Von Helmut Blepp

Das ist ein Gartenstuhl, auf dem niemand sitzt, denn es ist Winter, und der Garten ist von gefrorenem Schnee gepudert, weil die Nacht klirrend kalt war. Neben dem Stuhl liegt ein Stapel Zeitungen ohne jede Botschaft an uns, denn wir sind nur die Beobachter.

Natürlich wissen wir, dass die Frau immer schon ganz früh am Morgen hier gesessen hat. Sie hat es sich stets auf diesem Stuhl bequem gemacht, wenn sie die Hitze der Nacht ausschwitzen oder sich bei Raureif abkühlen wollte. Und dabei rauchte sie, füllte den Aschenbecher auf dem Beistelltisch mit Filterkippen, während sie wartete und ihre rot lackierten Fingernägel polierte oder ihr Haar richtete. Sie wusste genau, wann sie zum Gartenzaun gehen musste. Der Mann war pünktlich. Jeden Tag brachte er die Zeitung, unterhielt sich dann ein wenig mit ihr, machte kleine Witze, bevor er weiterging und sie wieder ihren Platz am Tisch einnahm, wo sie rauchend die Neuigkeiten las, bis es Zeit war, die Kinder zu wecken. Tagsüber dachte sie manchmal an den Zusteller, nachts träumte sie von ihrem verstorbenen Mann.

Wir wussten, wie es kommen musste. Sie verliebten sich. Diese Frau mit Schlafstörungen und dieser Zeitungszusteller lebten nun unter einem Dach. Die Kinder nahmen das zur Kenntnis. Sie verfolgten, wie er das Haus renovierte, neue Böden verlegte, Wasserrohre austauschte und Wände frisch verputzte. Sie staunten, weil mehr Fleisch auf den Tisch kam und vor dem Essen gebetet wurde. Im Schuppen war das Holz gestapelt. 

Dieses Leben ging nicht lange gut. In ruhigen Stunden bemerkte sie, dass sein Humor nur aufgesetzt war und ihr Herz nicht mehr erreichte. Und er musste sich eingestehen, dass sie nicht diejenige war, die ihn aus seiner Traurigkeit erlösen konnte.

Es folgte ein Frühling der Sprachlosigkeit. Die Kinder gewöhnten sich an, zu flüstern. Wir lauschten ihren bangen Gesprächen, weil sogar wir uns wünschten, dass dieses schweigende Haus uns wieder etwas zu erzählen hätte. 

Der Sommer mit seinen glühenden Winden ließ uns alle ermatten. Selbst der große Baum bot keinen Schatten, und die Fäden ruhten in unseren Händen. Die Welt schien stillzustehen. Nur die Kinder spielten leise im Garten. 

Dann kam der stürmische Herbst mit verzweifeltem Geschrei, mit Vorwürfen im Zorn, mit zugeschlagenen Türen und verwehenden Flüchen, so dass die Kinder aneinandergeklammert zitterten in der Höhle unter ihrer Bettdecke. 

Und an einem trüben Wintertag erschlug er sie und bereitete ihr ein Lager im Lehmboden des Kartoffelkellers, der nun endlich seinen Estrich erhielt. Wir, die wir von klein auf im Norden gewandert sind, schauderten in Betrachtung seiner mühseligen Arbeit, die er weinend und seufzend vollbrachte. Den Nachbarn erzählte er, sie habe ihn verlassen. Für die Kinder war sie verreist, doch die ahnten, wohin, und flüsterten sich Befürchtungen zu. 

Im Frühjahr blieb der Garten unbestellt. Wir mussten mit ansehen, wie zwischen den Steinplatten, auf denen der Gartenstuhl stand, Unkraut ins Licht wuchs. Aufgeweichte Zigarettenfilter schwammen in einer braunen Brühe. Die Zeitungen waren feucht und rochen muffig. Einsilbig spielten die Kinder in blindem Einverständnis in dieser sich heranschleichenden Wildnis. Der Mann trug weiter Zeitungen aus und verbrachte ansonsten die meiste Zeit im Bett. Das Essen kam jetzt aus Dosen. Gebetet wurde schon lange nicht mehr. 

Eines Tages brachte der Postbote einen wichtigen Brief vom Amt. Unbefangen betrat er den Garten durch die kleine Tür im Jägerzaun und stieß auf die Kinder. 

„Hallo“, rief er fröhlich. „Ich habe Post für euren Papa.“ 

„Der schläft“, sagten die Kinder im Chor. 

„Und eure Mama?“ 

Die Kinder sahen sich lange an. Dann nickten sie sich zu. 

„Die Mama ist im Himmel.“ 

„Das tut mir sehr leid“, sagte der Postbote betroffen. „Aber wer passt denn dann auf euch auf?“ 

Wieder war zu beobachten, wie die Kinder mit sich rangen. Sie schauten sich lange in die Augen, bis sie schließlich zu einer Entscheidung kamen. 

„Geh mal mit“, forderten sie den netten Postboten auf. Sie drehten sich um und liefen Richtung Haus. 

Aufgrund ihres seltsamen Verhaltens neugierig geworden, folgte er ihnen, und als sie vor dem Kartoffelkeller anhielten, wiesen sie wortlos auf den Eingang. Sich vorsichtig unter dem niedrigen Türstock beugend, betrat er den wenig einladenden Anbau. Durch ein fensterloses Kellerloch fiel genug Licht, um alles zu erkennen. Die Sandsteinwände trieben Wasser und waren von Schimmel bedeckt. Es roch nach Moder und Fäulnis. 

Der Boden lag aufgeworfen vor ihm und war in bröselnde Schlacken gebrochen, durch die der braune Lehm zu erkennen war. 

Zu wenig Bindung im Material, stellte er sachkundig fest. Wurde vom Frost zerstört. Stümperhafte Arbeit. 

Er schüttelte den Kopf und wollte sich schon zum Gehen wenden, da fiel ihm etwas zwischen den Steinbrocken auf. Er bückte sich hinunter zu dem kleinen Objekt. Es waren Knöchelchen, verziert mit einem roten Fingernagel.

Der Postbote rief umgehend die Polizei. Das ganze Dorf stand tagelang kopf, während die Lokalzeitung den unglücklichen Finder zum Helden ausrief. 

Der Zeitungszusteller bekam nach so langer Zeit Ruhe in einem Sternenbau. Die Kinder leben jetzt bei einer Oma, die sie Aufpasserin nennen. 

Nur wir wandeln nach wie vor durch diesen Garten. Er ist zum Urwald geworden. Zarte Kleider verfangen sich im Gestrüpp. Ungeschützte Haut wird blutig gerissen und verheilt schlecht. Uns ficht das nicht an.

Da steht der alte Gartenstuhl, vom Schnee befreit und nach wie vor einladend. Seine Gegenwart ist verwoben mit der Vergangenheit, und die Zukunft wird uns nicht überraschen, denn im Aschenbecher auf dem Beistelltisch brennt eine Zigarette herunter. Der Stapel Zeitungen ist angewachsen. Obenauf liegt die heutige Ausgabe.