Von Miklos Muhi

Jakob zögerte. Er wollte den Umschlag nicht öffnen. Seit er zusammen mit vielen Kolleginnen und Kollegen entlassen wurde, bekam er keine guten Nachrichten, weder per Post, noch auf sonstigen Wegen. Keiner brauchte seine Dienste, nicht einmal die organisierten Steuerbetrüger und modernen Sklavenhalter, die sich als »Leiharbeitsagenturen« bezeichneten.

 

Jakob bewarb sich für zahllose Stellen. Manchmal lief er zur angegebenen Adresse und warf den Umschlag eigenhändig in den Briefkasten der Firma. Eine Antwort bekam er nie.

 

Das Geld wurde knapp. Das Amt brauchte Ewigkeiten, um über seine Hilfsanträge zu befinden. Offiziell wegen des erhöhten Arbeitsaufkommens und Personalmangels, aber Jakob vermutete ein Beamten-Mikado-Spiel dahinter.

 

Bald waren seine mageren Ersparnisse aufgebraucht. Im Laden um die Ecke gewährte ihm Mustafa Kredit, bis »alles wieder krass gut wird, Mann«, aber sein Vermieter, eine Investment-Gesellschaft und Absender des Briefes, war nicht so nachsichtig.

 

Man drohte ihm eine Räumung »in Zusammenarbeit mit privaten Sicherheitsdiensten« an. Das hieß, dass der Vertreter des Vermieters und seine Prügelknaben Jakob auf die Straße setzen wollten. Legal war das nicht, aber es passierte immer wieder.

 

Ein Anwalt hätte das vielleicht verhindern können, aber Jakob hatte noch nie mit juristischem Kram zu tun. Er wusste nur, dass die Dienste eines Rechtsvertreters viel Geld kosteten, das er nicht hatte, und dass es keine Erfolgsgarantie gab, die er dringend gebraucht hätte.

 

Die Räumung sollte in einer Woche stattfinden.

 

Das Klingeln seines Handys ließ Hoffnung in ihm aufkeimen. Vielleicht war der Anruf die lang ersehnte Antwort auf eine seiner Bewerbungen. Auf dem Bildschirm seines Handys stand »Unbekannter Anrufer«.

 

»Wir wissen, dass Sie Hilfe brauchen, und wir können helfen.«

»Wer sind Sie?«, fragte Jakob.

»Spielt keine Rolle.«

»Ich bin bereit, jede Art von Arbeit zu übernehmen.«

»Klotzen, nicht kleckern. Wir erfüllen all Ihre Wünsche nach allem, was man kaufen kann.«

Jakob schwieg, bis seine Verzweiflung seine Zweifel verdrängte.

»Was muss ich dafür tun?«, fragte er letztendlich.

»Nichts.«

Jakob schwieg wieder.

»Wir sind bereit, für Sie einen Beweis zu erbringen, eine Kostprobe, sozusagen. Vor dem Eingang des Plattenbaus, in dem Sie wohnen, steht ein Zeitungskiosk. Kaufen Sie da ein Los der Großen Lotterie AG für zwei Euro. Danach rufe ich Sie zurück und wir reden weiter«, sagte der Anrufer und legte auf.

 

Bald saß Jakob am Küchentisch und rubbelte. Zuerst wollte er nicht glauben, was er da sah. Als er das Los unter einer Lupe betrachtete, klingelte sein Handy.

 

»Haben wir zu viel versprochen?«

»Ich habe 5000 Euro gewonnen!«, rief Jakob begeistert. »Das reicht für meine Mietschulden und die Schulden bei Mustafa. Es bleibt sogar etwas übrig. Danke!«

»Wenn Sie mitmachen, werden Sie keine Geldsorgen mehr haben. Wollen Sie?«

»Ja!«

 

Der Anrufer erklärte die Regeln: Jakob würde jeden Abend um 20 Uhr angerufen werden. Dann hatte er die Gelegenheit, seine Wünsche dem Anrufer mitzuteilen.

 

*

 

Anfangs musste er Lose kaufen, manchmal sogar mehrere. Ihm blieb immer genau die Summe, die er verlangt hatte. Als er das Startkapital für seine Firma auftreiben wollte, schickte man ihn in die Spielbank nach Baden-Baden und Monte Carlo. Man erklärte ihm, wann und in welches Spiel er einsteigen musste und wann er gewinnen und wann er verlieren würde. Er kehrte mit einer ansehnlichen Stange Geld zurück.

 

Als er Aufträge ans Land ziehen wollte, gab man ihm Telefonnummern und E-Mail-Adressen. Üblicherweise musste er vier oder fünf Angebote abgeben, um einen Zuschlag zu erhalten.

 

*

 

Bald besaß Jakob nicht nur eine gut laufende Firma, sondern auch ein eigenes Haus mit einer Luxuskarosse in der Garage. Selten nahm er die Anrufe um 20 Uhr entgegen.

 

Alles war bestens, bis er bei einer Besprechung zusammenbrach. Den angerückten Rettungskräften teilte er mit, dass er privat versichert wäre, und gab den Namen der Privatklinik an, wo er hingebracht werden wollte.

 

Die ersten Untersuchungen nach der Einlieferung ergaben keinen Hinweis auf eine akute Gefährdung. Man sich nahm vor, ihn am nächsten Tag gründlich zu untersuchen.

 

Den Rest des Tages und die Nacht bis in die frühen Morgenstunden verbrachte Jakob damit, das Kabelfernseher-Angebot des Krankenhauses zu erkunden. Die Programme, die erst nach 22 Uhr verfügbar waren, fand er besonderes interessant und anspruchsvoll.

 

*

 

Es war zehn Minuten vor 20 Uhr, als das Konsilium aus den besten Ärzten des Landes sein Zimmer verließ. Die Diagnose wurde schön verpackt: Allen tat alles sehr leid, aber außer Morphium ohne lästigen Fragen und einige Privathospize, in denen BTM-Rezeptblock und Stift locker saßen, konnte man ihm nichts anbieten.

 

Die Stille fühlte sich schwer an. Seine Gedanken schienen von ihm wegzulaufen genauso, wie sein Leben in den nächsten zwei, höchstens drei Monaten zerrinnen würde.

 

Nur langsam drang das Klingeln seines Handys zu ihm durch. Auf dem Bildschirm stand wie jeden Tag um diese Uhrzeit »Unbekannter Anrufer«. Er ging ran und kam sofort zur Sache.

»Ich will meine Gesundheit wiederhaben«, sagte Jakob.

»Das geht nicht.«

»Wieso denn nicht?«

»Es gibt zwei Gründe dafür. Erstens ist Gesundheit nicht käuflich und damit außerhalb unserer Zuständigkeit. Zweitens, wie gesagt, erfüllen wir sämtliche Wünsche unserer Kunden. Einer Ihrer Mitbewerber hat sich Ihren Tod gewünscht.«

»Was?«, fragte Jakob. »Aber …«

»Tod und Krankheit sind für Geld überall zu haben. Haben Sie auch erfüllbare Wünsche oder sind wir für heute fertig?«, fragte der Anrufer mit regungsloser Stimme.

»Nein, solche habe ich nicht«, antwortete Jakob und hörte noch lange dem Piepsen des Handys zu.

 

Version 2