Von Maria Monte

Pauline jubelt „Ich habs! Es funktioniert! Ab morgen werde ich meinen Cocktail an mir selbst ausprobieren.“ Johannes hatte Pauline die ganzen drei Forschungsjahre zur Seite gestanden, hatte ihr assistiert, Formeln neu berechnet, mit ihr gebangt. Nun steht er hinter ihr und erlebt diesen Moment der Freude mit ihr. Gelöst von all der Anstrengung fallen sie sich in die Arme, jubeln und hüpfen wie Kinder nach einem gewonnenen Spiel umher.

Ja, es ist wie ein Spiel. Gewinner oder Verlierer. Ihre Chance sieht die junge Frau in ihrer beider Durchhalten, mit Kraft und Ausdauer, trotz der Widrigkeiten. Die neue Dimension, mit all den erprobten Hormonen einen Cocktail herzustellen, einen Allzweckdrink für den Durchschnittsmenschen, gibt den beiden Forschern Mut und Zuversicht.

Mit der Erforschung und Bestimmung von Neurotransmittlern haben sie sich in Sphären vorgewagt, in die noch kein Neurowissenschaftler vorgedrungen ist. In der letzten Forschungsphase setzten sie ihrem Mix zusätzlich ein Reizhormonmittel für sämtliche Dendriten bei. Und siehe: der Glücksbooster ist geboren.

„Wenn wir mit meinem Selbsttest an die Öffentlichkeit gehen, bringen wir die Welt ins Wanken. Ein neues Zeitalter wird heranbrechen, ohne Gewalt und ohne Kriege“. Paulines Worte überschlagen sich in der aufkommenden Euphorie. Ein Gefühl, das sie bis jetzt nicht kannte. Johannes grinst breit: „Wir werden damit die Welt verändern, so, wie wir es uns immer erhofft haben. Zuerst muss aber ein Schritt nach dem anderen gegangen werden. Auf in die nächste Phase, du Weltverbesserin!“

Am nächsten Tag nimmt Pauline ihren ersten Chemie-Cocktail zu sich. Sie hatten Dosierungen von 100ml hergestellt, in entsprechende Gläschen abgefüllt und kühl gelagert. Johannes weicht nicht von ihrer Seite. Dreimal täglich führt er gewissenhaft Protokoll, hämmert alles in den Computer ein, registriert, wie sich seine Lebens- und Arbeitspartnerin fühlt. „Sollten wir nicht zusätzlich an eine leichte sportliche Betätigung denken, vielleicht auch unser Essensverhalten dokumentieren?“ schlägt Johannes vor. „Sicher ist es auch empfehlenswert, deine Voruntersuchungen, Blut- und BMI-Werte mit ins Protokoll aufzunehmen.“ Johannes bleibt rational, durchdenkt immer neu ihre Erkenntnisse.

Jede Woche ergänzen sie ihren Selbsttest mit neuen, kleinen Zusatzanstrengungen, um den angestrebten Dauerzustand intensiver Zufriedenheit zu erreichen. „Weißt du, Johannes, dass ich dich schon in der Grundschule bewundert habe? Du wirktest auf mich stets so konzentriert und wissensdurstig, ich wollte keinen anderen Jungen kennenlernen.“ Johannes überlegt, ob Pauline ihm diese Tatsache nicht schon zum dritten Mal erzählt. Er hält sich mit seinen Emotionen zurück, will ihre gemeinsamen Ergebnisse nicht durch aufwallende Tagesglücksmomente in Frage stellen. Er liebt sie, schon seit über 10 Jahren, obwohl sie immer sehr kühl und abweisend auf ihn wirkte. Gleich nach dem gemeinsamen Abi begannen beide zu studieren, er Chemie, sie Neurowissenschaften. Sie zogen in eine gemeinsame Wohnung, lebten recht einfach, bescheiden und zurückgezogen. Ihr gemeinsames Hobby verstärkte ihre Liebe und den Wunsch, mit ihrem Wissen die fulminante Entdeckung zum Thema Glücksempfinden zu machen. Jetzt, in diesen entscheidenden Monaten, will er sich besonders beherrschen, bremst seine Lust und reagiert überlegt auf die Wallungen von Pauline. In gemeinsamen Gesprächen ertasten sie das neue Terrain, lernen, ihre Liebe und ihr Arbeitsziel zu kontrollieren und doch weiter, wie gewohnt, zu leben.

„Wie fühlst du dich heute? Erzähle etwas über deine Motivation. Ich messe inzwischen den Dopaminspiegel. Spürst du eine Verstärkung des Oxytocins? Ist der Serotoninspiegel schon erhöht? Wie oft kannst du am Tag deinen Darm entleeren?“ Jeden Tag die gleichen Fragen und die Hoffnung auf den grandiosen Durchbruch in ihrer Forschung. Paulines liest in ihren freien Stunden zusätzlich im medizinischen Fachbuch „Nutritional Psychiatry“. Sie verspricht sich zusätzliche Erkenntnisse im Bereich der Ernährungspsychiatrie.

Dann gibt es wieder Tage, in denen Pauline wie in Trance umherwandelt. Nachts verfolgt sie ein Alptraum, seit vielen Wochen schon.

Kälte. Ein Licht weit weg. Ein Knall, das Bett und die Wände kommen aufeinander zu. Spinnen krabbeln an den Wänden, ihre Netze werden enger und undurchlässiger. Nässe, Kälte. Keine Decke zu greifen, stattdessen Spinnennetze, die kalte Luft durchlassen. Zittern, Angst, als ein dunkles Krabbelwesen an ihrem Hals sitzt. Sie kann es nicht greifen. Sie weint, ruft, keiner hört sie. Sie macht sich in die Hose, die warme Feuchtigkeit lullt sie ein.

Pauline erlebt ihre Kindheit immer wieder. Ihre Mutter konnte nicht zärtlich sein, deswegen hatte sich ihr Vater gleich nach ihrer Geburt einer anderen Frau zugewendet.

Ich bin ohne Liebe, ohne Wärme, ohne Geborgenheit aufgewachsen. Ich weiß, dass Johannes unter meiner Emotionslosigkeit leidet. In meiner letzten Therapie habe ich die Zusammenhänge begriffen. Ich mache den Selbsttest für uns beide.

Tag um Tag fühlt sich die junge Frau lockerer und gelöster. Hatte sie damals, als sie noch Joints rauchten, auch solche Momente? Was träumte sie in dieser Zeit?

Sie will mit Johannes zusammen alt werden, eine Familie gründen. Und sie will sich als Wissenschaftlerin beweisen. Johannes versteht sie. Auch dafür liebt sie ihn. „Sag mal, Johannes, was wäre, wenn sich der Cocktail negativ auf meinen speziellen Frauenhormonhaushalt auswirkt? Wollen wir nicht einmal wöchentlich auch meine Östrogen-, Gestagen-, Progesteron- und Prolaktinwerte messen? Sicher wird es doch Nebenwirkungen geben, von denen wir keine Ahnung haben!“ „Wir beobachten deinen Monatszyklus, halten auch diese Erkenntnisse schriftlich fest.“ Nach 10 Wochen verändert sich Paulines Hormonspiegel. Inzwischen träumt sie zwar nicht mehr ihren Alptraum, empfindet auch mehr Empatie und Glücksmomente, hat aber in Punkto Ängste täglich eine kleine Depriphase. Ihr Lebenskamerad nimmt sie dann in seine Arme und wiegt sie wie ein kleines Kind. „Pauline, Kleines, denk positiv. Alles wird gut. Gemeinsam sind wir stark, wir gehen zusammen unseren Weg!“ Sofort fühlt sich Pauline wohl, ja, hat sogar einen Anflug von Glücksempfinden. Als ihre Menstruation aussetzt, macht sie einen entsprechenden Test. Jetzt grinst Johannes wissend, die untersuchten Hormonwerte zeigen es eindeutig. „Wir werden Eltern! Unser Kind wird Lucky heißen. Das ist ein unisex Name, der für Glück steht.“

 

Variante 2 

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