemens zusammengerauft. Jetzt ist er ja aber schon 17 und ich würde am liebsten nochmal neu anfangen.“

„Mensch Herbert, echt jetzt? … ich bin ganz sprachlos.“

„Doch, doch, ich träum schon lange davon. Und das ist mir vorhin auch klar geworden. Manchmal trifft man im Leben halt eine falsche Entscheidung, dann muss man die Suppe eben auslöffeln, aber nichts ist endgültig.“ 

 

„Na Herbert, hast du dich beruhigt, hier deine Suppe mit Wurst und einmal Extrawurst solo, mit viel Senf, guten Appetit.“

„Tut mir leid Edgar, das vorhin … na ja, war nicht so gemeint.“

„Hast ja irgendwie recht, mit Anneliese läufts schon lange nicht mehr rund. Ich hab´s noch niemandem erzählt, weil ja soviel geredet wird, aber wir haben uns schon getrennt, sie hilft nur noch manchmal hier aus, aber sie ist schon lange ausgezogen.“

„Das tut mir leid, Edgar.“

„Muss es nicht, es war eigentlich schon lange überfällig, jetzt ist es eben passiert und irgendwie geht es mir damit sogar besser als vorher. Nicht mehr so viel Unsicherheit, verstehst du?“

„Ja, ich glaube ich verstehe und ich werde meine Suppe jetzt auch auslöffeln und mich nicht so lange davor drücken wie die Briten.“

„Was meinst du? Was haben die Briten und die Suppe mit Anneliese zu schaffen?“

„Rinderwahnsinn!“

„Was?“

„Ach Edgar, ist eine lange Geschichte, ich hab Herberts Gedankensprünge auch nicht gleich kapiert. Er ist manchmal schon echt sonderlich!“