Von Miklos Muhi

Motto: Non discerno. Omnia odi.

 

Es ist Montag, halb acht in der Früh. Ich stehe auf dem Bahnsteig eines S-Bahnhofs in einem Außenbezirk, umgeben von übel gelaunten Menschen, die mit dem perversen Gedanken hier aufgetaucht sind, rechtzeitig zur Arbeit zu gelangen.

Die Verspätung hat es in sich. Sie beträgt 25 Minuten. Das Quietschen der Bremsen ist laut, fast schon schmerzhaft. Und der Zug ist voll. Nur ein Drittel der Wartenden passt hinein, der Rest bleibt, zum Teil fluchend, zurück.

Die Fahrt bis zum Hauptbahnhof, die sonst zwölf Minuten dauert, beschenkt die Reisende mit einer gleich langen, zusätzlichen Verspätung.

Nach dem Aussteigen tauchen zahlreiche Missionare und andere Trickbetrüger auf. Es gibt alles zu kaufen: Seelenheil, Erleuchtung, horizontale Dienstleistungen, Erlösung der Welt und Stoff, um sie, zumindest für kurze Zeit, erträglicher zu gestalten.

Selten wird ein Nein akzeptiert. Nur eine Androhung von Gewalt hilft. Die gibt es nur ohne Zeugen in Hörweite. Man lässt von mir schnell ab. Manche kennen mich schon. Von denen werde ich in Ruhe gelassen.

Es folgen weitere Fahrten und Umstiege, auf verschiedenen Fahrzeugen der Verkehrsgesellschaft, zusammen mit Mitmenschen, die ich ohne jegliche Diskriminierung abgrundtief hasse. Die angehäufte Verspätung beträgt beim Einschalten des PCs im Büro eine Stunde.

Friede, Freude und Eierkuchen gibt es heute weiterhin nicht.

Im Posteingang buhlen geschlagene vierzig Mitteilungen um meine Aufmerksamkeit. Im Schnitt gibt es unter denen nur fünfzehn, um die ich mich zu kümmern habe, aber das ist aus Absender und Betreff nicht ersichtlich. Es wird gelesen.

Fragen, Aufforderungen und einige Reviews warten auf mich. Hin und wieder überbieten sie die brillantesten dadaistischen Werke und das ganze Oeuvre von Monty Pythons fliegendem Zirkus zusammen, was ihre Absurdität angeht. Sogar Die Ritter der Kokosnuss und Da-Da-Da haben nichts zu melden.

Für heute erwarte ich, wie vor einer Woche besprochen, eine Hilfeleistung zu einer Dokumentation von einem anderen Team. Statt der erhofften Informationen gibt es eine diplomatisch formulierte Mitteilung darüber, dass, wegen Mangel an Zeit und Ressourcen, ich mir meine Forderungen sonst wohin stecken soll.

Unter großen Anstrengungen verzichte ich darauf, dem Absender mitzuteilen, was er mit sich selbst in diesem Fall anzustellen hätte, und fange das Tageswerk an. Es riecht nach Überstunden.

Zehn Stunden später sitze ich in einer Besprechung, deren Ende nicht abzusehen ist. Zweifel nagen an mir, ob ich überhaupt daran teilnehmen soll. Bisher habe ich nichts gehört, was mich beträfe. Sobald das Thema gewechselt wird, verkünde ich, dass ich nicht länger bleibe. Alle akzeptieren das.

Auf den Weg nach Hause freue ich mich nicht unbedingt. Obwohl es, im Vergleich zu heute früh, besser läuft, begegnet mir die gleiche Bagage. Meine Hände in den Taschen des schweren Wintermantels sind zu Fäusten geballt. Sie bleiben, wo sie sind. Ich habe keine Lust zu einem erneuten Verhör, um mich für Schläge, die wieder nichts gebracht haben, zu rechtfertigen.

Als ich aus dem Zug steige, ist der S-Bahnhof im Außenbezirk leer. Die Straßen sind verwaist. Die tückische Mischung aus Schnee und Schmelzwasser glimmert im Licht der Straßenlampen.

Zu Hause ist es trocken und warm. Die Klingel ist schon seit Jahren kaputt. Die Reparatur eilt nicht. Mir gefällt der aktuelle Zustand.

Ich lasse meinen Laptop hochfahren, um in eine andere Welt unterzutauchen, wo ich ein allmächtiger Gott bin und entsprechend agiere. Niemand kommt mir in die Quere. Menschen zu erschaffen und sie zu töten, ohne Konsequenzen, nur aus meinem Willen heraus. Es passiert, was ich zulasse. Strafen und vergeben, wenn es mir passt.

Manchmal kommt in mir die Frage auf, ob meine schriftstellerischen Neigungen nicht eine Art von Megalomanie zum Ausdruck bringen. Ob ich eine Antwort darauf zu erhalten wünsche, steht auf einem anderen Blatt.

 

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