Von Hubertus Heidloff

Ich bin ein Mensch. Eine tolle Feststellung wird jeder sagen. Was ist daran interessant?

 

Zuerst einmal steckt dahinter, dass ich kein Tier bin. Obwohl:

Ich stamme vom Tier ab. Habe deshalb tierische Chromosome und Gene. Und ich verhalte mich oft wie ein Tier. Angst bestimmt mein Leben wie das der Tiere: Tiere flüchten, ich auch. Manche Tiere sammeln, z.B. Honig und Nüsse. Manche Menschen horten Toilettenpapier, für Notfälle.

Also bin ich ein besonderes Tier.

Ich lebe unter Menschen, also muss ich mich vergleichen oder vergleichen lassen.

Vergleiche hinken, deshalb lehne ich Vergleiche ab. Ich bin ich! Ohne wenn und aber.

 

Stopp! Ich bin ein Mensch unter Malern, Schriftstellern, Polizisten, Lehrern und Politikern. Alle machen das, was sie können, alle hegen sich selbst gegenüber Zweifel. War das richtig, was ich geschrieben habe, wie ich als Polizist oder Lehrer gehandelt habe? Oder aber als Politiker?

Wir alle dürfen Fehler machen, Fehler machen gehört zum Menschsein, das wissen wir, seit es den denkenden Menschen gibt.

„Entschuldigung“, höre ich meinen Untermieter sagen. Ich habe mehrere Untermieter, mein Bauch mit Gefühl, mein Kopf mit Verstand oder Vernunft, meine Arme und Beine mit Muskeln, meine Seele mit Bewusstsein, einem Zwischending von Bauch und Kopf oder Gefühl und Verstand.

Wer hat da zu mir geredet? „Ich war es, dein Verstand“.

„So, so“, höre ich mich sagen. „Was habe ich denn Falsches gesagt?“

„Du hast den Politiker mit einem Menschen verglichen!“

„Ist denn der Politiker kein Mensch?“, frage ich.

„Doch, aber er ist ein besonderer Mensch, ein Mensch der weiter entwickelt ist, als ein Mensch“.

„Also ein Übermensch“, ergänze ich wohlmeinend.

„Zum Teil stimmt das“, mischt sich das Bewusstsein in unser Gespräch ein.

„Rein äußerlich gleicht der Politiker einem Menschen, aber in seinem Verstand, besser Vernunft,  ist er dem Menschen überlegen, denn er weiß Sachen, die kein Mensch sonst weiß.“

„Das kann ich nicht nachvollziehen“, wundere ich mich ob der Unterscheidung zwischen Mensch und Politiker.

„Denk doch bitte einmal nach. Ich kenne wegen meiner Stellung als Verstand die Feinheiten. Jeder Mensch sagt einmal Falsches. Gibt es einen Politiker, der Falsches sagt. Nein, er weiß immer, was richtig ist, nur e r  wird vorausschauend wissen, was zu tun und zu lassen ist“.

Jemand ruft dazwischen: „Was ist mit der Vergangenheit?“ Der Beinmuskel antwortet mit sonorer Stimme: „Wir sind immer auf dem Weg, wir haben den richtigen Weg gefunden. Wir haben uns nie verlaufen. Wenn das jemand das Gegenteil behauptet, kann es nur jemand von der Opposition gewesen sein!“

„Wenn jemand Fehler macht“, kräht der Bizeps von oben herab, „hat das nur damit zu tun, dass uns jemand etwas Böses nachsagen will“. Dabei krempelt er die Ärmel hoch und lässt seine Muskeln spielen.

„Aber“, so meine Ansicht ohne Hilfe meiner Gefährten, „sie, die Politiker, üben doch öffentliche Funktionen aus und entscheiden, wie wir leben. Deshalb verdienen sie besondere Aufmerksamkeit“.

„Ja, das ist richtig, aber es galt nur früher“, warf die Seele ein, die bislang nur staunend zugehört hatte. „Da brachten sich die Politiker selber ein, in Redeschlachten im Hohen Haus“.

„Das stimmt“, meinte der Bizeps, „früher wurden Pantoffeln zur Unterstützung einer Meinung benötigt oder auf das Rednerpult einhämmernde Fäuste“.

„Heute ist es das Fernsehen!“

Schweigen. „Wieso das Fernsehen?“

Jetzt ergriff das Bewusstsein das Wort: „Ja, habt ihr noch nie davon gehört, wie sich alle um einen Platz an der Sonne bemüht haben, am häufigsten genannt und besser noch gezeigt zu werden. Der Kampf ums goldene Kalb hatte begonnen. Wer das Fernsehen auf seiner Seite hatte, erhielt den größten Zuspruch“.

„Ich habe davon gehört, dass Menschen nur zu 7 Prozent dem Politiker trauen, wenn sie nur die Aussagen hören. Weitaus größer ist es, wenn man den Politiker mit seiner Gestik und Mimik, mit Tonfall und Stimme hört, wenn man seine Gesten sieht“, pflichtete der Verstand bei und  deshalb ist das  Fernsehen wichtig.

 

Der Körper machte einige Dehnübungen, um sich auf die kommende Diskussion vor zu bereiten.

„Wer fragt nach, wieso es zu so vielen Fehlentscheidungen kommen kann, wie wir sie fast täglich erleben? Keiner interessiert sich dafür. Sie werden einfach als naturgegeben hingenommen, weil es parteipolitische Erwägungen sind.“

Die Vernunft war in äußerste Erregung geraten. „Merkt ihr denn nicht, dass die Politiker alle Hilfen in Anspruch nehmen, um sich zu zeigen und vor allem, weil sie von ihrer Wichtigkeit überzeugt sind. Ihnen geht es doch lediglich um den Erhalt ihrer Macht!“

Noch einmal meldete sich der Bruder der Vernunft, der Verstand: „Politik wird mit dem Kopf gemacht, nicht mit anderen Teilen des Körpers oder der Seele“.

„Jetzt verstehe ich, weshalb ein Politiker kein Mensch sein kann“, wisperte die Seele und beendete das Gespräch, da eine Fortsetzung nichts mehr brachte.

Einige Augenblicke herrschte Ruhe. Dann war ein Grummeln zu vernehmen, so wie vor einem weit entfernten Gewitter.

„Ich möchte doch noch etwas sagen“. Wer war denn das noch?

„Ich meine, Politiker sind keine Menschen wie ich. Sie sind nicht dazu geeignet, in geistiger Hinsicht eine Rolle zu spielen. Sie sind geistig öde und ethisch verdorben“.

Wer hatte wohl den letzten Satz gesagt? Ich musste an den Anfang denken: Ich bin ein Mensch.

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